# taz.de -- Medienpsychologe Elson zu Kinder und TV: „Eltern sind da etwas un… | |
> In der Coronakrise verbringen Kinder mehr Zeit vor Bildschirmen, | |
> Expert:innen warnen schon. Aber ist das tatsächlich so gefährlich? | |
Bild: Malte Elson sagt: „Richtig eingesetzt kann jedes Medium eine Bereicheru… | |
taz: Herr Elson, viele Eltern müssen sich derzeit um [1][Lohnarbeit und | |
Familie] gleichzeitig kümmern. Die Bildschirmzeit der Kinder hat sich | |
[2][Studien zufolge] entsprechend erhöht, einige Expert:innen warnen vor | |
langfristigen Folgen. Schade ich meinem dreijährigen Kind, wenn ich es | |
täglich altersgerecht fernsehen lasse? | |
Malte Elson: Nein, es geht kein unmittelbarer Schaden vom Bildschirm aus. | |
Natürlich ist es so, dass man zu viel fernsehen kann. Schaden klingt immer, | |
als gäbe es eine unmittelbare Konsequenz, aber es geht viel mehr darum, | |
dass Dinge, die wichtiger wären, vernachlässigt werden könnten. | |
In einer [3][Broschüre des Bundesfamilienministeriums] stehen dennoch sehr | |
strikte Zahlen: Kinder zwischen 3 und 5 Jahren sollen nicht mehr als 30 | |
Minuten pro Tag fernsehen, Kinder zwischen 6 und 9 Jahren nicht mehr als 45 | |
und Kinder ab 10 Jahren nicht mehr als 60 Minuten. Was passiert mit dem | |
kindlichen Hirn, wenn sie länger fernsehen? | |
Nichts. Studien zu Auswirkungen von Bildschirmen aufs Gehirn gibt es | |
wenige, und die, die es gibt, weisen nicht darauf hin, dass da strukturelle | |
Veränderungen entstehen. Es wäre auch verrückt anzunehmen, dass das Gehirn | |
erst mal ein gesundes Organ ist und dann macht man irgendwas wie Fernsehen | |
und dann ist es ungesund. Das Gehirn ist plastisch, es verändert sich | |
ständig. Man könnte eher darüber nachdenken: hat das Auswirkungen darauf, | |
wie gut das Kind Freundschaften pflegt, ob es sich genug bewegt? | |
Das hat wenig mit dem Bildschirm zu tun. Wer drei Stunden am Tag Bücher | |
liest, der wird einen ähnlichen Effekt beobachten können. Diese Zeitangaben | |
sollen Eltern eine grobe Idee geben, was angemessen ist, um die Aktivitäten | |
möglichst divers zu halten. Aber es ist nicht so, als hätte das jemand | |
systematisch untersucht. Es geht da mehr um kulturelle Wertvorstellungen. | |
Woher kommt die Ablehnung des Bildschirms und ist sie wissenschaftlich | |
irgendwie nachvollziehbar? | |
Gesellschaftlich gesehen lehnen wir den Bildschirm ja gar nicht so sehr ab. | |
Erwachsene haben mitunter ganz ordentliche Bildschirmzeiten. Es gilt als | |
legitim, ein Smartphone zu haben, am Computer zu arbeiten, die „Tagesschau“ | |
zu gucken und den Krimi danach. Von Kindern und Jugendlichen werden | |
Bildschirme aber weitgehend zur Unterhaltung genutzt – und die hat | |
gesellschaftlich einen relativ geringen Stellenwert, sofern man | |
produktivere Alternativen hat. Es geht auch um die Optik: Kinder starren | |
mit halboffenem Mund auf den Bildschirm, sie bekommen nichts mehr mit, man | |
muss sie mehrmals ansprechen, bevor sie reagieren. Da können Leute schnell | |
auf die Idee kommen, dass das nicht gut sein kann. | |
Ich saß als Kind so vor Büchern … | |
Richtig, das war früher mit Büchern so, mit dem Radio auch, mit Comics. So | |
ist das bei neuen Medien, ältere Generationen sind immer skeptischer | |
gegenüber den Medien der Nachkommengeneration, weil sie damit selber | |
weniger Erfahrung haben. Und natürlich weil sie als Eltern den Instinkt | |
haben, bei ihren Kindern auf Gefahren zu achten, und dadurch sind sie da | |
vielleicht einfach etwas unentspannt. | |
Wer im Internet dazu nach Informationen sucht, findet etwa [4][einen | |
Artikel] vom Deutschen Grünen Kreuz: „Zahlreiche Studien bestätigen: | |
Fernsehen macht Kinder dumm.“ Darin steht auch: „Wer als Kind viel | |
fernsieht, erreicht als junger Erwachsener einen schlechteren | |
Schulabschluss.“ Was halten Sie davon? | |
Ein typischer Fall von „Gut gemeint ist nicht gut gemacht“. Natürlich gibt | |
es Studien, in denen wir Korrelationen finden zwischen Fernsehkonsum und | |
Leistung in der Schule. Wir sehen vielleicht: Kinder, die fünf Stunden am | |
Tag fernsehen, schneiden schlechter in der Schule ab. Klar, weil keine Zeit | |
für anderes bleibt. Aber diese Vorstellung, dass jede extra Minute vor dem | |
Bildschirm irgendwo einen Punkt Abzug bedeutet, dafür gibt es keine | |
Evidenz. Schon gar nicht in dieser Kausalität. | |
Die Bildschirmzeiten sind asymmetrisch verteilt in der Gesellschaft. In | |
finanziell schwächeren Schichten nutzen Kinder oft unüberwacht Bildschirme. | |
Die sind aber auch aus anderen strukturellen Gründen benachteiligt – etwa | |
