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# taz.de -- Musterbeispiel für Lobbyarbeit: Umweltschutz ja, aber
> Der Umweltverband WWF hat analysiert, wie Verbände der Wirtschaft die
> Europäische Wasserrahmenrichtlinie attackieren – auch bei der Umsetzung.
Bild: Sehen so „überambitionierte Umweltziele“ aus? Kreuzfahrtschiff auf d…
Berlin taz | Warum sich Menschen so schwertun, den Planeten zu schonen? Der
Umweltverband WWF hat Positionspapiere von zwölf EU-weit einflussreichen
Lobbyorganisationen durchforstet, von Verbänden der Industrie, des
Bergbaus, der Wasser- und Energieversorger und der Landwirtschaft. Er
findet darin ein Argumentationsmuster, das schon berühmt ist: Die Natur
schützen? Ja, aber die Wirtschaft …
Die Analyse zeigt genau wie kaum ein Papier sonst, wie sich die Wirtschaft
gegen ökologische Standards stemmt. Von einer „Wunschliste des Grauens“
spricht Beatrice Claus, WWF-Referentin für Gewässerschutz.
In diesem Fall geht es nicht um das Klima, sondern um den Schutz von
Wasser, von Flüssen und von Seen. Setzten sich die Wirtschaftsvertreter
durch – so steht es in der Analyse, die an diesem Mittwoch veröffentlicht
wird und der taz vorab vorlag –, werde sich dieser Schutz „weniger an
ökologischen Werten, stärker aber an menschlichen Nutzungsinteressen
orientieren“. Als Nebenergebnis wachse „die Gefahr für Mensch und Natur
durch chemische Stoffe im Gewässer“.
Schon heute kümmert sich Deutschland wenig um die ökologische Qualität
seiner Gewässer. Flussläufe sind begradigt und kanalisiert, die Schifffahrt
sollte schneller werden. Deiche wurden näher ans Ufer gelegt, um Bau- oder
Ackerland zu erschließen, wo sonst Auen waren.
## Hochwasser lässt das Öko-Gewissen klingeln
Immer nach einem Hochwasser, wenn die Aufmerksamkeit für die Natur der
Flüsse groß ist, erklären Politiker zwar gern, so könne es nicht
weitergehen. Sie fordern dann, Deutschlands Ströme bräuchten mehr Platz,
und argumentieren, wer Flächen für Überschwemmungen schaffe, verhindere
auch Hochwasserschäden in Millionenhöhe. Weicht aber das Wasser, geht der
Wille.
Dabei schreibt die [1][Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)] schon
seit dem Jahr 2000 vor, dass alle Gewässer in der EU bis 2027 in einem
„guten ökologischen und chemischen Zustand“ sein müssen – ursprünglich
sogar schon 2015 sein, die Frist wurde verlängert. Alle Mitgliedstaaten
sind weit vom Ziel entfernt, Deutschland besonders. Knapp 92 Prozent der
deutschen Flüsse und Seen sind in keinem guten Zustand.
Nun unterzieht die Europäische Kommission das EU-Wasserschutzgesetz einem
Fitnesscheck. „Und die Wirtschaft macht massiv Druck, um die Vorgaben
aufzuweichen“, sagt Claus. Einmal mehr soll die Frist verlängert werden.
Und das scheint fast noch harmlos angesichts weiterer Vorstöße, die der
„wissenschaftlich fundierten Vorstellung“ von intakten Flüssen
„zuwiderlaufen“, wie der WWF schreibt.
## Es geht doch, zeigt das Beispiel Ems
Das Gesetz selbst ist nicht mangelhaft? „Nein, es hapert an der Umsetzung“,
sagt Claus – und nennt ein Beispiel, wie es gehen kann: die Ems. Sie sei
seit den 80er Jahren massiv ausgebaut worden und damit „zum größten
Sanierungsfall der deutschen Flüsse“ geworden. Der einstige Fischreichtum
an der Mündung zum Beispiel – verschwunden. Seit es die
Wasserrahmenrichtlinie gibt, kämpft der WWF für eine Renaturierung. Nach
Artikel 4.1 gibt es die „Verbesserungspflicht“ und das
„Verschlechterungsverbot“.
