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# taz.de -- Autonomiephase bei Kindern: Als Tiere wären wir ausgestorben
> Kinder wollen manchmal weder Schuhe noch Jacke anziehen, obwohl es
> draußen kalt ist. Vielleicht müssen ihre Strumpfhosenfüße mal auf den
> kalten Asphalt.
Bild: Haben einen Selbsterhaltungstrieb: Entenküken würde nie demonstrativ vo…
„Wenn sie sich anziehen würden, alles wäre so viel einfacher“, seufze ich
der Erzieherin zu. Sie nickt und lacht. Seit einer halben Stunde versuche
ich, die Kinder aus der Kita abzuholen. Der bald Zweijährige weigert sich.
Er trägt Body, Strumpfhose, Hose und Hausschuhe, weil es im Kindergarten
823 Grad Celsius hat. Das ist für die Kinder schön mummelig den ganzen Tag.
Für Eltern, die aus dem grauen Januar das Haus betreten, ist das wie
zweimal täglich Bikram-Yoga in Winterjacke, während man mit kleinen Kindern
diskutiert.
Der Fünfjährige zieht sich langsam, ohne die Hände zu benutzen, seine
Stiefel an. Der bald Zweijährige lässt sich zumindest die Hausschuhe
ausziehen. „Na Bravo“, denke ich, „jetzt hat er noch weniger an.“ Und a…
hätte er’s gehört, springt er auf, legt sich am anderen Ende der Garderobe
bäuchlings auf den Boden und kaut an seinem Brötchen.
Wenn nur diese eine Sache klappen würde. Obwohl – genau genommen sind es
zwei Dinge: das Anziehen und das Ausziehen. Denn die Sachen, die die Kinder
erst ums Verrecken nicht anziehen wollen, wollen sie schon wenig später ums
Verrecken nicht ausziehen.
Manchmal frage ich mich, wie die Menschheit überleben konnte, mit einer
Autonomiephase, die bei Kindern so ab 20 Monaten einsetzt und vier Jahre
dauern kann. Wenn Tierkinder die hätten, sie wären alle ausgestorben. Noch
nie habe ich kleine Enten gesehen, die demonstrativ von ihrer Mutter
wegschwimmen. Kleine Bergziegen, die lachend von der Klippe springen.
Babygazellen, die sich trotzig auf den Boden legen, wenn alle anderen vor
den Hyänen wegrennen. Was hat die Natur da verbockt? Wieso zieht sich
dieses Menschenkind nichts an, wenn es draußen 2 Grad hat?
## Kinder anziehen leichtgemacht
Die einfachste Erklärung ist, es zieht sich nicht an, weil es nicht weiß,
was „Draußen ist es kalt“ bedeutet. Kinder körperlich zu etwas zu zwingen,
sollte man dringend vermeiden, finde ich, sofern keine Gefahr besteht. Das
gilt auch fürs Anziehen oder fürs Zähneputzen.
Auch wenn es alle Nerven kostet. Also gehen wir raus. Er sieht seine
kleinen Strumpfhosenfüße an, die auf dem Asphalt stehen. „Hu“, ruft er,
„kalt!“ Er sieht mich schockiert an. Dann lässt er sich Schuhe anziehen.
Mehr nicht. Alle Leute auf dem Weg zur Straßenbahn sehen erst ihn an, dann
mich. Ihre Blicke sagen viel, aber keiner sagt was. Ich bin genervt. Der
Erste, der was sagt, darf selber versuchen, ihm die Jacke anzuziehen, denke
ich.
Bei der Haltestelle schaffe ich, ihm den Pullover überzustülpen. Dann Mütze
und Schal. Und die Jacke? „Nein!“, ruft er. In seinen Augen glitzert es. Er
sagt, wo Schluss ist. Was mit seinem Körper passiert. Und genau das ist
doch, was ich für ihn möchte? Also gut.
Auf dem Spielplatz frage ich regelmäßig, ob er die Jacke will. „Nein.“ Er
rennt mit seinem Ball hin und her. Ich stehe rum und friere. Mir könnte
jetzt auch keiner kommen und sagen, ich soll mal meine Jacke ausziehen.
31 Jan 2023
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Kolumne Kinderspiel
Kinder
Erziehung
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