bei der Unterstützung in der Schule. Man kann also nicht einfach sagen, | |
dass diese Empfehlungen zu maximalen Bildschirmzeiten wissenschaftlich | |
fundiert seien. | |
Aber weniger ist dennoch immer besser als mehr? | |
Kommt darauf an. In den Studien der vergangenen 15 Jahre sieht man eine | |
interessante U-Verteilung. Sowohl bei Kindern, die ganz, ganz wenig | |
fernsehen, wahrscheinlich weil sie nur wenig dürfen, als auch bei Kindern, | |
die sehr viel fernsehen, gibt es Korrelationen zu anderen Faktoren des | |
Lebens, die wir für wichtig halten: Schulleistungen, Schlaf, Pflege von | |
Freundschaften. Bei dem großen Teil in der Mitte dagegen kann man keine | |
großen Unterschiede feststellen. In den extremen Spitzen, also bei gar | |
nicht und sehr viel fernsehen, kann man davon ausgehen, dass auch noch | |
andere Dinge im Umfeld im Argen liegen. Das liegt auf der Hand, aber das | |
ist wissenschaftlich gesehen sehr schwierig auseinanderzuhalten und zu | |
messen. | |
Das heißt: Fernsehen an sich kann eine Bereicherung sein für Kinder? | |
Natürlich, richtig eingesetzt kann jedes Medium eine Bereicherung sein. Es | |
werden ja auch schöne Geschichten erzählt im Fernsehen – und genauso, wie | |
es gute Bücher gibt, aber auch totale Schrottbücher, ist es auch mit dem | |
Fernsehen. Man muss sich von dieser Idee von diesem uniformen | |
Bildschirmzeiteffekt verabschieden. Es kommt sehr darauf an, was man | |
ansieht und was man daraus macht: Spricht man als Kind mit seinen Eltern | |
oder Gleichaltrigen darüber, was man da gesehen hat? Das hat völlig andere | |
Effekte, als alleine unüberwacht fernzusehen. | |
Nun können sich viele Eltern mit Fernseher und Smartphone anfreunden oder | |
sogar identifizieren, aber die Spielkonsole ist dann der Streitpunkt. Ist | |
die Skepsis hier berechtigt? | |
Nein. Ich wäre dem Fernseher gegenüber noch kritischer als der | |
Spielkonsole. Die Konsole ist immerhin noch ein Spielzeug, man erkennt | |
Parallelen zum physischen Spielzeug. Insgesamt geht von der Konsole keine | |
magische Bedrohung aus, wenn altersgerechte Spiele gespielt werden. Und je | |
mehr die Eltern daran teilnehmen, umso besser. Solange das Buffet an | |
Spielzeug und Beschäftigung im Leben eines Kindes unterschiedlich genug | |
ist, muss man keine Bedenken haben. Ein Problem besteht immer erst dann, | |
wenn es nur noch das eine ist. | |
Gibt es denn den einen richtigen Weg, als Eltern die Mediennutzung mit | |
seinen Kindern zu vereinbaren? | |
Es kann je nach familiärer Situation schwierig sein für Eltern, die | |
Mediennutzungszeiten ihrer Kinder sinnvoll zu überwachen oder zu gestalten. | |
Wenn man alleinerziehend ist und Vollzeit arbeiten muss, dann sind die | |
Kinder eben irgendwann alleine zu Hause und diese Situation ist unlösbar. | |
Kinder sind auch sehr unterschiedlich. Die Vorstellung, dass wir als | |
vernünftige Erwachsene alle vernünftige Kinder haben, mit denen wir | |
vernünftig über Mediennutzung sprechen, das stimmt vielleicht für einige, | |
aber eben nicht für alle. Gut regulierte Mediennutzung hat auch nicht für | |
alle Familien die höchste Priorität, da gibt es vielleicht andere Dinge, um | |
die man sich zuerst kümmern muss. Deshalb ist es einerseits schwierig, | |
generelle Empfehlungen umzusetzen, andererseits sollte man eben auch nicht | |
überschätzen, welche Konsequenzen von Mediennutzung ausgehen in einem | |
größeren sozioökonomischen Kontext. | |
Eltern können sich derzeit also getrost [5][um alles andere zuerst Sorgen] | |
machen? | |
Ja, ich denke nicht, dass man sich ausgerechnet jetzt vorrangig über | |
Bildschirmzeit und Mediennutzung Gedanken machen muss. Ich finde es auch | |
eigenartig, wie das befeuert wird – sowohl von Politik als auch von der | |
Wissenschaft. Klar, die Kinder sind mehr zu Hause, Freizeitangebote fallen | |
weg. Aber ich sehe nicht, warum wir uns jetzt darum sorgen müssten, anstatt | |
darum, ob Freundschaften noch gepflegt werden können oder was für | |
nachhaltige Effekte die verpasste Schulzeit hat. | |
29 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Entschaedigung-fuer-Eltern/!5733940 | |
[2] https://www.baby-und-familie.de/Coronavirus/Studie-zu-Lockdown-Kinder-viel-… | |
[3] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/geflimmer-im-zimmer/86432 | |
[4] http://www.aba-fachverband.org/fileadmin/user_upload_2008/medien/Fernsehen_… | |
[5] /Kinder-in-der-Coronakrise/!5691595 | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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