2014 reichte es auch der EU-Kommission. Sie drohte Deutschland mit einem
Vertragsverletzungsverfahren. Plötzlich einigten sich das Land
Niedersachsen, die Umweltverbände, die betroffenen Landkreise Leer und
Emsland, die Stadt Emden und die Meyer Werft, wie die Ems in den nächsten
35 Jahren wieder natürlicher werden kann. Mit Sorge beobachtet Claus, wie
andernorts „Renaturierungen verschleppt werden“.
Die Wirtschaftsverbände plädieren aber für weniger statt mehr Engagement.
„Angesichts überambitionierter Umweltziele müssen realistische Ziele
festgelegt werden“, schreibt [2][Copa-Cogeca], der Dachverband der
europäischen Landwirtschaft. Außerdem habe „die Begrenzung des
Düngemitteleinsatzes einschließlich Gülle ein Niveau erreicht, bei dem eine
zusätzliche Verschärfung abgelehnt werden muss“.
Die Anliegen der Privatwirtschaft sollen mehr Gewicht bekommen. Der
Bundesverband der Deutschen Industrie fordert, dass vom
EU-Wasserschutzrecht „eine Ausnahme auch aus wirtschaftlichen Gründen
gewährt werden kann“. Bislang ist das nur für Projekte möglich, die im
überwiegenden öffentlichen Interesse sind. Etwa der Schifffahrtsweg zu
einem Hafen.
## Wenn schon Gift, dann richtig Gift
Und noch einen Punkt will die Industrie zu ihren Gunsten umformulieren: Für
„erheblich veränderte oder künstliche Wasserkörper“ können schon heute …
Umweltziele gelockert werden. Nach jetziger Definition ist das allerdings
allein auf sogenannte physische Veränderungen bezogen: ein einbetonierter
Bach, ein zur Schifffahrtsstraße ausgebauter Fluss. Die Industrie will das
auf „stoffliche/chemische Veränderungen“ ausweiten. Wenn die
Cadmium-Konzentration in einem Gewässer ohnehin schon „nicht gut“ ist,
dürfte zusätzliches Cadmium eingeleitet werden.
Letzter Knackpunkt: Energieversorger wollen eine Sonderrolle für
Wasserkraftwerke, die den Abschied von Öl und Gas erleichtern. Allein in
den Balkanstaaten seien derzeit mehr als 2.000 Wasserkraftwerke geplant,
meint Claus. [3][Die aber zerstörten die letzten wilden Flüsse Europas.]
Die Bundesregierung müsse die Forderungen der Wirtschaftslobby abwehren,
fordert die WWF-Expertin. Statt den Begehrlichkeiten nachzugeben, sei es
ihre Aufgabe, den Wasserschutz ernsthaft vorantreiben.
Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth, erklärt:
„Wir stehen für Änderungen der Wasserrahmenrichtlinie nicht zur Verfügung.
Wir müssen alles daransetzen, die Ziele wie in der Richtlinie vorgesehen
bis 2027 zu erreichen. Aufweichungen der Richtlinie kommen schon gar nicht
in Betracht.“
In den ersten sechs Monaten 2020 soll entschieden werden, was aus der
Wasserrahmenrichtlinie wird.
10 Jul 2019
## LINKS
[1] https://www.bmu.de/gesetz/richtlinie-200060eg-zur-schaffung-eines-ordnungsr…
[2] https://lobbypedia.de/wiki/COPA-COGECA
[3] https://balkanrivers.net/de/studien
## AUTOREN
Hanna Gersmann
## TAGS
Gewässerschutz
Lobby
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Flüsse
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Landwirtschaft
Sven Giegold
Lobbyismus
Gewässerschutz
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