| # taz.de -- Inoffizielle EU-Hauptstadt Brüssel: Die zweitmeisten Lobbyisten we… | |
| > Sie beeinflussen wichtige Gesetze im Hintergrund und haben ein | |
| > Milliardenbudget: In der EU-Capitale arbeiten 25.000 Interessenvertreter. | |
| Bild: Ziel Tausender Interessensvertreter von Konzernen: EU-Parlament in Brüss… | |
| BERLIN taz | Brüssel, die Hauptstadt Europas, steht weltweit an Platz zwei | |
| der Orte mit den meisten Lobbyisten. Nur in der US-Hauptstadt Washington D. | |
| C. tummeln sich noch mehr Interessenvertreter. Das steht im EU-Lobbyreport | |
| 2019 der Organisation Lobbycontrol auf der ersten Seite. Es ist der erste | |
| dieser Art. Das Allgemeinwohl komme zu oft unter die Räder, heißt es darin. | |
| Rund 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro | |
| nehmen demnach in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen. Etwa zwei | |
| Drittel von ihnen arbeiten für Unternehmen. „[1][Die Macht der Konzerne in | |
| Europa] ist eindeutig zu groß, teilweise können sie Gesetz und politische | |
| Prozesse regelrecht kapern“, sagte Imke Dierßen, politische | |
| Geschäftsführerin von Lobbycontrol. Europa lasse zum Beispiel zu, dass | |
| „Konzerne und Reiche ihre Vermögen in Schattenfinanzplätze verschieben und | |
| sich dadurch ihrer Steuerverantwortung entziehen“. Den EU-Ländern entgingen | |
| damit jedes Jahr 50 bis 70 Milliarden Euro. | |
| Lobbycontrol zeigt auf, wie die Beeinflussung funktioniert. Ein Weg sind | |
| schlichte Treffen. Immerhin veröffentlicht die EU-Kommission, anders als | |
| die Bundesregierung, seit 2014 die Treffen der Kommissare und ihrer | |
| Kabinette mit Lobbyisten. Seit Dezember 2014 bis April dieses Jahres waren | |
| es fast 23.000. Knapp 70 Prozent davon fanden mit Unternehmen und ihren | |
| Verbänden statt. | |
| Eine weitere Einflussmöglichkeit sind Expertenzirkel: Der Brüsseler | |
| Verwaltungsapparat sei relativ klein, die Personalausstattung schlecht, | |
| meint Dierßen. Während allein die Bundesfinanzverwaltung 45.000 Mitarbeiter | |
| habe, seien es in der EU-Kommission nur 32.000. Kommissionsbeamte seien | |
| häufig auf die Expertise der Unternehmen angewiesen, die sie regulieren | |
| sollen. In der Expertengruppe „Emissionen im praktischen Fahrbetrieb – | |
| leichte Nutzfahrzeuge“ saßen zu 70 Prozent Leute aus der | |
| Automobilindustrie. Der Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments zum | |
| Dieselskandal kam zu dem Schluss, dass diese Gruppe unter anderem dazu | |
| beigetragen hat, die Einsetzung eines effektiveren Testverfahrens für den | |
| Schadstoffausstoß von Fahrzeugen um Jahre zu verzögern. | |
| ## Finanzstarker Chemie-Verband | |
| Lobbyisten haben auch Zugang zu exklusiven Kreisen. Dierßen nennt etwa das | |
| „Europaforum Lech“ im österreichischen Skiparadies Lech am Arlberg. Dort | |
| treffen sich einmal im Jahr hochrangige Vertreter aus Wirtschaft und | |
| Politik. Offizieller Gastgeber sei zwar die Gemeinde Lech, der Herrscher | |
| über die Gästeliste jedoch EU-Kommissar Günther Oettinger, zuständig für | |
| Haushalt und Personal. | |
| Unter den 15 finanzstärksten Lobbyakteuren gehören etwa der Verband der | |
| Europäische Chemischen Industrie, an Platz 1 mit 12 Millionen Euro | |
| Jahresbudget. Dazu kommen Beratungsgesellschaften mit bis zu 7 Millionen | |
| Euro Budget wie FTI Consulting Belgium oder Fleishman-Hillard, Unternehmen | |
| wie Google mit mehr als 6 Millionen Euro oder Microsoft mit mehr als 5 | |
| Millionen Euro. Umwelt- oder Verbraucherverbände können da nicht mithalten. | |
| Mit der Nichtregierungsorganisation Eurocities schafft es nur ein | |
| Zusammenschluss großer und kleiner europäischer Städte in die Top 15. | |
| Den Austausch zwischen Interessengruppen und Politik will Lobbycontrol | |
| nicht abschaffen, der sei wegen des Fachwissens nötig. Er müsse aber | |
| [2][„nachvollziehbar und transparent“ sein]. Eigentlich sollte das vor | |
| einigen Jahren eingeführte EU-Lobbyregister schon helfen. Doch bei | |
| unverbindlichen oder auch fehlerhaften Einträgen gebe es bislang keine | |
| Sanktionen, erklärt Dierßen – und fordert „wirksame Regeln, um den Einflu… | |
| von Konzernen über Expertengruppen, unausgewogene Lobbytreffen oder | |
| informelle Kanäle zu begrenzen“. | |
| 29 Apr 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hanna Gersmann | |
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