| # taz.de -- Bedrohte Fischbestände: Auf hoher See ist alles erlaubt | |
| > Ein Fall aus der Antarktis zeigt: Gegen illegale Fischerei gibt es | |
| > derzeit kaum ein Mittel. Die EU arbeitet an neuen Vorschriften. | |
| Bild: Umstrittenes Beweisstück: Das Foto des russischen Fischerei-Fahrzeugs �… | |
| Berlin taz | Wo war das russische Fischereifahrzeug „Palmer“ am 19. Januar | |
| 2020? Darüber ist unter den Mitgliedsländern der Kommission zur Erhaltung | |
| der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR) ein heftiger Streit | |
| entbrannt. Ein Beobachter der CCAMLR, einer Organisation mit 26 | |
| Mitgliedstaaten und -organisationen, [1][die die Fischbestände in den | |
| Meeren rund um den Südpol erhalten soll], hatte von Bord eines | |
| neuseeländischen Militärflugzeugs ein Fischereischiff fotografiert. | |
| Versehen mit Datum, Zeit und Ortsangabe zeigen die Aufnahmen ein unter | |
| russischer Flagge fahrendes Schiff. Es fuhr nicht nur auffällig langsam, | |
| sondern hatte auch seine Ausrüstung für Fischfang parat. Problem: Die | |
| „Palmer“ fuhr im östlichen Rossmeer, einem Meeresgebiet in der Antarktis, | |
| das zwar reich an Beständen von Seehecht ist. Doch fischen ist dort | |
| verboten. | |
| Nach weiteren Untersuchungen war Neuseeland schließlich zu dem Schluss | |
| gekommen, die Palmer habe illegal gefischt. Das Land beantragte auf der | |
| letzten Jahrestagung der CCAMLR im vergangenen Oktober, das unter | |
| russischer Flagge fahrende Schiff auf eine „schwarze Liste“ zu setzen und | |
| als IUU zu brandmarken – als illegale, ungemeldete und unregulierte | |
| Fischerei. Damit hätte die „Palmer“ legal nicht mehr fischen können. | |
| Mehrere Staaten und die EU unterstützen den Antrag, doch Russland | |
| verhinderte mit einem Veto die Aufnahme der „Palmer“ auf die IUU-Liste und | |
| bezichtigte Neuseeland, die Fotos manipuliert zu haben. Das Schiff sei zum | |
| Zeitpunkt der angeblichen Aufnahmen während der neuseeländischen Patrouille | |
| 799,8 Seemeilen von dem angeblichen Standort entfernt gewesen und habe gar | |
| nicht gefischt. Neuseeland wies den Vorwurf der Manipulation zurück; weil | |
| Beschlüsse im CCAMLR einstimmig beschlossen werden müssen, scheiterte der | |
| Antrag letztlich. Nun mailen sich die Parteien wütende Statements zu und | |
| konnten sich nur darauf einigen, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die auf | |
| der nächsten Tagung Ende 2021 einen Bericht vorlegen soll. | |
| Wie groß der Schaden durch illegale Fischerei ist, lässt sich nur grob | |
| schätzen. Das Rossmeer etwa, ein riesiges Gebiet, ist kaum zu überwachen | |
| und liegt außerhalb nationaler Hoheitsgewässer. „Niemand hat dort | |
| hoheitliche Befugnisse“, sagt Thomas Brey, Meeresökologe am | |
| Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung und deutscher | |
| Repräsentant im Wissenschaftsausschuss von CCAMLR. Die | |
| Welternährungsorganisation FAO geht davon aus, dass im Jahr 2030 bei einer | |
| weltweiten Fischproduktion von geschätzt 204 Millionen Tonnen jeder fünfte | |
| Fisch illegal gefangen und die IUU-Fischerei einen jährlichen Schaden von | |
| 23 Milliarden Dollar anrichten wird. | |
| ## EU-Parlament entscheidet über neue Regeln | |
| Auch in der EU ist das ein Thema. Am heutigen Dienstagabend will das | |
| EU-Parlament seine Position [2][zu der lange erwarteten EU-Verordnung zur | |
| Fischereikontrolle festlegen]; sie will der illegalen Fischerei mit | |
| elektronischen Logbüchern und einer besseren Rückverfolgbarkeit der Fänge | |
| innerhalb der Lieferkette einen Riegel vorschieben. „Was wir bräuchten, | |
| wären funktionierende und flächendeckende Seekontrollen, mithilfe von | |
| Sensoren an den Winden der Fangnetze, aber auch Kameras, die etwa die | |
| Sortierbänder im Blick haben“, sagt Stella Nemecky, Fischerei-Expertin der | |
| Umweltorganisation WWF, „dann könnten die Fischer gerichtsfest nachweisen, | |
| dass sie tatsächlich nur fischen, wo und was sie dürfen“. Doch diese | |
| Technik ist bislang in der Verordnung nicht verpflichtend vorgesehen. | |
| „So kann es nicht weitergehen“, sagt Thilo Maack, der sich als | |
| Meeresbiologe seit Jahren bei Greenpeace gegen illegalen Fischfang | |
| einsetzt. Weltweit kollabierten die Fischbestände, zum Beispiel seien | |
| einige Hochseehaiarten, die zu den üblichen Beifängen im weltweiten | |
| Thunfischfang gehören, um über 99 Prozent eingebrochen und damit akut vom | |
| Aussterben bedroht. | |
| „Jenseits der Hoheitsgewässer ist alles erlaubt, was nicht verboten ist“, | |
| kritisiert Maack. „Es müsste aber genau andersherum sein.“ Es müssten mehr | |
| Meeresschutzgebiete ausgewiesen werden, in denen Fischerei gänzlich | |
| verboten ist und die mittels Satellitentechnik überwacht werden. | |
| Schutzgebiete seien ohne „ein entsprechendes Management und strenge | |
| Kontrollen wirkungslos“, sagt Steffi Lemke, naturschutzpolitische | |
| Sprecherin der Grünen im Bundestag. Dies gelte national wie international. | |
| Der Vorfall um die „Palmer“ im Rossmeer zeige, „dass die | |
| Kontrollmechanismen der Antarktis-Kommission funktionieren“, so Lemke, | |
| „doch müssen dann auch Konsequenzen folgen und kriminelle Schiffe | |
| international gelistet und mit Fangverboten versehen werden.“ | |
| Wissenschaftler Brey hält „Öffentlichkeit herstellen“ für das wirksamste | |
| Mittel gegen IUU-Fischerei. „Sie braucht gute Netzwerke an Land, die die | |
| Schiffe finanzieren und für den Vertrieb des Fangs sorgen – und vielleicht | |
| auch Behörden, die im richtigen Moment mal wegschauen“, sagt Brey. Diese | |
| Verbindungen und Hintermänner gelte es ans Licht der Öffentlichkeit zu | |
| zerren, um „politischen Druck zu erzeugen“. | |
| 9 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Heike Holdinghausen | |
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