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# taz.de -- Rumänischer Komiker über den Brexit: „Briten und EU bleiben Sex…
> Radu Isac kam kurz vor dem Referendum auf die Insel, um dort als
> Stand-up-Comedian zu arbeiten. Inzwischen weiß er, welche Witze die
> Briten missverstehen könnten.
Bild: Radu Isac: „An die Bohnen zum Frühstück habe ich mich gewöhnt. Aber …
Le Monde diplomatique: Radu Isac, als Sie nach Großbritannien gingen,
hatten Sie sich in Ihrer Heimat Rumänien bereits einen Namen als
Stand-up-Comedian erarbeitet.
Radu Isac: Schon, aber künstlerisch befand mich in einer Sackgasse. Ich
hatte einfach keine Lust mehr in Rumänien zu bleiben, ich wollte
englischsprachige Comedy machen. Es war ziemlich langweilig, immer dieselbe
Straße zu nehmen.
Wie? Die Straße zur einzigen Comedy-Location des Landes?
Oh nein, Rumänien hat 80 Städte mit Bühnen, auf denen man als Comedian
auftreten kann. Aber es gibt ja noch mehr auf der Welt, und ich habe mir
gedacht: Okay, ich war jetzt überall dreimal, und ich bin 28. Wie werde ich
mich wohl erst fühlen, wenn ich 48 bin.
Worin besteht der Unterschied, Pointen auf Englisch statt auf Rumänisch zu
schreiben?
Englisch ist einfacher, weil es mehr Wörter hat als Rumänisch. Das mag
vielleicht snobistisch klingen: Aber malt man mit Worten, kann man umso
besser malen, je mehr Nuancen einem zur Verfügung stehen.
Gibt es etwas, das Sie als typisch britisch betrachten würden?
Anhand ihrer Gesichter kann ich Leute unschwer als britisch identifizieren.
Der Mangel an Sonne über hunderte und aber hunderte von Jahren hebt diese
Gesichter von denen des übrigen Kontinents ab.
Andere würden sagen, dass es das Essen ist, was Großbritannien vom
europäischen Festland trennt.
Britisches Essen besteht meist aus industriellen Lebensmitteln. An die
Bohnen zum Frühstück habe ich mich gewöhnt. Aber die Würstchen scheinen
sämtlichst von McDonald's hergestellt zu werden.
Großbritannien ist also kein Traumziel.
Ich glaube, die meisten Rumänen kommen einzig nach Großbritannien, weil
Englisch für sie die Sprache ist, die sie nach Rumänisch in der Regel am
besten beherrschen. So bin auch ich in Großbritannien gelandet, nur wegen
der Sprache. Hätte ich gekonnt, wäre ich in die USA gegangen. Während
meiner Jugend gab es lediglich amerikanische Serien und Filme im Fernsehen,
die britische Kultur hat es nicht nach Rumänien geschafft. Bis heute kenne
ich die meisten Comedians nicht, die in Großbritannien die Stadien füllen.
Einige von ihnen sind lustig.
Es ist für mich aber nicht unterhaltsam, wenn ich die Referenzen oder die
Hintergrundgeschichte einer Figur nicht verstehe. Doch ich fange an, mich
mit der britischen Szene vertraut zu machen.
Glauben Sie, dass es Witze gibt, die sich britische Comedian vor einem
britischen Publikum nicht leisten können, Comedian aus Osteuropa aber sehr
wohl?
Ihm würde das als rassistisch ausgelegt werden, wenn ein Brite einen Witz
über die Polen reißen würde, ich jedoch kann so viele Witze über sie
machen, wie ich will. Umgekehrt weiß ich, dass ich auf der Bühne nicht so
viel über Sex reden darf wie etwa ein britischer männlicher Comedian. Ich
würde die Menge schneller verlieren, denn aus ihrer Sicht stehe ich als
Osteuropäer automatisch unter Sexismusverdacht.
Auf der Bühne behaupten Sie, dass ein Brite freundlicher ist als ein
Rumäne, während eine Million Rumänen netter sind als eine Million Briten.
Was macht eine so große Masse an Briten aus Ihrer Sicht so unangenehm?
Ich habe den Witz nicht wirklich ausgearbeitet: Weil die Briten zusammen
stark waren, konnten sie andere Länder überfallen. Sie errichteten das
Empire und stahlen den Indern die Diamanten. Und jetzt wollen sie diese
nicht mehr zurückgeben. Ich denke, dass sie das geschafft haben, weil sie
besser im Team arbeiten als Rumänen.
Aber ein Brite ist freundlicher als …
… der Durchschnittsrumäne? Aber auch nur, weil die Briten wollen, dass alle
um sie herum glücklich sind. Und sind dann alle glücklich, bekommen eine
Million gut zusammenarbeitender Menschen die Chance, der Welt wirklich üble
Dinge anzutun.
Sind Rumänen oder Osteuropäer nicht zumindest hier in Großbritannien
untereinander solidarisch?
Durch meine Show „English Speaking Comedy Borsch“ habe ich festgestellt,
dass Osteuropäer nicht so viel miteinander kommunizieren. Diejenigen, die
des Englischen mächtig sind, lassen sich einfach integrieren und freunden
sich nur mit Briten an, während die Osteuropäer, die kein Englisch
sprechen, einfach in ihrem eigenen Country Club bleiben. Am ehesten zeigt
sich die Solidarität in Lebensmittelgeschäften, wo eine polnische, eine
rumänische und eine bulgarische Flagge nebeneinander hängen.
