# taz.de -- Schleppnetze in Schutzgebieten: Schutzlos geschützt | |
> Deutschland hat 2017 sechs Areale in Nord- und Ostsee als | |
> Meeresschutzgebiete ausgewiesen. Sicher sind die dortigen Meeresbewohner | |
> aber mitnichten. | |
Bild: Fischer bereiten ihre Netze für die nächste Fahrt vor: Sie fangen auch … | |
HAMBURG taz | Die Einschätzung von Steffi Lemke ist ernüchternd: „In Nord- | |
und Ostsee droht die weitere Zerstörung einzigartiger Lebensräume“, sagt | |
die naturschutzpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Die | |
Meeresschutzgebiete vor deutschen Stränden seien durch die Fischerei stark | |
bedroht, hat ihr das Bundesumweltministerium auf ihre Anfrage hin | |
mitgeteilt. | |
„Die größte physikalische Beeinträchtigung des Meeresbodens erfolgt durch | |
die flächendeckend stattfindende Fischerei mit bodenberührenden | |
Grundschleppnetzen“, heißt es in der Antwort der Umwelt-Staatssekretärin | |
Rita Schwarzelühr-Sutter(SPD). „Dadurch erreichen die Lebensräume des | |
Meeresbodens und die Meeresfische insgesamt nicht den guten Umweltzustand.“ | |
Deutschland hat im September 2017 sechs Areale in Nord- und Ostsee als | |
Meeresschutzgebiete ausgewiesen (siehe Kasten). „Dieses Label wird ad | |
absurdum geführt“, sagt Lemke. Denn in diesen Schutzgebieten ist die | |
Intensität der Schleppnetzfischerei, das stellten Wissenschaftler des | |
Kieler Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung im Dezember 2018 fest, | |
„im Durchschnitt um 40 Prozent höher als außerhalb der Schutzgebiete“, | |
räumt Schwarzelühr-Sutter ein. Diese Studie decke sich mit „Erkenntnissen, | |
die deutschen Fachbehörden vorliegen“. | |
Was dagegen zu tun wäre, weiß das Bundesumweltministerium auch: mit den | |
Nachbarn reden. Für die Nordsee habe sich Deutschland bereits mit den | |
Nachbarstaaten abgestimmt, der Antrag werde nun der EU-Kommission | |
vorgelegt. Für die Ostsee sei man noch nicht so weit. Vorschläge für ein | |
besseres Fischereimanagement werden derzeit mit den Küstenländern und den | |
Fischereien sowie Naturschutzverbänden „erörtert“, schreibt die | |
Staatssekretärin. | |
## Fauler Kompromiss | |
Was sie nicht schreibt, ist, dass Dänemark und die dänische | |
Fischereiwirtschaft lange jede Einigung blockiert hat. Auf diesen Druck hin | |
hat die Bundesregierung die geplanten Maßnahmen massiv geschwächt, bevor | |
der „Kompromiss“ der EU vorgelegt wurde. | |
So gibt es weiterhin keine Beschränkungen der Schleppnetz- und | |
Stellnetzfischerei in Meeresschutzgebieten. Im Schutzgebiet Sylter | |
Außenriff wird ein breiter Korridor entlang besonders schützenswerter | |
Bodenstrukturen für die Schleppnetzfischerei und die Sandaalfischerei | |
geöffnet. Stellnetze, die für den existenzbedrohenden Rückgang der | |
Schweinswalbestände verantwortlich sind, werden in keinem der Schutzgebiete | |
eingeschränkt. Damit werden „verheerende Eingriffe in die empfindlichen | |
Ökosysteme der Nordsee“ fortgesetzt, urteilt Lemke. „Das ist ein Einknicken | |
vor der dänischen Fischereiindustrie.“ | |
Für die Ostsee-Schutzgebiete hat die Bundesregierung vor zwei Wochen einen | |
Entwurf mit mehreren Maßnahmen vorgelegt. Diese Pläne sehen etwa eine | |
