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# taz.de -- Verschmutzte Oberflächengewässer: Maue Qualität
> Umweltforscher haben Tests entwickelt, um Chemie-Cocktails in Flüssen zu
> bewerten. Nun fordern sie, dass das Gewässermonitoring überarbeitet wird.
Bild: Vielerorts werden Flüsse noch als Abwasserkanal missbraucht
München taz | Mehr als die Hälfte aller europäischen Gewässer sind in einem
schlechten Zustand. In Deutschland und Schweden sind sogar 100 Prozent der
Oberflächengewässer mit Chemikalien verschmutzt. Ein schlechter Zustand
bedeutet, dass bestimmte, für das Ökosystem typische Tiere und Pflanzen
nicht mehr oder nur in reduzierter Anzahl vorkommen. Bereits jetzt sind
zahlreiche Wassertiere vom Aussterben bedroht, wie etwa der Stör, der Aal
und diverse Wasserschnecken. Gemäß der europäischen Wasserrahmenrichtlinie
(WRRL) sollten jedoch bis 2027 alle Gewässer in einem guten chemischen
sowie ökologischen Zustand sein.
Grund für die [1][maue Wasserqualität] sind teilweise bauliche Maßnahmen
wie begradigte Flüsse. Zudem sind die Gewässer mit Chemikalien und
Nährstoffen überfrachtet, die wie Nitrat und Pestizide nicht nur aus der
Landwirtschaft stammen, sondern auch aus Industrieanlagen sowie aus den
Abwässern von Haushalten. All dies setzt Flora sowie Fauna zu. Der
derzeitige konsumorientierte Lebensstil hierzulande hat also nicht nur
einen katastrophalen CO2-Fußabdruck, durch die Produktion und Nutzung von
Kleidung, Reinigungsmitteln, Medikamenten, Möbeln und Lebensmitteln werden
zudem rund 147.000 Chemikalien in die Umwelt gespült.
Allerdings werden überhaupt nur 45 Stoffe, die als besonders gefährlich
gelten, berücksichtigt, um den chemischen Zustand in Flüssen und Seen zu
bewerten. Dazu zählen etwa Quecksilber oder Polycyclische aromatische
Kohlenwasserstoffe (PAK). Tatsächlich findet man in den Gewässern jedoch
unzählige weitere Stoffe in geringen Mengen, deren Mischung für Krebse,
Wasserflöhe und Algen aber ebenso problematisch sein könnte wie große
Mengen einer schädlichen Substanz, Stichwort: Chemikalien-Cocktail. Das
haben neue Studien des [2][UFZ (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung)]
ergeben, die Ende September veröffentlicht wurden.
Forschungsleiter Werner Brack spricht von einem „nicht zu
vernachlässigenden Risiko für Mensch und Umwelt durch Mischungen aus
Pflanzenschutzmitteln, Medikamenten und Industriechemikalien“. Er hat dafür
gemeinsam mit europäischen Kollegen die letzten fünf Jahre Gewässerproben
etwa aus Donau und Rhein im Rahmen des Forschungsprojekts „Solutions“
analysiert.
Die Forscher fordern nun die Prüfkriterien, im Rahmen des anstehenden
„Fitness-Checks“ der EU-Richtlinie, zu reformieren. Sie haben dafür ein
Screening entwickelt, das wirkungsspezifisch anstatt stoffspezifisch
arbeitet. Hierbei wird also nicht nur die Menge eines Stoffes gemessen,
sondern die Wirkung einer Mischung von chemischen Substanzen wie Arzneien,
Pestiziden oder Schwermetallen auf Algen, kleine Krebse oder Fischembryos.
Dazu muss man nicht einmal die Chemikalien kennen. Umgekehrt ist es aber
möglich, bei einer giftigen Mixtur nachträglich die Inhaltsstoffe zu
identifizieren.
## Der Mix wird nicht erfasst
Das Problem ist nämlich, dass man mit dem derzeitigen Kriterienkatalog nur
Stoffe erfasst, die teilweise gar nicht mehr erlaubt sind, aber als Altlast
in den Gewässern schwimmen, wie etwa PCB oder Quecksilber. Doch an diesem
chemischen Grundrauschen lässt sich wenig verändern. Gleichzeitig werden
möglicherweise gefährliche Gemische gar nicht erfasst, weil die
Einzelsubstanzen nicht in Mengen vorkommen, die die Grenzwerte
überschreiten. Und auch eine Verbesserung der Qualität durch ein
entsprechendes Wassermanagement kann dann nicht gemessen werden. „Hier
fehlt ganz offensichtlich ein funktionierendes Anreizsystem“, sagt Werner
Brack.
