# taz.de -- Zukunftssorgen der Ostseefischer: Im Trüben fischen | |
> Peter Dietze ist einer der beiden letzten Fischer in Niendorf an der | |
> Lübecker Bucht. Er weiß nicht, wie es in den nächsten Jahren weitergehen | |
> wird. | |
Bild: Dorthin unterwegs, wo die Dorsche schwimmen: Kutter | |
NIENDORF taz | Peter Dietze kommt mit Cola und Knäckebrot an Bord seines | |
Kutters. Dietze ist Fischer, jede Nacht ist er unterwegs, damit seine | |
Kunden am nächsten Morgen frischen Fisch haben. Die Luft riecht salzig, es | |
ist noch mild draußen und Interessierte haben es sich auf Stühlen direkt am | |
Ufer mit Weingläsern in der Hand gemütlich gemacht. | |
Um halb sechs Uhr abends verlässt die „NIE 5“ den Niendorfer Hafen, südli… | |
von Timmendorfer Strand direkt am Brodtener Steilufer. Die Schaulustigen | |
beobachten den hinausfahrenden Kutter, ein Dutzend hungrige Möwen begleiten | |
ihn kreischend. | |
Seit 2013 fischt Dietze in der Lübecker Bucht, begleitet wird er seit | |
Kurzem von seinem Lehrling Mathias. Heute geht es hinaus bis vor Neustadt. | |
Dort wirft Dietze die Netze aus: Insgesamt fünf Kilometer. Heute Nacht will | |
er Dorsche fangen. Mit seinen Stellnetzen peilt er bekannte Orte an, an | |
denen Dorsche früher schon auf Futtersuche waren und ins Netz gegangen | |
sind. | |
Das Stellnetz ist eine eher selektive Fangmethode, durch die Platzierung | |
und Maschenweite kann eine bestimmte Fischart gefangen werden. Für den | |
Dorsch sind es 110 Millimeter. Die untere Leine des Stellnetzes ist durch | |
Blei erschwert, sodass es nach unten sinkt. Die leichte obere Leine | |
schwimmt dann an der Oberfläche. | |
## Wale verheddern sich im Netz | |
Ins Stellnetz gehen aber auch Schweinswale als Beifang, Dietze hat in der | |
Vergangenheit zwei gefangen. Mittlerweile haben seine Netze einen | |
sogenannten PAL, der einen Warnruf an die mit den Delfinen verwandten | |
Kleinwale aussendet. Laut Dietze bisher mit hundertprozentigem Erfolg. | |
Auf Futtersuche sehen die Fische das dünne Netz nicht und schwimmen hinein, | |
beim Versuch sich zu befreien, verheddern sie sich immer mehr. Volle drei | |
Stunden heißt es dann: Warten. | |
Dietze erklärt, dass das Wasser im Sommer für die Fische zu warm ist, | |
deshalb halten sie sich oft im tieferen Wasser auf. Aufgrund der hohen | |
Wassertemperaturen müssen die Netze im Sommer bereits drei Stunden später | |
wieder eingefahren werden, sonst wäre der Fisch nicht mehr frisch. Langsam | |
geht die Sonne unter, der Himmel ist in Lila und Orange getaucht. Am Ufer | |
wabern Nebelschwaden. Es ist windstill, das Wasser kräuselt sich nur | |
minimal. | |
Mit Einbruch der Dunkelheit wird es langsam kühler, die Zeit bis zum | |
Reinholen der Fische vertreibt sich Dietze im Steuerhaus mit Filmen, heute: | |
„Das Boot“. Drinnen ist es mollig warm, die Heizung läuft mit dem | |
Kondenswasser des Motors. Dietze will heute 100 Kilogramm Dorsch fangen, | |
seine Erfahrungswerte werden heute Nacht überprüft. Bei gutem Fang wird er | |
diese Gebiete in den nächsten Nächten beim Dorschfang erneut anfahren. | |
Dietze darf in diesem Jahr 14 Tonnen anlanden, was laut ihm nicht viel ist. | |
Zwar wurde die Dorschquote 2019 um 70 Prozent angehoben, doch davor war sie | |
jahrelang gesenkt worden. „Das Problem, dass wir nichts finden, haben wir | |
nicht“, sagt Dietze. „Wir müssen uns die Menge über das Jahr nur gut | |
einteilen.“ Bei wenig Quote bedeutet das für ihn weniger Netze, die er | |
ausfahren darf. Wenn Fische dann woanders sind, wie etwa im tieferen | |
Wasser, sind Nächte mit wenig Fang wahrscheinlicher. | |
