Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Brexit und EU: Die Woche der Entscheidungen
> Großbritanniens Parlament kann die Weichen stellen, ob das Land am 29.
> März die EU verlässt und wie. May trotzt der EU Zugeständnisse ab.
Bild: Doch noch ein tragfähiger Kompromiss? Großbritanniens Regierungschefin …
Berlin taz | Das britische Unterhaus beginnt an diesem Dienstag mit einer
Serie von Abstimmungen, von denen die Zukunft der Beziehungen zwischen
Großbritannien und der EU abhängt. Zur Abstimmung steht am Dienstag erneut
das Brexit-Abkommen vom November 2018, das die Parlamentarier am 14. Januar
mit einer Zweidrittelmehrheit von 432 zu 202 Stimmen abgelehnt hatten.
Kommt es diesmal durch, ist der Brexit für Premierministerin Theresa May
geglückt. Scheitert es erneut, ist alles offen.
Ein bis vor kurzem noch völlig unwahrscheinlicher Durchbruch für May ist am
Dienstagmorgen wieder in den Bereich des Möglichen gerückt, nachdem die
Gespräche mit der EU über eine Überarbeitung des Abkommens in der Nacht
doch noch ein Ergebnis brachten. Die Premierministerin war am Montagabend
extra nach Straßburg geflogen, um mit EU-Kommissionschef Jean-Claude
Juncker zusammentreffen und die Beratungen auf höchster Ebene zu einem aus
ihrer Sicht erfolgreichen Abschluss zu führen.
Kern des Problems war und ist die sogenannte „Auffanglösung“ (backstop),
die garantieren soll, dass die zukünftige EU-Außengrenze zwischen der
Republik Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland
auch dann so unsichtbar bleibt wie heute, wenn sich Briten und Europäer
nicht auf ein umfassendes Freihandelsabkommen verständigen.
Demnach bleibt – nach einer Übergangsfrist, die bis Ende 2020 reicht und
während der alles ohnehin beim Alten bleibt – in Ermangelung einer anderen
Vereinbarung das gesamte Vereinigte Königreich bis auf weiteres in einer
Zollunion mit der EU und Nordirland darüber hinaus im europäischen
Binnenmarkt. Das heißt: Großbritannien bleibt an EU-Zolltarife und
EU-Handelsabkommen gebunden und kann keine eigene Außenhandelspolitik
gestalten.
## Zusätzliche Regelwerke
Nordirland unterliegt darüber hinaus komplett dem EU-Binnenmarktrecht, was
zusätzliche Regelwerke und eine verstärkte Kontrollfunktion des
Europäischen Gerichtshofs bedeutet. Damit werden zwischen Nordirland und
Großbritannien ebenjene Kontrollen nötig, die zwischen Nordirland und
Irland vermieden werden sollen.
Das gilt in London weithin als inakzeptabel. Auch die nordirischen
Protestanten lehnen das ab. Einige halten das sogar für einen Bruch des
Karfreitagsabkommens von 1998, das Nordirland Frieden brachte. Der
„backstop“ ist unkündbar und gilt potentiell auf ewig, und er bildet nach
EU-Ansicht die Grundlage für die zukünftigen Beziehungen.
Am 29. Januar stimmte das Parlament daher mehrheitlich dafür, das Abkommen
nur dann anzunehmen, wenn der „backstop“ durch „alternative Arrangements�…
ersetzt wird und schickte May zu [1][Neuverhandlungen] zurück nach Brüssel.
Zentrale Forderungen der Kritiker sind, den „backstop“ entweder einseitig
aufkündbar zu machen, oder ihn zeitlich zu begrenzen. Beides lehnt die EU
ab, weil das ganze Konzept dann keine Auffanglösung mehr wäre.
## Rechtsunverbindlichen „Zusicherungen“
Der vereinbarte Abkommenstext steht aus EU-Sicht nicht mehr zur
Disposition, eine Nachverhandlung schloss Brüssel beständig aus. Die EU war
lediglich zu rechtsunverbindlichen „Zusicherungen“ bereit, wie sie in
mehreren Briefen von Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk bereits im
Januar gemacht wurden.
Seitdem beißt sich Theresa May an der EU die Zähne aus. Doch hinter den
Kulissen wurde fleißig an Zusatzprotokollen gearbeitet, die jetzt doch noch
zu einem Kompromiss geführt haben.
