| # taz.de -- Rechte, Brexit und die Antifa: Linker Haken | |
| > Im Großbritannien der Brexit-Ära träumen Rechte vom Empire. Die | |
| > Hasskriminalität steigt rasant. Doch auch die Antifa-Szene sortiert sich | |
| > neu. | |
| Bild: Gegen die „Brexit Betrayal Rally“ des Rechtsextremen Tommy Robinson: … | |
| Alice bezeichnet sich als Linksradikale und war pro Brexit. Genauer gesagt | |
| pro Lexit, eine linke Variante des EU-Austritts. So etwas hätte sie sich | |
| zumindest vorstellen können, sagt die 28-jährige Klimaaktivistin aus | |
| Birmingham, die wie die meisten in der linksradikalen Szene ihren Nachnamen | |
| nicht nennt. „Ein Lexit war aber leider nicht möglich“, sagt Alice jetzt, | |
| „denn der Brexit wurde ja ein Ding von protofaschistischen Kräften und | |
| rechter Rhetorik.“ | |
| Alice hat die Ortsgruppe von „Plan C“ in Birmingham mitgegründet, einem | |
| postautonomen kommunistischen Netzwerk, vergleichbar mit der | |
| „Interventionistischen Linken“ in Deutschland. Ihr Standpunkt zu EU und | |
| Brexit spiegelt den der britischen linksradikalen Szene im Allgemeinen: | |
| zerrissen, gefangen in einem Paradox zwischen EU-Antipathie und Angst vor | |
| rechter Vereinnahmung. Gleichzeitig jedoch ist Brexit das wichtigste | |
| Ereignis für diese linksaktivistische Generation. Denn seit dem Referendum | |
| im Juni 2016 ist die Szene dabei, sich komplett zu erneuern. Eine | |
| zersplitterte und desorganisierte Szene ist dabei, sich zu einer neuen | |
| antifaschistischen Strömung zusammenzuraufen. | |
| Das liegt vor allem daran, dass sich das rechte Spektrum radikalisiert. | |
| Seit dem Referendum hat rechte Gewalt zugenommen. Wenige Monate nach dem | |
| Votum meldete das Innenministerium, dass Hasskriminalität gegenüber dem | |
| Vorjahr um über 40 Prozent zugenommen habe. Galop, eine | |
| LGBTQ*-Beratungsstelle, meldete um die Abstimmung in Juni 2016 herum einen | |
| gewaltigen Zulauf von Beratungsuchenden, die homophobe Angriffe erlebt | |
| hatten. [1][Laut] Community Security Trust, einer NGO der jüdischen | |
| Gemeinde, sind antisemitische Angriffe 2018 das dritte Jahr in Folge auf | |
| eine [2][Rekordzahl] gestiegen. Neue und erneuerte rechtsextreme Gruppen | |
| wie „Britain First“, die „North East Infidels“ und die als terroristisc… | |
| Vereinigung eingestufte „National Action“ hinterlassen ihre Spuren in den | |
| großen und mittleren Städten. | |
| Und die radikale Linke? Die besinnt sich allmählich wieder auf den | |
| Antifaschismus. Das ist nicht selbstverständlich: Seit dem Zweiten | |
| Weltkrieg gibt es zwar einen oberflächlichen antifaschistischen Konsens in | |
| Großbritannien, Antifa ist in UK eher bürgerliche Mitte als linker Rand. | |
| Schließlich hat ja das Königreich die Erde vom Faschismus befreit – wer | |
| könnte ein größerer Antifa-Held sein als Winston Churchill? | |
| ## Make Britain great again! | |
| Viele Brit*innen verstehen sich so, qua Britischsein, schon als stolze | |
| Antifaschist*innen. Sogar konservative Politiker wie David Cameron haben in | |
| der Vergangenheit antifaschistische Gruppen unterstützt nach dem Motto – | |
| „Alerta, alerta, conservatista! Derweil war die radikale Linke | |
| traditionell damit beschäftigt, außerparlamentarische Splitterparteien zu | |
| gründen, Gewerkschaften zu unterwandern und dröge revolutionäre Zeitungen | |
| zu verteilen. | |
| Der Brexit hat damit aufgeräumt. Er habe eine reale, greifbare Bedrohung | |
| von rechts erschaffen, erklärt Liam, ein Aktivist aus der Londoner | |
| Demoszene: „Die Rechte agiert selbstbewusster.“ Liam, 30 Jahre alt, hat ein | |
| Jahrzehnt lang linke Gegendemos in der Hauptstadt organisiert, auf | |
| Rechtsextreme traf er dabei regelmäßig. „Sie haben eine neue Form des | |
| Ansehens gewonnen. Der Brexit ist der größte Sieg ihrer Generation.“ | |
| Mit dem Brexit verbinden sich für Rechte Fantasien vom verloren geglaubten | |
| Empire. Ein Großbritannien ohne EU könne wieder zur Weltmacht werden, | |
| solche Gedanken hegen tatsächlich viele – vom Fischer aus Kent bis zum | |
| Tory-Abgeordneten. Großbritannien als Superpower, „Make Britain great | |
| again!“, die Vorstellung gibt auch gewaltbereiten Extremisten Antrieb und | |
| Selbstbewusstsein. | |
| Und diese Gefahr vereint ansonsten recht unterschiedliche linke Gruppen wie | |
| „Plan C“, „Anarchist Federation“ und „Momentum“. Die Antifa-Szene | |
