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# taz.de -- Kinder, die durchdrehen: Stampfende Nervensysteme
> Wie eine kleine Elefantenherde auf Fischgrätparkett: Leise ist nicht die
> Zeitzone, in der Kinder leben. Dient ihr Durchdrehen dazu, Spannung
> abzubauen?
Bild: Kleine Kinder in der Wohnung: Geschrei, Gelächter, stampf, stampf, stampf
Es ist Schlafenszeit. Während ich schreibe, rennen die Kinder vom Bad ins
Kinderzimmer nebenan. Geschrei, Gelächter. Stampf, stampf, stampf, stampf.
Wie eine kleine Elefantenherde auf Fischgrätparkett.
In Gedanken schicke ich gute Energie an die Nachbarn unten. Wenn die
wüssten, wie oft ich an sie denke. Wie oft ich „Pssst“ und „Bitte leiser
gehen“ sage. Aber es hilft nichts, es sind Kinder – leise ist nicht die
Zeitzone, in der sie leben. Das Einzige, was passiert, wenn ich „Pssst“
sage, ist, dass sich der bald Zweijährige die Kuppe seines Zeigefingers
[1][auf die Nasenspitze legt und auch „Pssst“ sagt.] Dann ist er leise für
drei Sekunden. Das war’s.
Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu oft „Pssst“ sage, denn ich bin sehr
geräuschempfindlich und irgendwann wird es lächerlich. Die Kinder müssen
leben dürfen. Nebenan kreischen und kichern die beiden gerade um die Wette.
Sie springen auf dem Bett. Ich habe hier natürlich gut reden und
Noise-Cancelling-Kopfhörer. Ich bin sicher, die wurden für Eltern
entwickelt. Oder für Nachbarn von Eltern. Die Kinder kosten ihren Vater
gerade alle Nerven, die er nach seinem Arbeitstag noch hat. Es ist, als
hätten sie einen kleinen Sensor eingebaut, der misst, wie viel
Lebensenergie man abends noch übrig hat, nur um sie dann auf ex zu saufen.
Ich habe letztens gelesen, dass viele Kinder gar nicht anders können, als
sich abends so aufzuführen. Dass dieses Durchdrehen vor dem Schlafengehen
dazu dient, Spannung abzubauen, das Nervensystem zu regulieren. Ich konnte
dazu auf die Schnelle keine wissenschaftliche Abhandlung finden. Aber der
Gedanke ist interessant, und waren wir als Kinder nicht genauso? Vielleicht
ist das also gar kein individuelles Problem und alle Eltern können
aufhören, sich zu ärgern, und Noise-Cancelling-Kopfhörer aufsetzen. Ist
halt das Nervensystem. Kann man auch den Nachbarn sagen.
Unter uns lebt eine sehr gelassene Frau. Ein paar Wochen nach unserem
Einzug habe ich sie im Treppenhaus kennengelernt. Sie war nett und
bemerkenswert gut mit den Kindern. Als ich fragte, in welchem Stock sie
wohnt, sagte sie: „Direkt unter Ihnen. Mit meinem Mann und zwei Katzen“,
sprang mir aus tiefstem Herzen ein „Oh je, das tut mir so leid“ über die
Lippen. Sie lachte. „Ach, gar nicht schlimm“, sagte sie. „Wir können auch
laut sein.“
Seither überlege ich, was sie damit wohl gemeint hat. Spielt sie
Schlagzeug? Er Tuba? Oder haben sie eine Megafonsammlung, die sie manchmal
Freunden vorführen? Vielleicht schreien die Katzen? Ich lausche
angestrengt. Aber ich höre – nichts.
Zumindest nicht von unten. Über uns wohnt eine Familie mit zwei kleinen
Nervensystemen. Gerade ist Schlafenszeit. Geschrei, Gelächter. Stampf,
stampf, stampf, stampf. Wie eine kleine Elefantenherde auf
Fischgrätparkett. In Gedanken schicke ich gute Energie an die Nachbarn
oben.
17 Jan 2023
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## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Kolumne Kinderspiel
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Heult doch!
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