Wichtigstes Element: Die bislang rechtsunverbindlichen Zusicherungen der EU
erhalten einen „rechtskräftigen und bindenden“ Status, als „Instrument�…
der Teil des Vertragstextes ist und als solches ebenso wie das gesamte
Vertragswerk bei den Vereinten Nationen hinterlegt wird. Das stärkt die
britische Position im Konfliktfall.
Im bisherigen Vertragstext steht, dass die Parteien „nach besten Kräften
bis zum 31. Dezember 2020 ein Abkommen schließen, das dieses Protokoll (den
backstop – d.Red.) ganz oder teilweise ersetzt“.
## Schärfere Formulierung
Im neuen „Instrument“ steht nun, dass die Parteien „sich verpflichten, ein
Folgeabkommen zu schließen, das bis zum 31. Dezember 2020 alternative
Arrangements in Kraft setzt, damit der Backstop nicht angewandt werden
muss“ – eine deutlich schärfere Formulierung.
Alternativen zum Backstop werden ein separater Strang der Beratungen über
ein Abkommen zu den zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der
EU sein und könnten in einem separaten Vertrag geregelt werden, auch wenn
andere Aspekte der zukünftigen Beziehungen noch offen sind.
Auch das war bisher nicht vorgesehen, was in London zu Befürchtungen
geführt hatte, dass Sonderforderungen einzelner Länder in ganz anderen
Bereichen eine Überwindung des „backstop“ verhindern. So hat Frankreich
bereits überlegt, das Folgeabkommen über die zukünftigen Beziehungen vom
Zugang französischer Fischer zu britischen Gewässern abhängig zu machen.
Schließlich sieht das „Instrument“ auch die Möglichkeit einer einseitigen
Aufkündigung des „backstop“ vor, sofern ein Schiedsverfahren feststellt,
dass die andere Seite ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen ist.
## Mehr herausgeholt
Eine Zusatzerklärung Großbritanniens, die ebenfalls Teil des
Abkommenstextes wird, stellt außerdem klar: „Das Vereinigte Königreich
stellt fest, dass, sollte es nicht möglich sein, ein Folgeabkommen zu
schließen, nichts im Austrittsabkommen es daran hindert, Maßnahmen
einzuleiten, die am Ende zur Nichtanwendung der Verpflichtungen des
Protokolls (der backstop) führen“.
Das alles geht deutlich über die bisherigen „Zusicherungen“ der EU hinaus
und insofern hat Theresa May damit mehr aus den Nachverhandlungen – die es
nach EU-Lesart gar nicht geben konnte – herausgeholt als erwartet. Ob es
aber genügt, die Kritiker zufriedenzustellen, bleibt abzuwarten.
In einer ersten Reaktion stellte Labour-Brexitsprecher Keir Starmer, ein
ehemaliger britischer Generalstaatsanwalt, fest, dass der „backstop“ nach
wie vor unkündbar sei. Ebenso äußerte sich Dominic Grieve, prominentester
Brexit-Kritiker unter den Konservativen. Mehrere Brexit-Befürworter
hingegen äußerten sich vorsichtig zustimmend.
Entscheidend dürfte die Meinung des Generalstaatsanwalts Geoffrey Cox sein,
oberster Rechtsberater der Regierung. Im Januar hatte sein vernichtendes
Urteil über den „backstop“ in einem Rechtsgutachten entscheidend zu der
hohen Niederlage Mays im Parlament beigetragen.
## Neue juristische Einschätzung
Jetzt gehörte er der britischen Verhandlungsdelegation mit der EU an, und
das Straßburger Ergebnis geht im Wesentlichen auf seine Bemühungen zurück.
Am Dienstag Mittag wird er dem Parlament eine neue juristische Einschätzung
vorlegen, die für viele nicht von vornherein festgelegte Parlamentarier den
Ausschlag geben dürfte.
Dass es überhaupt zu dieser Zuspitzung diese Woche kommt, ist eine direkte
Folge der Niederlage vom Januar. Denn mit der Ablehnung des Abkommens durch
das Parlament galt bis auf weiteres der Brexit ohne Abkommen am 29. März.
Dieser Austrittstermin, egal ob mit oder ohne Abkommen, ist in den 2018
verabschiedeten britischen Brexit-Gesetzen und im britischen
EU-Austrittsantrag vom 29. März 2017 festgelegt. Der sogenannte „No
Deal“-Brexit gilt vielen als Schreckgespenst und die „harte Grenze“ in
Irland, die ja alle vermeiden wollen, wäre dann erst recht unumgänglich.