| organisiere sich seit dem Brexit-Votum deutlich besser, sagt Nick, eine | |
| 24-jährige Aktivist*in und Kolleg*in von Alice in Birmingham. „Die | |
| Solidarität mit Migrant*innen nimmt zu und auch das Bewusstsein von dem | |
| Rechtsruck“, glaubt Nick. | |
| ## Faschistische Gefahr | |
| Liam aus London sieht das ähnlich. Selbst das Wort „Antifa“ habe jetzt mehr | |
| Gewicht. „Immer mehr Leute betrachten Faschismus als ernst zu nehmende | |
| Gefahr“. Das sei früher nicht unbedingt der Fall gewesen, sagt Liam. | |
| EU-Fan ist in der linken Szene dabei niemand geworden. Die meisten sehen in | |
| der EU lediglich das kleinere Übel im Vergleich zum Nationalismus, trotz | |
| ihrer neoliberalen Grundidee und Abschottungspolitik. Breitere | |
| Anti-Brexit-Kampagnen wie die „People’s Vote“-Großdemo am 20. Oktober ab… | |
| betrachtet man nach wie vor argwöhnisch, will sich nicht gemein machen mit | |
| den unkritischen EU-Freund*innen. | |
| Stattdessen konzentrieren sich linke Gruppen auf die physische Abwehr der | |
| faschistischen Gefahr. Obwohl die Gewaltbereitschaft von Aktivist*innen | |
| nicht per se gestiegen ist, bereiten sie sich bewusster auf rechte Gewalt | |
| vor. „Es gibt ein wachsendes Angebot an linken Fitnessstudios, | |
| spezialisiert auf Selbstverteidigung und Kampfsport“, sagt Nick. „Das ist | |
| Teil einer breiteren Strategie, linksautonome Arbeiterinstitutionen | |
| aufzubauen“. Solche sogenannten Red Gyms tragen Namen wie „Red Corner“ od… | |
| „Left Hook“ – linke Wortspiele mit Kampfsportbegriffen. | |
| Dort geht es weniger um individuelle Fitness und darum, einfach mal was für | |
| sich zu tun, als darum, Personal für eventuelle gewaltsame Konfrontationen | |
| mit Rechten auszubilden. Und das funktioniert. Am 13. Oktober blockieren | |
| über 1.000 teils vermummte Antifaschist*innen die Demoroute der rechten | |
| Democratic Football Lads Alliance in London. Um die 1.000 „Lads“ wollten in | |
| der Prachtmeile Pall Mall marschieren, gegen Dschihadismus und | |
| vermeintliche „ausländische Vergewaltigungsgangs“. | |
| ## Feministischer Wandel | |
| Dass eine solche Blockade gelingt, ist keineswegs selbstverständlich in | |
| Großbritannien. Die Gegendemonstrant*innen sind für gewöhnlich weit in der | |
| Unterzahl. Zwei Monate später am 9. Dezember in London organisierte die | |
| rechtsextreme Ikone Tommy Robinson einen Marsch entlang der Londoner Park | |
| Lane, zusammen mit der UK Independence Party (Ukip). Initiiert von | |
| Momentum, aber unterstützt von anderen antifaschistischen Gruppen wie Plan | |
| C und der „Feminist Anti-Fascist Assembly“, konnte die Gegendemonstration | |
| mit rund 15.000 Mitläufer*innen Robinsons Aufmarsch in den Schatten stellen | |
| – eine beeindruckende Zahl für britische Verhältnisse. | |
| Es wäre übertrieben, in Red Gyms ein landesweites | |
| Antifa-Fight-Club-Netzwerk zu sehen, das sich auf den kommenden Aufstand | |
| vorbereitet. Es geht vielmehr um das Selbstbewusstsein, rechten Gruppen | |
| etwas entgegenzusetzen. Das Londoner Fitnessstudio „Solstar“ zum Beispiel, | |
| 2016 von zwei Antifaschistinnen gegründet, bietet Kampfsporttraining mit | |
| einem feministischen Ansatz. Mittlerweile trainieren 20 bis 30 Linke | |
| regelmäßig dort – die Hälfte Frauen. | |
| Alice sieht deshalb auch einen feministischen Wandel in der Bewegung. „Die | |
| Antifa-Szene war von ‚Brocialists‘ und ‚Manarchists‘ dominiert“, erin… | |
| sie sich. „Vermeintliche emanzipatorische Sozialisten und Anarchisten, die | |
| aber ein sehr männliches Verständnis von Straßenaktionen und Konfrontation | |
| haben.“ Inzwischen hat sich das schon allein im Erscheinungsbild der Demos | |
| geändert. Die Gruppe „Feminist Anti-Fascist Assembly“ für Frauen und | |
| nichtbinäre Aktivist*innen fordert unter dem Motto „Feminists to the Front“ | |
| eine Präsenz aller Geschlechter in der ersten Reihe politischer Blockaden. | |
| „Nach dem 13. Oktober spöttelten die Football Lads auf Facebook, die | |
| Gegendemo klinge, als wäre sie von Frauen geführt“, sagt Alice. „Stimmt | |
| auch!“ | |
| 3 Mar 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.theguardian.com/society/2016/oct/08/homophobic-attacks-double-a… | |
| [2] https://cst.org.uk/data/file/2/9/Incidents%20Report%202018%20-%20web.154953… | |
| ## AUTOREN | |
| Nicholas Potter | |
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