## Was soll er machen, wenn nicht Fischer sein? | |
Im nächsten Jahr sollen weitere Quotenkürzungen kommen, Dietze weiß nicht, | |
ob er dann noch jeden Tag hinaus fahren kann. Die Folge: Auch sein | |
Verkaufsstand im Niendorfer Hafen müsste er an einigen Tagen geschlossen | |
halten. Diese Unsicherheit treibt ihn um, so wie viele Ostseefischer. Im | |
Niendorfer Hafen waren es mal elf, mittlerweile sind es nur noch zwei. | |
Dietze findet die Quotenverteilung ungerecht. Gerade für junge Anwärter | |
wäre es attraktiver, wenn kleinere Fischer mehr Quote abbekommen würden. | |
Auch hat er bereits mehrmals überlegt, ob er nicht doch umsteigen soll. | |
„Außer technischem Grundwissen habe ich allerdings keine andere Ausbildung, | |
als Fischer zu sein“, sagt er. | |
Dennoch könne man vom Fischerberuf noch leben, findet er, sonst würde er | |
niemanden ausbilden. Es sei für ihn eher privat eine Herausforderung, wenn | |
er nachts auf dem Wasser ist und nicht bei seinem kleinen Sohn. | |
Es kommt Bewegung in den Kutter, Dietze macht die Scheinwerfer an, Licht | |
flutet das Fischerboot. Die Netze werden eingeholt und landen auf einer | |
Metallrutsche, auf der die Fische aus ihnen befreit werden. Lehrling | |
Mathias verarbeitet sie umgehend und schlitzt die erstickenden Tiere auf, | |
um ihnen die Eingeweide zu entnehmen. Dann bluten die Fische in einem | |
Wassereimer aus. | |
Dietze schiebt derweil die leeren Netze weiter und navigiert den Kutter. | |
Die beiden Männer sind dick verpackt, um der Kälte zu trotzen. Schon bald | |
ist der Boden voller Blut und Dreck und genau danach riecht es auch. Mit | |
den schwarzen Fischerhandschuhen schmeißt Dietze die lebenden Tiere von der | |
Rutsche in die Plastikbox, als seien sie bereits die Ware, die er verkauft. | |
## In faulige Netze schwimmt kein Fisch | |
Es kommen viele Plattfische durch die Rutsche, nur einige Dorsche sind | |
dabei. Daneben gibt es eine Menge Quallen und viele Algen. Das liege an der | |
Überdüngung des Meeres, sagt Dietze. Dadurch gebe es mehr Algen, die in | |
seinen Netzen landen. Sie seien der Grund dafür, dass der Sauerstoffgehalt | |
des Meeres so niedrig ist und die Fische sterben. Die Netze müssten später | |
an Land erst trocknen, bis die Algen faulen und die Netze von ihnen befreit | |
werden können. Sonst schwimme kein Fisch mehr hinein. | |
Manche der Plattfische schmeißt Dietze über Bord, „zu wenig Fleisch dran“, | |
meint er. Im Verlauf kommen noch einzelne Makrelen an Bord, auch Schollen | |
sind dabei. Und eine Kliesche. „Nicht gerade viel“, meint Dietze | |
achselzuckend. | |
Um etwa halb zwei nachts hat er alle Netze eingefahren und nimmt Kurs | |
zurück in Richtung Hafen. Seine Müdigkeit ist ihm anzumerken, jede Nacht | |
den gleichen Ablauf, das hinterlässt Spuren. Seine Ausbeute ist mager, | |
seine geplanten 100 hat er um 16 Kilogramm verfehlt. Neben dem kleinen | |
Kutter hat Dietze zwar einen weiteren, doch ein Mitarbeiter fehlt | |
krankheitsbedingt. | |
Zurück an Land werden die Fische auf dem Gabelstapler verladen. Dietze | |
fährt sie in das Kühllager, wo sie auf Eis gelegt werden. Danach bringt er | |
sie direkt in seinen blauen Stand „Schupp den Fisch“. Ihren Frischfisch | |
müssen die Hafenbesucher aber bei Dietzes Kollegen kaufen. Er selbst muss | |
erst mal ausschlafen. | |
Mehr über das Fischessen, ob vegane Fischstäbchen oder Dorsch, lesen Sie im | |
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23 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Gebauer | |
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