Selbst einflussreiche Regierungsmitglieder in London wollen einen „No
Deal“-Brexit um jeden Preis verhindern. Um ihnen den Wind aus den Segeln zu
nehmen, hatte Premierministerin May am 26. Februar versprochen, bis zum 12.
März endgültig über das Ergebnis ihrer Nachverhandlungen abstimmen zu
lassen und für den Fall einer Ablehnung Voten über einen „No Deal“-Brexit
und eine Verschiebung des Brexit folgen zu lassen.
## Verschiebung ist unwahrscheinlicher
Bis zum Montag galt in London eine Verschiebung des Brexit als das
wahrscheinlichste Ergebnis dieses Abstimmungsmarathons, da eine Zustimmung
zu Mays Nachverhandlungen oder zum „No Deal“-Brexit als unwahrscheinlich
galt. Doch nicht nur ist nun eine Zustimmung zum Abkommen wahrscheinlicher
geworden, auch eine Verschiebung ist unwahrscheinlicher.
Die britische Seite könnte die Verschiebung nur beantragen, aber die EU
müsste sie beschließen, jedes EU-Mitglied hätte ein Vetorecht. Die EU
betont jetzt schon bei jeder Gelegenheit im Einklang mit May, dass eine
Verschiebung sinnlos sei. Weitere Gespräche über den Brexit werde es nicht
geben, stellte EU-Kommissionspräsident Juncker in Straßburg klar. Was jetzt
ausgehandelt worden sei, sei „final“.
Wenn das Parlament am Dienstag Abend trotzdem Nein zu Mays neuer Vorlage
sagt, ist diese damit noch nicht gestorben, vor allem dann nicht, wenn die
Niederlage deutlich knapper ausfällt als im Januar. Es blieben immer noch
zwei Wochen, um das Unterhaus auf Linie zu bringen, möglicherweise durch
Zugeständnisse an einzelne Parteien und Parlamentarier in anderen
Bereichen.Derweil rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie das
Nordirland-Grenzproblem entschärft werden kann. Der Nordirland-Ausschuss
des britischen Parlaments legte vergangene Woche einen Bericht vor, wonach
es möglich wäre, die Grenze unsichtbar zu lassen und dennoch fällige
Kontrollen durchzuführen. Dies könne in den Unternehmen selbst sowie
elektronisch geschehen, unter Verwendung bestehender EU-Zollsysteme und
eines umfassenden Datenaustauschs. „Das Haupthindernis ist ein Mangel an
politischem Vertrauen und gutem Willen zwischen den Verhandlungsparteien“,
so die Parlamentarier. Das gilt auch für den Brexit-Prozess insgesamt.
12 Mar 2019
## LINKS
[1] /Brexit-Abstimmung-in-London/!5569529
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Schwerpunkt Brexit
Theresa May
Großbritannien
EU
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Brexit
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Brexit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Brexit-Votum im britischen Unterhaus: Wieder eine Niederlage für May
In London gab es wieder keine Mehrheit für den Brexit-Vertrag. Nun wird die
Zeit knapp. „Die Optionen sind trostlos“, meint die Premierministerin.
EU und der Brexit: Die Skepsis bleibt
Auch die neue Einigung zwischen Juncker und May ändert grundsätzlich
nichts. Brüssel macht klar: Das war's jetzt mit den Brexit-Verhandlungen.
Brexit-Streit geht weiter: Alte Ideen einmal aufgefrischt
Am Dienstag will die britische Premierministerin wieder über das
EU-Austrittsabkommen abstimmen lassen. Sie prophezeit einen „Zeitpunkt der
Krise“.
Auswirkungen des Brexit auf die Fischerei: Kampf um den Kabeljau
Nach dem Brexit droht auf der Nordsee ein Konflikt um Fangrechte. Denn die
europäische Fischereipolitik ist einer der heikelsten Punkte.
Rechte, Brexit und die Antifa: Linker Haken
Im Großbritannien der Brexit-Ära träumen Rechte vom Empire. Die
Hasskriminalität steigt rasant. Doch auch die Antifa-Szene sortiert sich
neu.
Debatte Brexit und Zollunion: Irrtum Freihandel
Die Brexit-Anhänger verstehen den Kapitalismus einfach nicht. Sonst würden
sie nicht den Binnenmarkt verlassen wollen.
Kommentar Neue Brexit-Szenarien: Keine Abkehr vom Austritt
Der Brexit wird kommen. Die EU muss daher ihre Arroganz ablegen und
gemeinsam mit den Briten eine mehrheitsfähige Lösung finden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.