weiträumige Einschränkung der Schleppnetzfischerei in Schutzgebieten vor. | |
Für die Stellnetzfischerei hingegen, die Jahr für Jahr nachweislich für den | |
Tod Hunderter Schweinswale und Tausender Seevögel verantwortlich ist, soll | |
es keinerlei Beschränkungen geben. Das könnte das Ende für die vom | |
Aussterben bedrohten Ostsee-Schweinswale bedeuten, befürchtet Lemke. | |
Die Schutzgebiete sollen vor allem besonders wertvolle Biotope wie Riffe | |
und Sandbänke schützen. Aber genau jene Habitate sind nach den | |
Erkenntnissen des Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung von | |
Grundschleppnetzen besonders betroffen. Dort leben nicht in ihrer Existenz | |
bedrohte Speisefische wie Scholle und Steinbutt, aber auch Rochen, Haie und | |
Dorsche. | |
Deren Populationsgrößen werden in den Zustandsberichten der Meere insgesamt | |
als schlecht bewertet. Und die „naturzerstörerische“ Fischerei mit Stell- | |
und Schleppnetzen bedrohe weiterhin „unsere wertvollen Ökosysteme“ in Nord- | |
und Ostsee, sagt Lemke: „Schweinswale sterben als Beifang, schützenswerte | |
Riffe werden einfach umgepflügt.“ | |
## Erster wichtiger Schritt | |
Mit der Schutzgebietsverordnung vor eineinhalb Jahren habe das | |
Bundesumweltministerium „einen wichtigen ersten Schritt zum Schutz der | |
Artenvielfalt an den Küsten“ gemacht, lobten seinerzeit acht deutsche | |
Umweltverbände in einer gemeinsamen Erklärung. Und fügten an, dass nun aber | |
auch ein klares Management und effektive Kontrollen notwendig seien, damit | |
der Schutz von Nord- und Ostsee nicht nur auf dem Papier stehe. | |
Thilo Maack, Fischerei-Experte von Greenpeace, bleibt indessen skeptisch: | |
„Der Naturschutz fällt regelmäßig unter den Tisch, wenn er mit | |
wirtschaftlichen Interessen kollidiert.“ | |
17 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
## TAGS | |
Fischerei | |
Meeresschutz | |
Umweltschutz | |
Meeresschutz | |
EU | |
Nordsee | |
Ostsee | |
Fischerei | |
Meeresschutz | |
umweltverbände | |
Ostsee | |
Naturschutz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
EU-Verbot von Schleppnetzen: Fischer fürchten um Existenz | |
Wegen eines EU-Verbots von Schleppnetzen fürchten Nordseefischer das Aus | |
ihrer Betriebe – und protestieren bei der Agrarministerkonferenz in Büsum. | |
Mängel beim Meeresschutz in Nordsee: Keine Netze, null Nutzung | |
Die EU kritisiert, dass Deutschland nicht genug tut, um Schutzgebiete in | |
der Nordsee zu schonen. Grund- und Stellnetze sollen dort verboten werden. | |
Umweltverbände gewinnen Mitglieder: Die Hitze treibt Menschen in Vereine | |
In NRW sind mehr Menschen in die Umweltverbände Nabu und BUND eingetreten | |
als je zuvor. Gründe sind der trockene Sommer und der Hambacher Forst. | |
Naturschutz in Nord- und Ostsee: Artenschutz auf dem Papier | |
Als sechs Gebiete unter Naturschutz gestellt wurden, waren Umweltverbände | |
voll des Lobes. Doch für Kontrolle und Management gibt es kaum Personal. | |
Novelle Bundesnaturschutzgesetz: Naturschutz kommt zuletzt | |
Die Schutzgebiete in Nord- und Ostsee sollen künftig vom Wohlwollen der | |
Wirtschaftslobby abhängig werden. Acht deutsche Umweltverbände | |
protestieren. |