# taz.de -- Austausch bei Behörden und Firmen: Wenn der Lobbyist im Amt sitzt | |
> Beamte und Firmenmitarbeiter tauschen oft Plätze, zeigt ein | |
> Regierungsbericht. So können Firmen Bereiche beeinflussen, die sie selbst | |
> betreffen. | |
Bild: Beamter, Politiker oder Firmenangestellter? Wer weiß das schon | |
BERLIN taz | Der „Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und | |
Menschenrechte“ der Bundesregierung, kurz „NAP“, hätte die Situation von | |
Näherinnen in Bangladesch oder von kongolesischen Kinderarbeitern in | |
Coltan-Minen nachhaltig verbessern können. Wenn nämlich der „NAP“ deutsche | |
Unternehmen gesetzlich verpflichtet hätte, die Menschenrechte überall auf | |
der Welt und entlang ihrer Lieferketten zu achten. Nach zweijährigen | |
Verhandlungen mit Akteuren aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und | |
Wirtschaft aber kam nicht mehr heraus als eine freiwillige | |
Selbstverpflichtung – genau, wie sie Unternehmen und Wirtschaftsverbände | |
gefordert hatten. | |
Auch die Siemens AG wehrte sich gegen verbindliche Gesetze – und hatte | |
Gelegenheit, ihre Position dem zuständigen Ministerium ohne Umwege | |
nahezubringen: Ein Jahr lang war ein Mitarbeiter des Elektrokonzerns | |
während der Erarbeitung des NAP als „externe Person“ im Auswärtigen Amt | |
eingesetzt, wo er unter anderem für die „Beratung in Projektmanagement und | |
Kommunikationsfragen“ zuständig war. So nachzulesen im „Bericht über den | |
Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung“, der jährlich vom | |
Bundesinnenministerium veröffentlicht wird und Aufschluss darüber gibt, wie | |
viele Mitarbeiter aus Wirtschaftsunternehmen vorübergehend in Ministerien | |
arbeiten. | |
Dass sie das überhaupt tun, geht auf eine Idee der rot-grünen Regierung | |
zurück, die unter dem plakativen Titel „Seitenwechsel – Schreibtisch | |
tauschen“ 2004 umgesetzt wurde. Urheber des „Personalaustauschprogramms“ | |
sollen Otto Schily (SPD) und der damalige Personalvorstand der Deutschen | |
Bank, Tessen von Heydebreck, gewesen sein. Die Regierung warb in den | |
Anfängen damit, „bestehende Grenzen zwischen den Sektoren“ abbauen und | |
„Verständnis für die Belange der Gegenseite“ erhöhen zu wollen. | |
Doch erst, als durch einen Fernsehbericht des ARD-Magazins „Monitor“ der | |
Öffentlichkeit bekannt wurde, dass Hunderte von Lobbyisten in den | |
Ministerien an Gesetzen mitschreiben, erließ die Regierung für die zuvor | |
nicht regulierte Praxis die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Einsatz | |
externer Personen in der Bundesverwaltung“, kurz AVV. Diese schreibt unter | |
anderem die jährliche Berichtspflicht vor. | |
Der noch nicht veröffentlichte, aber der taz bereits vorliegende sechzehnte | |
Bericht zeigt, dass die Einsätze von Mitarbeitern aus der Wirtschaft zwar | |
weniger werden, aber nach wie vor stattfinden. | |
So waren im Zeitraum zwischen Juli 2016 und Juni 2017 wie schon in den | |
letzten Jahren mehrere Angestellte des Deutschen Zentrums für Luft- und | |
Raumfahrt e. V., kurz DLR, beim Bundesministerium für Bildung und Forschung | |
beschäftigt. Eingesetzt wurden sie in Bereichen, die besondere Kenntnisse | |
der Luft- und Raumfahrtexperten nicht wirklich erwarten lassen – etwa beim | |
