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# taz.de -- Eine Reise in die Kindheit: Die Sache mit der Erinnerung
> Unsere Autorin möchte ihre Kindheitserinnerungen mit ihren Kindern
> teilen. Doch die sind wenig begeistert. Auch in Ordnung.
Bild: Die einen gucken beim Bahnfahren gerne aus dem Fenster, andere aufs Tablet
Die Kinder glotzen aufs Tablet, während ich ihnen zurufe: „Schaut doch mal,
habt ihr die Berge gesehen!“ Sie sehen kurz hoch mit einem Blick, der sagt:
„Ist gut jetzt, Mama.“ Dann schauen sie wieder dem kleinen Schaf aus Knete
zu, wie es über den Bildschirm hüpft. Ich sacke zurück in meinen Sitz.
Sehen sie denn nicht, was sie verpassen?
Wir sitzen in einer Schmalspurbahn. Mit maximal 80km/h auf dem Weg in die
Steiermark, wo wir Silvester bei meiner Familie verbringen. Ich bin hier
ewig nicht mehr gewesen, aber habe so viele wunderbare
Kindheitserinnerungen an diese Bahnstrecke und den Ort. Die Felswände
entlang durch die Berge, die kleinen Tunnel, der Ausblick. Wie ich mit
meinen Geschwistern dann durch die Straßen getigert bin. Wie meine Oma uns
ein paar Schillinge gab und wir zur Bäckerei gelaufen sind, um uns davon
Brausezuckerl zu kaufen.
Wie es überall nach Lebkuchen geduftet hat. Wie wir auf Skiern die Pisten
hinuntergesaust sind und danach Bananenkuchen auf der Hütte gegessen haben.
Die roten Wangen und die bleierne Müdigkeit, die sich mit der frischen Luft
abends wie eine Decke über uns gelegt hat. Wie wir im Garten meiner Oma
kleine Rennstrecken für Glasflaschen in den Schnee gebaut haben, bis uns
die Finger fast abgefallen sind vor Kälte. All die Weihnachtsfeste. All die
Jahreswechsel. All die schönen Momente.
Es sind Erinnerungen, die ich mit meinen Kindern teilen will. Das war ein
Grund, [1][wieso wir wieder nach Wien gezogen sind]. Näher bei der Familie
sein, damit die Kinder solche Erfahrungen machen können. Mehr
Bezugspersonen haben können. Immer nur die Eltern um sich zu haben, ist
anstrengend – für alle Beteiligten.
Nur ist es mit Erinnerungen so eine Sache: Sie sind nicht echt. Schon in
ihrer Selektion sind sie eine starke Verkürzung der Realität. Je länger sie
her sind, desto schwieriger ist es, dahinter zu blicken. Aber als ich da
sitze und aus dem Fenster den kleinen Zug in der nächsten Kurve in einen
Tunnel biegen sehe und mir wünsche, dass die beiden das auch sehen, fällt
mir wieder ein, wie langweilig mir das als Kind oft war.
Wie wir hier eine gefühlte Ewigkeit dahin getuckert sind und die 67. Runde
„Ich seh, ich seh, was du nicht siehst“ nur noch mit „Ist mir total egal�…
beantwortet werden konnte. Was hätte ich für ein Tablet gegeben.
Was wir hatten: [2][Die ganzen Weihnachtsfilme, das Fernsehprogramm um die
Feiertage], wir haben uns das alles reingezogen. Wir saßen stundenlang da,
haben Kekse gegessen und waren so glücklich über diese Ruhe in den Ferien.
Unsere Eltern bestimmt auch. Schule, Kindergarten und Arbeit waren
anstrengend genug. Und auch wenn das nicht die ersten Erinnerungen sind,
die mir heute in den Sinn kommen – sie waren genauso Teil der Realität.
Also beschließe ich als wir in den Tunnel fahren, locker zu lassen. Die
Kinder werden ihre Erinnerungen schon selbst finden.
3 Jan 2023
## LINKS
[1] /Umzug-mit-kleinen-Kindern/!5862299
[2] /Traditionen-an-Kinder-weitergeben/!5820833
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Kolumne Kinderspiel
Erinnerung
Kindheit
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