# taz.de -- Erziehungstipps im Internet: Elternbashing | |
> Auf Social Media ist Eltern-Kritik beliebt. Das liegt nicht nur an | |
> aufgeregten Kommentator*innen, sondern auch am Clickbaiting von Medien. | |
Bild: Totale Knaller sind Beiträge wie „Schnuller senken den IQ“ | |
Kaum etwas wird in sozialen Medien so drakonisch kommentiert wie Artikel | |
über vermeintliche Fehler von Eltern. Kommentiert von Eltern, die meinen, | |
sie seien besser als andere, und von Leuten, die selbst noch nie eine | |
Windel aus der Nähe gesehen haben – die wissen es bekanntlich am besten. | |
Totale Knaller sind Beiträge wie „Schnuller senken den IQ“, „So | |
[1][ungesund sind Reiswaffeln] wirklich“ oder wie vergangene Woche | |
[2][„Beruhigung mit Smartphone als Teufelskreis“]. Im Teaser steht, dass es | |
zwar eine schnelle Lösung sei, trotzigen Kindern das Smartphone in die Hand | |
zu drücken, doch das könne nach hinten losgehen, wie eine Studie zeige. | |
„Kinder, die häufig auf diese Weise beruhigt werden, versäumen es, eigene | |
Fähigkeiten zur Steuerung ihrer Gefühle zu entwickeln. Und auch Eltern | |
geraten in einen Teufelskreis.“ Auf dem Bild sieht man ein recht | |
entspanntes Kleinkind, das auf ein Handy schaut und irgendwie bleibt die | |
Frage: Worum geht es hier eigentlich? | |
In den Kommentaren verabschieden sich Leute unterdessen schon von der | |
gesamten Menschheit, wie wir sie kennen. Da ist die Rede von | |
verantwortungslosen, lieblosen Eltern. Von Kindern, ungewollt und | |
ungeliebt, die zu Zombies werden und als Erwachsene alles kurz und klein | |
schlagen, weil sie, gefesselt ans Smartphone, nicht gelernt haben mit ihrer | |
Wut umzugehen – ganz anders als die Kommentator*innen im Internet. | |
Alarm, Alarm! Die Kinder von heute gehen an Bildschirmen zugrunde, | |
schreiben Menschen an ihren Bildschirmen. | |
## Nicht mal jeder Wuntanfall | |
Wer sich etwas eingehender [3][mit der Studie] befasst oder zumindest den | |
Artikel liest, erfährt, dass es eigentlich um die regelmäßige Nutzung von | |
Smartphones zur Beruhigung von Wutanfällen bei Kindern zwischen drei und | |
fünf Jahren geht. Für die Studie wurden 422 Elternteile befragt, wie | |
wahrscheinlich sie ein Smartphone zur Beruhigung einsetzen würden. 146 | |
sagten: gar nicht, 36 sagten: sehr wahrscheinlich. Der Rest verteilt sich | |
dazwischen mit absteigender Anzahl nach zunehmender Wahrscheinlichkeit. | |
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem bei Kindern, die | |
[4][bereits Schwierigkeiten haben, ihre Emotionen zu regulieren], abgeraten | |
wird, Wutanfälle regelmäßig mit Smartphones zu beruhigen. Es sollen also | |
bereits vorhandene Schwierigkeiten nicht per Bildschirm umgangen und damit | |
verstärkt werden. Klingt logisch. Es geht aber weder um alle Kinder | |
[5][noch um jede Bildschirmzeit]. Es geht noch nicht mal um jeden | |
Wutanfall. | |
Klingt anders als auf Instagram. Ist aber keine gute Schlagzeile. So wie | |
„Kinder, die 24 Stunden am Tag schnullern, haben womöglich später einen | |
niedrigeren IQ, doch das liegt vielleicht an jenen Lebensumständen, die | |
erst dazu führen, dass sie so viel schnullern“ keine gute Schlagzeile wäre. | |
Oder: „Arsen in Reiswaffeln gefunden, aber keine Panik, wird erst | |
gefährlich, wenn sich Ihr Kind morgens, mittags und abends nur davon | |
ernährt“. | |
20 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Arsen-im-Grundnahrungsmittel/!5203793 | |
[2] https://science.orf.at/stories/3216531/ | |
[3] https://jamanetwork.com/journals/jamapediatrics/fullarticle/2799042?guestAc… | |
[4] https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/emotionsregulation-im-kindesalter-entw… | |
[5] /Medienpsychologe-Elson-zu-Kinder-und-TV/!5743064 | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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