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# taz.de -- Auswirkungen des Brexit auf die Fischerei: Kampf um den Kabeljau
> Nach dem Brexit droht auf der Nordsee ein Konflikt um Fangrechte. Denn
> die europäische Fischereipolitik ist einer der heikelsten Punkte.
Bild: Die einzigen Gewinner beim Brexit könnten die Fischbestände in der Nord…
HAMBURG taz |Britische Boulevardmedien lieben es drastisch. Von
„Scharmützeln“, gar einem „Krieg um die Jakobsmuschel“ schwadronierten…
im September vorigen Jahres. Da hatten 40 französische Fischkutter im
Ärmelkanal mehrere kleinere Fischerboote des Vereinigten Königreichs
abgedrängt. Frankreich warf den Briten vor, in der Meeresstraße 35.000
Tonnen Jakobsmuscheln „zum Nachteil der Franzosen“ gefangen zu haben, in
Paris drohte der Landwirtschaftsminister dem Nachbarn mit dem Einsatz der
Marine.
Es sind Szenen wie aus dem Kabeljaukrieg zwischen Großbritannien und Island
Mitte der 1970er-Jahre. Nachdem Island einseitig eine Schutzzone von 200
Seemeilen um die Nordmeerinsel ausgerufen hatte, fuhren britische Fischer
damals unter dem Schutz von Kriegsschiffen in dieses Gebiet. Es gab einen
Toten, mehrere Kollisionen und absichtliche Rammungen von Schiffen. Erst
nach langwierigen Vermittlungen durch die Vereinten Nationen wurde der
Konflikt beigelegt, ohne dass die beiden Nato-Partner aufeinander
geschossen hätten.
Ganz so schlimm wird es zwischen Frankreich und Großbritannien wohl nicht
werden. Über den Winter haben sich die Gemüter wieder beruhigt. Aber der
Konflikt war eine erste Kostprobe davon, wie es nach dem Brexit auf der
Nordsee zugehen könnte: denn die europäische Fischereipolitik ist einer der
heikelsten und noch völlig ungeklärten Punkte.
In Regierung und Parlament in London habe offenbar jeder eine eigene Idee,
mutmaßt Peter Breckling, Generalsekretär des Deutschen Fischereiverbandes
mit Sitz in Hamburg, der jüngst mit einer Delegation aus Politik und
Wirtschaft in der britischen Hauptstadt Gespräche führte. „Die sind da ganz
entspannt, aber dass sie einen Plan haben, bezweifle ich“, sagt Breckling.
Bei all dem „Kasperletheater im Unterhaus“ sei es ihm noch nicht gelungen,
„eine stringente Linie in der britischen Fischereipolitik zu entdecken“.
## London will allein im eigenen Hoheitsgebiet fischen
Denn in den Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien ist für
die Fischerei noch keine Lösung gefunden worden. Ungeregelt ist vor allem
der Zugang zu den fischreichen britischen Gewässern. Bislang war das
innerhalb der EU kein Problem, solange die vereinbarten Fangquoten
eingehalten wurden. Nun aber wird es eines.
Die EU hätte die geltende Regelung am liebsten beibehalten, London aber
besteht auf dem Prinzip der „zonalen Zuordnung“, also dem alleinigen
Fischfang im eigenen Hoheitsgebiet. Allerdings brauchen die britischen
Fischer den europäischen Markt und sind darauf angewiesen, dass sie ohne
komplizierte Zollverfahren mit der EU handeln können: Voriges Jahr hat
Großbritannien 460.000 Tonnen Fisch exportiert, vor allem Hering, Makrele
und Lachs. Die drei wichtigsten Empfängerländer waren Frankreich, die
Niederlande und Spanien. Mithin: Am liebsten würden die Briten den
Europäern den Fisch verkaufen, den selbst zu fangen sie ihnen künftig
verwehren wollen.
Auf eine Lösung drängte der Deutsche Fischereiverband bereits auf dem
Fischereitag 2018 in Lübeck. „Derzeit stammen nahezu 100 Prozent unserer
Nordseeheringsfänge aus britischen Gewässern“, sagte damals der Vorsitzende
des Deutschen Hochseefischerei-Verbandes, Uwe Richter. „Gemeinsam mit den
anderen betroffenen EU-Staaten fordern wir von Brüssel, den Zugang
Großbritanniens zum europäischen Markt an die Bedingung zu knüpfen, dass
europäische Fischereifahrzeuge weiterhin in der britischen
200-Seemeilen-Zone fischen dürfen“, sagte er. Danach aber sieht es derzeit
nicht aus.
Der Entwurf des Austrittsabkommens besagt lediglich, dass beide Seiten sich
bis Juli 2020 in einem Freihandelsabkommen einigen sollen, das nach der
Übergangsphase die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien regeln
soll. Sollte aber keine Einigung möglich sein, würde Großbritannien zum
Teil eines gemeinsamen Zollgebiets mit der EU, das die Fischerei aber nicht
berücksichtigt.
Von „deutlichen Auswirkungen auf die europäische Fischerei“ geht das
Thünen-Institut für Seefischerei in Braunschweig, eine
Forschungseinrichtung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, aus. Das ist
das Ergebnis der Studie „Auswirkungen des Brexit auf die deutsche
Hochseefischerei“ für das EU-Parlament aus dem Vorjahr. Demnach erzielen
die deutschen Schwarmfisch-Trawler bis zu 80 Prozent ihres Fangs und somit
ihres Umsatzes in britischen Gewässern. Sollte ihnen nach dem Brexit der
Zugang verwehrt werden, würde ein Großteil der Erlöse wegfallen.
Zudem würden die EU-Fangquoten obsolet – sie könnten in anderen
Fanggebieten gar nicht ausgeschöpft werden. Dies habe, so heißt es in der
Studie, „eine Analyse der Verbreitungsmuster der Fischbestände und der in
der Vergangenheit erzielten Fänge gezeigt“.
## Kabeljau, Makrele, Hering und Scholle dürften profitieren
Im Handel mit Fischwaren indes exportiert Großbritannien schon jetzt mehr
in die EU als es von dort importiert. Somit hätte das Vereinigte Königreich
beim Marktzugang für Fischerzeugnisse deutlich mehr zu verlieren als die
EU.
Das Krisenszenario sieht also so aus: Deutsche, Dänen, Niederländer,
Franzosen und Iren dürfen in britischen Gewässern nicht mehr fischen,
weigern sich aus Rache aber, britischen Fisch zu importieren. Eine Folge:
Die Bestände von Kabeljau, Makrele, Hering und Scholle gesunden zumindest
oder steigen sogar kräftig an.
Die zweite Folge könnte sein, dass auf dem Kontinent die Verbraucherpreise
explodieren, der Umsatz in der Fischindustrie wegbricht und massiv
Arbeitsplätze entfallen. Peter Breckling vom Deutschen Fischereiverband
sieht das mit Unbehagen: „Es kann gut sein, dass wir die Dummen sind.“
Mehr über die Auswirkungen des Brexits auf den Norden lesen Sie in der
gedruckten taz nord am Wochenende oder [1][hier].
8 Mar 2019
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## AUTOREN
Sven-Michael Veit
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