# taz.de -- Naturschutz in Nord- und Ostsee: Artenschutz auf dem Papier | |
> Als sechs Gebiete unter Naturschutz gestellt wurden, waren Umweltverbände | |
> voll des Lobes. Doch für Kontrolle und Management gibt es kaum Personal. | |
Bild: Nur die Möwen schauen hin: Wer will, kann in den Schutzgebieten in Nord-… | |
HAMBURG taz | Der Meeresschutz in Deutschland verkomme zum | |
„Etikettenschwindel“, befürchtet Steffi Lemke. Offensichtlich ignoriere die | |
Bundesregierung weiterhin „die Brisanz von Klimakrise, Artensterben und | |
Naturzerstörung“, kritisiert die Parlamentarische Geschäftsführerin und | |
naturschutzpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Der Grund | |
für Lemkes Empörung: Das Bundesumweltministerium der SPD-Ministerin Svenja | |
Schulze will bloß eine einzige Planstelle für den Meeresschutz schaffen. | |
Von einer „effektiven Absicherung der Naturschutzgebiete in Nord- und | |
Ostsee“ könne somit keine Rede sein, schreibt Lemke in einem Brief an die | |
Ministerin, welcher der taz.nord vorliegt. | |
Ende September 2017 hatte die damalige Umweltministerin Barbara Hendricks | |
(SPD) sechs Meeresgebiete in Nord- und Ostsee unter Naturschutz gestellt. | |
Die sechs Gebiete „Doggerbank“, „Borkum Riffgrund“ und „Sylter | |
Außenriff/Östliche Deutsche Bucht“ in der Nordsee sowie „Fehmarnbelt“, | |
„Kadetrinne“ und „Pommersche Bucht/Rönnebank“ in der Ostsee umfassen r… | |
30 Prozent der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Deutschlands. Die im | |
Höchstfall 200 Seemeilen breite – in der schmalen Ostsee nur bis zur Mitte | |
reichende – AWZ, in der Meeresanrainer Priorität bei der wirtschaftlichen | |
Nutzung vor ihren Nachbarstaaten genießen, schließt sich an das zwölf | |
Seemeilen breite Hoheitsgebiet an und unterliegt der Zuständigkeit des | |
Bundes, nicht der Küstenbundesländer. | |
## Sogar die Umweltverbände lobten den Artenschutz | |
Mit der Schutzgebietsverordnung habe das Umweltministerium „einen wichtigen | |
ersten Schritt zum Schutz der Artenvielfalt an den Küsten“ gemacht, lobten | |
damals acht deutsche Umweltverbände in einer gemeinsamen Erklärung. Und | |
fügten an, dass nun auch ein klares Management und effektive Kontrollen | |
notwendig seien, damit der Schutz von Nord- und Ostsee nicht nur auf dem | |
Papier stehe. | |
Eben das aber tut er, hat Lemke nun herausgefunden. Im Bundeshaushalt 2019, | |
der zurzeit im Bundestag diskutiert wird, „ist nach vorläufigem | |
Planungsstand vorgesehen, eine zusätzliche neue Planstelle des höheren | |
Dienstes einzusetzen“, so die der taz.nord ebenfalls vorliegende Auskunft | |
von Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im | |
Umweltministerium, an Lemke. „Damit ist eine erste Grundausstattung für die | |
Wahrnehmung der Aufgaben gewährleistet, schreibt die Staatssekretärin. | |
„Etwaige zwischenzeitliche Arbeitsspitzen sind durch | |
Priorisierungsentscheidungen zu bewältigen.“ | |
Wie eine einzige höhere Planstelle sechs Meeresschutzgebiete vor | |
Norddeutschlands Küsten managen, überwachen und kontrollieren soll, ist | |
Lemke schleierhaft. Die Fischerei mit Stell- und Schleppnetzen würde | |
weiterhin „unsere wertvollen Ökosysteme“ in Nord- und Ostsee bedrohen, | |
„Schweinswale sterben als Beifang, schützenswerte Riffe werden einfach | |
umgepflügt“, kritisiert die Grüne. Und die Naturschutzbehörden könnten ih… | |
Aufgaben wegen Personalmangels nicht ausreichend erfüllen. „Das ist kein | |
Zufall, sondern politisches Kalkül der Bundesregierung“, glaubt Lemke. | |
Denn eigentlich sollte das Bundesamt für Naturschutz (BfN) für die Pflege | |
der Meeresschutzgebiete 18 Planstellen erhalten. Zwei dieser Planstellen | |
wurden bereits für das Jahr 2018 bewilligt, die Besetzungsverfahren seien | |
ein Jahr später, verkündet Schwarzelühr-Sutter nun, „bereits eingeleitet | |
beziehungsweise in Vorbereitung“. Eine weitere Stelle soll im kommenden | |
Jahr hinzukommen, von den übrigen 15 Stellen ist vorerst keine Rede mehr. | |
„Soweit sich das Risiko eines Umsetzungsdefizits konkretisiert“, teilt die | |
Staatssekretärin umständlich mit, könne „sukzessive eine Aufstockung | |
anzustreben sein“ – aber frühestens nach 2020. | |
Lemke ist konsterniert. Im derzeit debattierten Bundeshaushalt 2019 sind | |
nach ihrer Rechnung 8.750 neue Planstellen vorgesehen, davon „allein 350 | |
neue für die PKW-Maut“. Für die Umsetzung und Überwachung der | |
Meeresschutzgebiete soll es hingegen lediglich eine weitere Stelle geben. | |
„Konkrete Maßnahmen der Naturschutzbehörde zum Schutz von Schweinswalen, | |
Sandbänken und Riffen oder zahlreichen Seevogelarten können daher nicht | |
ergriffen werden“, befürchtet Lemke deshalb. | |
Zudem drohen sie durch ungehemmte Fischerei auch in Schutzgebieten | |
„konterkariert“ zu werden, fürchtet sie. Denn die Bundesregierung habe auf | |
EU-Ebene in Brüssel Dänemark in Aussicht gestellt, in einem Korridor durch | |
das Naturschutzgebiet Sylter Außenriff weiterhin „mit naturzerstörerischen | |
Schleppnetzen“, sagt Lemke, „verheerende Eingriffe in die empfindlichen | |
Ökosysteme der Nordsee“ fortsetzen zu dürfen: „Das ist ein Einknicken vor | |
der dänischen Fischereiindustrie“, so Lemkes Urteil. | |
## Der Naturschutz fällt regelmäßig unter den Tisch | |
Ähnlich sieht das auch Thilo Maack, Fischerei-Experte von Greenpeace, einem | |
der acht Umweltverbände, die vor einem Jahr die Meeresschutzgebiete gelobt | |
hatten. „Der Naturschutz fällt regelmäßig unter den Tisch, wenn er mit | |
wirtschaftlichen Interessen kollidiert“, sagt Maack, und die Fischerei sei | |
weiterhin „vollkommen unreguliert“. Mit dem vorgesehenen Personalschlüssel | |
könnten Kontrollen nicht funktionieren, sagt Maack: „Daran kann man | |
erkennen, wie wichtig der Bundesregierung der Meeresschutz ist.“ | |
22 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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