In besonders belasteten Gebieten könnte auch eine vierte Reinigungsstufe im
Klärwerk Abhilfe schaffen. „Wir konnten zeigen, dass die Aufrüstung von
Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe, wie sie die Schweiz
beschlossen hat und umsetzt, die ökologische Qualität stromabwärts deutlich
verbessern kann“, so Brack. Eine vierte Reinigungsstufe filtert etwa auch
Medikamentenrückstände aus der Human- oder Tiermedizin heraus.
Normalerweise gelangen diese in die Böden und Gewässer, einige
Abbauprodukte sind sogar im Trinkwasser zu finden.
Noch besser wäre es natürlich, wenn bereits bei der Herstellung und Nutzung
riskanter Stoffe auf Umweltverträglichkeit geachtet würde. „Mikroplastik
kann beispielsweise in der Kosmetikherstellung problemlos ersetzt werden“,
sagt Klaus Kümmerer von der Leuphana Universität Lüneburg. Für die
Herstellung von Reinigungs- und Waschmitteln sind längst schon Tenside auf
dem Markt, die vollständig biologisch abbaubar sind. Auch gibt es bereits
wetterfeste Kleidung, die ohne die schädliche Beschichtung mit
Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) auskommt.
Gleichsam wäre eine Überarbeitung der Zulassungsverfahren für Pestizide
sinnvoll. Denn auch diese werden immer nur als Einzelsubstanz getestet. In
der Realität werden sie jedoch in sogenannten Behandlungsregimes und
Spritzserien ausgebracht.
## Verlust der Artenvielfalt
Diese Pestizid-Cocktails könnten mitverantwortlich für den Rückgang vieler
Tiere und Pflanzen auf den landwirtschaftlichen Flächen sein – in welchem
Ausmaß, ist noch nicht erforscht. Zudem versickern diese Mixturen in den
Böden und gelangen so in die Gewässer, wo sie wiederum mit anderen
Substanzen zusammenkommen.
Zudem sollten mehr Anreize für eine umweltfreundliche Landwirtschaft
gegeben werden, so könnten Stickstoffe, Phosphate, Schwermetalle oder auch
Antibiotika-Belastungen reduziert werden. Auch die Industrie sollte ihre
Emissionen in die Gewässer noch weiter minimieren. Nicht vergessen darf man
freilich, dass ein großer Teil der Eutrophierung von Gewässern durch
Stickstoff und Phosphate durch den Konsum der EU-Staaten in andere Länder,
vor allem nach Asien und Afrika, verlagert wird.
Unklar ist derweil, wie die bislang unbeachteten Substanzen wie etwa
Süßstoffe, Koffein oder Mikroplastik, die sich auch immer häufiger in
Gewässern finden, auf das Ökosystem einwirken. Eine aktuelle Studie hat
geringe Mengen an Süßstoffen wie Acesulfam oder Cyclamat praktisch in allen
Gewässerarten nachgewiesen, auch im Trinkwasser.
Während die UFZ-Forscher versuchen, die Politik von ihren Ideen zu
überzeugen, haben auf der anderen Seite Industrielobbyisten an der
[3][Verwässerung der WRRL] gearbeitet. Wie der britische Guardian im Mai
2019 berichtete, versuchten verschiedene Industrien die ambitionierte
Richtlinie während des Fitness-Checks zu torpedieren, darunter die
Bergbauindustrie, die Landwirtschaft sowie die Wasserkraft.
So sollten etwa der „gute ökologische Zustand“ anders definiert werden und
mehr Ausnahmen erlaubt werden. Laut der Umweltorganisation WWF hätte das
negative Folgen: „verschmutzte Gewässer, Flüsse als ‚Schiff-Highways‘ u…
Stoffe wie Nitrat in unserem Trinkwasser.“
5 Jan 2020
## LINKS
[1] /Ueberduengung-belastet-Wasser/!5640059
[2] https://www.ufz.de/index.php?de=33573
[3] /Musterbeispiel-fuer-Lobbyarbeit/!5606104
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Flüsse
Schwerpunkt Pestizide
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