Seit 2016 stellen die Rumänen jährlich die größte Gruppe von
Neuankömmlingen in Großbritannien. Haben sie sich nicht ausreichend über
den Brexit informiert?
Sie denken eher, dass es besser ist, sich zu beeilen, bevor sich die Tür
schließt.
Erfahren rumänische Migranten in Großbritannien mehr Diskriminierung als
andere Osteuropäer?
Die Polen tragen eindeutig die Hauptlast. Als sie kamen, fing das Gerede
über die Osteuropäer an, und die Polen kriegten alle Stereotype ab. Die
Rumänen haben ja erst seit 2013 das Recht, sich überall in der EU
niederzulassen. Als sie in Großbritannien auftauchten, wurde lediglich die
alte Suppe wieder aufgewärmt. Einer der besten Witze über Rumänen kommt
natürlich von einem Brexiter: In den 90er Jahren konnte man in London keine
25 Rumänen finden, jetzt finden Sie 25 in einem Haus.
Die Medien bezeichnen den Londoner Stadtteil Burnt Oak schon als
[1][„Little Romania“].
Nun, in den meisten Vororten Londons wohnen eine Menge Rumänen, nicht nur
in Burnt Oak. Manchmal treffe ich zufällig auf der Straße Leute aus meiner
früheren Oberschule. Die meisten meiner ehemaligen Klassenkameraden leben
jetzt in Bukarest, London steht aber schon an zweiter Stelle. Es ist völlig
normal, woanders hinzugehen. Meine rumänischen Freunde hier in London haben
die unterschiedlichsten Berufe, einschließlich solche vom Typ
Finanzjongleur in Canary Wharf.
Aber einige können in ihrer Heimat doch keine Story vom großen Erfolg auf
der Insel erzählen.
Na ja, das Pfund ist immer noch stärker als der Leu. Selbst wenn sie sich
in London mit vier Personen ein Schlafzimmer teilen müssen, können sie in
Rumänien weiterhin für ein ganzes Lokal eine Runde schmeißen, da diese
höchstens so viel kostet, wie in London zwei Getränke.
Sind Ihre Eltern glücklich darüber, dass Sie nach Großbritannien gezogen
sind?
Die politische Lage in Rumänien ist nicht gerade rosig. Nachdem sie sich
seit Jahren in den Nachrichten anschauen müssen, was in Rumänien alles
schiefläuft, denken meine Eltern: Nun, wenigstens müssen unsere Kinder
nicht mit diesem Scheiß leben.
Aber auf der Bühne haben Sie sich selbst als den verarmtesten
professionellen Comedian in ganz Großbritannien bezeichnet.
Davon kann jetzt keine Rede mehr sein.
Weil Sie mit Auftritten ein ausreichendes Einkommen erzielen?
Ja.
Ist das nicht dennoch ein hartes Leben? Als Freiberufler auf einem Markt
mit so vielen anderen Talenten konkurrieren zu müssen?
Ich sehe mich nicht wirklich in einer Festanstellung mit geregelter
Arbeitszeit. Also passt es zu mir, und ich bin glücklich darüber, wie es
ist.
Aber Sie mussten schon Aushilfsjobs annehmen, um sich über Wasser zu
halten, oder?
Nachdem ich nach London gezogen war, arbeitete ich für eine Druckerei, die
Stimmzettel für das EU-Referendum gedruckt hat. In einem großen Lagerhaus
steckten wir diese Zettel in Umschläge und versandten sie – alles
Migranten, nur die Besitzer der Firma waren Briten. Würde ich das auf der
Bühne erzählen, es käme als schlechter Witz rüber.
Wie war die Bezahlung?
Ungefähr 8 Pfund pro Stunde, damals etwa 10 Prozent mehr als der
Mindestlohn. Und die Bezahlung war projektbezogen. Ich sagte allen meinen
Kollegen, dass sie einfach langsamer arbeiten sollten, denn je früher wir
alle Stimmzettel verschicken würden, desto eher würden wir gefeuert. Sie
wollten nicht zuhören und hielten mich schlicht für verrückt.
Sie waren dann der Einzige, der langsamer arbeitete?
Ich habe praktisch nichts getan. Ich habe von innen sabotiert. Aber wir
wurden alle fünf Tage früher als erwartet entlassen, weil die Arbeit so
schnell erledigt war.
Was waren Ihre ersten Gedanken, nachdem die Briten 2016 dafürgestimmt
hatten, die EU zu verlassen?
Ehrlich gesagt, glaube ich bis heute nicht, dass das passieren wird. Ein
Witz, den ich in meinen Shows machen sollte, geht so: Großbritannien und
die EU bleiben Sex Buddies. Die ganze Welt weiß Bescheid, nur die beiden
werden es einfach nicht zugeben.
Haben Sie sich für die britische Staatsbürgerschaft beworben?
Nein, ich bin ja erst seit drei Jahren hier. Nach fünf Jahren kann man sich
bewerben. Aber ich werde bleiben, bis sie mich rauswerfen. Da unklar ist,
wie das mit dem Brexit ausgeht, mache ich mir keine Sorgen um etwas, das
ich eh nicht kontrollieren kann.
6 Mar 2019
## LINKS
[1] https://www.channel4.com/news/immigration-the-suburb-in-london-dubbed-littl…
## AUTOREN
Oliver Pohlisch
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