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# taz.de -- Ostsee auf der Kippe: Wohin die Gülle fließt
> Nitrat statt Sauerstoff: Die enormen Mengen Gülleabfall aus der
> Massentierhaltung gefährden Flüsse und Meere, warnt Greenpeace.
Bild: Die Botschaft ist klar: keine Gülle ins Meer
Wo auf dem Meeresboden Leben herrschen müsste, sind nur weiße Flecken zu
sehen. „Tot“, sagt Manfred Santen, Chemie-Experte bei Greenpeace. „Da leb…
nur noch anerobe Bakterien“, also uralte Einzeller, die Sauerstoff nicht
nur nicht brauchen, sondern gar nicht vertragen. In der Flensburger Förde
haben Taucher des Greenpeace-Schiffes „Beluga II“ solche toten Gebiete auf
dem Grund der Ostsee fotografiert, in der Kieler Förde und der Eckernförder
Bucht.
Ursache sei die Gülle aus der Landwirtschaft, sagt Santen: Die
Massentierhaltung führt zu enormen Mengen an Gülle-Abfall, die unsere
Flüsse und Meere gefährden“, sagt Manfred Santen, Chemie-Experte von
Greenpeace. „Die Zahl gehaltener Schweine und Kühe muss sinken.“
Santen und seine Crew sind seit einer Woche und noch bis Anfang November
mit der „Beluga II“ auf der Ostsee unterwegs, zwischen den beiden Masten
hängt ein großes Banner mit der Aufschrift „Gülle ist Gift für die Ostsee…
Die Umweltaktivisten untersuchen die Wasserqualität in Küstengewässern,
Flussmündungen, Förden und Boddengewässern, und was sie finden, ist
besorgniserregend: wenig Sauerstoff, dafür viel Nitrat, Phosphat und
multiresistente Keime.
„Zu viel“, sagt Santen, obwohl die Situatution zurzeit nicht extrem
angespannt sei. Die Schadstoffkonzentrationen seien relativ gering, weil es
monatelang zu wenig geregnet habe. „Die meisten Giftstoffe sind noch auf
den Feldern und Äckern“, vermutet Santen: „Die sind noch nicht
ausgeschwemmt worden in die Bäche, Flüsse und schließlich die Ostsee.“ Doch
das werde sich jetzt im Herbst ändern, befürchtet er: „Die Giftwelle wird
noch kommen.“
Das treibt auch Toni Hofreiter um: „Die Ostsee steht vor zwei großen
Herausforderungen: die Überdüngung und das Mikroplastik“, sagte der
Fraktionschef der Grünen im Bundestag bei einer Fahrt auf der „Beluga“
durch die Lübecker Bucht. Ebenso wie die Giftflut müsse auch die
Plastikflut bekämpft werden, fordert der Biologe, zu dessen wichtigsten
politischen Themen die ökologische Agrarwende gehört. Ein nationaler
Aktionsplan gegen Plastik und eine internationale Plastikkonvention seien
dringend notwendig, so Hofreiter: „Es darf nicht passieren, dass wir bald
mehr Plastik als Fische im Meer haben.“
Die Ostsee mit ihren schmalen Verbindungen zur Nordsee gilt Meeresbiologen
als „gefangenes Meer“ mit nur geringem Wasseraustausch. Hinein fließen
Gewässer von neun Anrainerstaaten, die größten Einleiter von Nährstoffen
sind Schweden und Polen. Diese Stoffe begünstigen das Wachstum von Algen,
welche die Sauerstoffkonzentration im Wasser stark verringern und so zu
Fischsterben führen können. Zudem produzieren sie Toxine, die beim Verzehr
von Fisch oder auch Muscheln auch Menschen krank machen können – bis hin zu
tödlichen Vergiftungen.
Im Binnenmeer Ostsee ist Sauerstoffmangel deshalb zwar ein natürliches
Phänomen, aber Häufigkeit, Stärke und räumliche Ausdehnung von
sauerstofffreien „Todeszonen“ haben aufgrund der hohen Nährstoffeinträge
aus der Landwirtschaft und der Massentierhaltung deutlich zugenommen.
Vor zwei Jahren bereits räumte die Bundesregierung auf eine Anfrage der
grünen Bundestagsfraktion ein, dass 30 von 45 Gewässerproben vor der
deutschen Ostseeküste einen unbefriedigenden oder schlechten Zustand
aufwiesen. Zwölf waren vor Schleswig-Holstein genommen worden, 18 vor
Mecklenburg-Vorpommern. Im Nordosten weisen demnach 18 Flüsse einen
schlechten oder unbefriedigenden ökologischen Zustand auf, in
Schleswig-Holstein zumindest die beiden größten Ostsee-Zuflüsse Trave –
samt ihrem Nebenfluss Schwartau – und Schwentine.
Beim Nitrat wie auch beim Phosphor wurden Grenzwerte teilweise deutlich
überschritten. Zudem weisen auch die meisten Grundwasserkörper – also
räumlich eindeutig abgrenzbare Vorkommen – so hohe Nitratwerte auf, „dass
dadurch der gute chemische Zustand verfehlt wird“, gab die Bundesregierung
zu. Es gebe aber „keine unmittelbaren Auswirkungen auf die
Trinkwassergewinnung“.
Die naturschutzpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Steffi
Lemke, forderte prompt die Schließung von Mega-Viehställen: „Der Zustand
der Ostsee ist besorgniserregend.“ Dringenden Handlungsbedarf sah auch
damals schon Hofreiter: Die Gülleeinträge aus der Massentierhaltung und die
Ausbringung von Kunstdünger müssten gestoppt werden.
Die Mitgliedstaaten der EU müssen einen guten ökologischen Zustand aller
Gewässer nach Möglichkeit bis 2015, spätestens aber 2027, erreichen. Das
fordert die europäische Wasserrahmenrichtlinie. Grundwasser und
Oberflächengewässer sollen demnach frei von Schadstoffen und zu vielen
Nährstoffen sein. Vor zwei Jahren hat die EU-Kommission beim Europäischen
Gerichtshof Klage gegen Deutschland eingereicht, weil hier die
EG-Nitratrichtlinie nicht umgesetzt werde und zu hohe Nährstoffeinträge in
die Gewässer gelängen; fortgesetzte Überdüngung und Verunreinigung von
Grundwasser und Gewässern lautet der Vorwurf. Gebessert hat sich seitdem
nichts.
„Es besteht ein Zusammenhang zwischen intensiver Tierhaltung und der
Überdüngung der Ostsee“, sagt Santen von Greenpeace. Nach Angaben des
Statistischen Bundesamts fällt pro Tag Gülle von fast 27 Millionen
Schweinen und gut zwölf Millionen Kühen an, das seien 15.000 Tanklaster.
Grundwasser, Flüsse und Meere bräuchten Schutz.
30 Sep 2018
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
## TAGS
Massentierhaltung
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Greenpeace
Ostsee
Fische
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Fischerei
Verpackungsmüll
Umweltschutz
Baden
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