Thema „Missbrauchspotenzial neuer Technologien, z. B. im Umgang mit | |
Gentechnik, Stammzellenforschung und Fortpflanzungsmedizin“ oder bei der | |
„Transferinitiative Kommunales Bildungsmanagement“, bei der es unter | |
anderem um frühkindliche Bildung, allgemeinbildende Schulen und die | |
Weiterbildung Älterer geht. | |
Zudem erhält das DLR als Projektpartner des Ministeriums Hunderte Millionen | |
an Forschungsgeldern, die einen großen Teil seines Budgets ausmachen. | |
## Forderung nach einem Gesetz | |
Auch die Unternehmen der „VDI Gruppe“, die zwei Mitarbeiter an das | |
Forschungsministerium entsandten, sind Projektpartner des Ministeriums, | |
worin dieses offenbar kein Problem sieht. Dabei sind nach der AVV Einsätze | |
Externer verboten, wenn die Behörde in den zwei Jahren zuvor mit dem | |
„entsendenden Unternehmen“ Geschäftsbeziehungen eingegangen ist – doch | |
Konsequenzen sieht die AVV bei Zuwiderhandlungen nicht vor. | |
Der Verwaltungsrechtsexperte Bernd J. Hartmann von der Universität | |
Osnabrück kam in seiner Studie „Inklusive Verwaltung“ unter anderem deshalb | |
zu dem Schluss, dass die Vorschrift in dieser Form nicht ausreichend sei, | |
um dem rechtsstaatlichen Neutralitätsgebot zu genügen. Statt der einfachen | |
Verwaltungsvorschrift müssten die Einsätze erstens deutlich strenger und | |
zweitens durch ein Gesetz geregelt werden. | |
Die Lückenhaftigkeit der AVV wird auch beim Einsatz des | |
Siemens-Mitarbeiters während des NAP offenbar. So fiel die vorgeschriebene | |
Risikoabschätzung in Hinblick auf mögliche Interessenkollisionen denkbar | |
kurz aus: Die Abteilung Korruptionsprävention des Auswärtigen Amts | |
entschied ohne nähere Begründung, dass „keine Bedenken gegen den Einsatz“ | |
bestünden. | |
## Einsätze bis fünf Jahre | |
Timo Lange von Lobbycontrol kann über diese Einschätzung nur staunen: „Da | |
Siemens unmittelbar von den Regelungen des NAP betroffen ist, liegt aus | |
unserer Sicht ganz klar ein Interessenkonflikt vor.“ Es sei „nicht | |
nachvollziehbar, warum das Auswärtige Amt ausgerechnet einen Siemens-Mann | |
in der Stabsstelle einsetzte“. | |
Kritisch sieht Lange auch den umgekehrten Weg, wenn also Beamte in | |
Unternehmen arbeiten: „Über diesen Weg erhalten die beteiligten Unternehmen | |
ebenfalls einen privilegierten Zugang zu den Ministerien.“ | |
In der öffentlichen Wahrnehmung fand dieser Seitenwechsel bisher nur wenig | |
Beachtung. Das mag auch daran liegen, dass es für die staatsfernen Einsätze | |
der Staatsdiener keine öffentliche Berichtspflicht gibt. Einen Überblick, | |
wie viele Beamte einen Ausflug in die Privatwirtschaft machen, gibt es so | |
kaum. | |
Lediglich eine Anfrage der Grünen von 2006 und eine Anfrage der Linkspartei | |
aus dem Jahr 2013 geben Aufschluss über die Dimension der Einsätze: 2006 | |
war ein Beamter des Entwicklungshilfeministeriums beim Bundesverband der | |
Deutschen Industrie e. V., kurz BDI, beschäftigt, und vom Auswärtigen Amt | |
gingen fünf Beamte in die Privatwirtschaft: je einer zu DaimlerChrysler, zu | |
BMW und zum BDI, zwei zur Siemens AG. 2013 waren zwei Beamte des | |
Entwicklungshilfeministeriums beim BDI, einer aus dem Finanzministerium bei | |
der Deutschen Telekom AG, und insgesamt zehn Mitarbeiter des Auswärtigen | |
Amts unter anderem bei der Telekom, beim BDI, der Daimler AG und bei | |
Siemens beschäftigt. Die Einsätze dauerten jeweils zwischen einigen Monaten | |
und fünf Jahren. | |
## Beamter als Bereichsleiter | |
Anfragen bei Unternehmen ergaben, dass auch zurzeit Beamte den Weg in die | |
Wirtschaft gefunden haben. Zum Beispiel bei Siemens. Dort ist laut | |
Unternehmenssprecher ein beurlaubter Beamter des Auswärtigen Amts „auf | |
Basis eines befristeten Arbeitsvertrags“ seit 2015 beschäftigt. Die | |
Tätigkeit erfolge „auf eigenen Wunsch zur individuellen Personalentwicklung | |
und zum Erfahrungserwerb“ im Bereich „Governance and Markets“. Geplante | |
Arbeitsdauer: bis 2020. | |
Ein anderer Fall eines jahrelangen Einsatzes findet derzeit bei der | |
Volkswagen AG statt: Hier leitet laut Konzernsprecher ein beurlaubter | |
Beamter des Auswärtigen Amts seit Februar 2014 den Bereich „Internationale | |
und Europäische Politik“. | |
Einer Unternehmens-Pressemitteilung zufolge könnte es sich um einen hohen | |
Beamten handeln, der „persönlicher Referent verschiedener Staatssekretäre | |
und ab 2005 Leiter des Büros Staatssekretäre im Auswärtigen Amt“ war, | |
„bevor er 2009 Gesandter und Ständiger Vertreter des Botschafters in | |
Washington wurde“. Dieser „berichte“ bei VW an Thomas Steg – | |
Konzern-Cheflobbyist, der nach seiner Zeit als Regierungssprecher endgültig | |
die Seiten wechselte. | |
Für Timo Lange von Lobbycontrol stellen „Transparenz, klare Regeln und | |
Berichtspflichten“ eine „Minimalanforderung“ in diesem Bereich dar. Doch | |
aus der Politik wurde eine stärkere Regulierung bisher nicht gefordert. | |
## Beurlaubung nur aus „wichtigem Grund“ | |
Die Frage ist allerdings, ob die Beamteneinsätze womöglich schon nach | |
geltender Rechtslage gar nicht rechtmäßig sind. Denn nach Beamtenrecht ist | |
eine Beurlaubung von Beamten nur aus „wichtigem Grund“ zulässig, und | |
Nebentätigkeiten sollen nur ausnahmsweise genehmigt werden. Nach § 99 | |
Bundesbeamtengesetz ist eine Tätigkeit jedenfalls zu untersagen, wenn sie | |
„die Unparteilichkeit oder Unbefangenheit der Beamtin oder des Beamten | |
beeinflussen“, „die Beamtin oder den Beamten in einen Widerstreit mit den | |
dienstlichen Pflichten bringen“ oder wenn sie „dem Ansehen der öffentlichen | |
Verwaltung abträglich sein kann“. | |
Beamtenrechts-Professor Thorsten Ingo Schmidt von der Universität Potsdam | |
hält die Einsätze deshalb für zweifelhaft: „Zur Beurteilung kommt es auf | |
die konkrete Verwendung des Beamten im Unternehmen an, aber in jedem Fall | |
bleibt ein Beamter auch während einer Beurlaubung an beamtenrechtliche | |
Grundsätze gebunden, wozu etwa die Treuepflicht gegenüber dem Dienstherrn | |
gehört.“ | |
Das Bundesinnenministerium erklärt auf seiner Homepage, dass „Integrität | |
der Verwaltung“ eine „wichtige Voraussetzung für das Vertrauen der | |
Bürgerinnen und Bürger in die Funktionsfähigkeit des Staates“ sei. | |
Integrität heiße, „dass in Deutschland jeder Beschäftigte im öffentlichen | |
Dienst rechtstreu, unbestechlich und objektiv“ Entscheidungen treffe. Aber | |
vielleicht kennen die Ministerien die Homepage nicht besonders gut. | |
29 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Cornelia Liedtke | |
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