# taz.de -- Bericht über Zustand der Förde: Lautloses Sterben | |
> Ein Bericht des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums zeigt, dass | |
> es der Flensburger Förde mies geht. Ein großes Problem sind die | |
> Düngeeinträge. | |
Bild: Können einen Beitrag leisten, das Wasser zu reinigen: Muscheln in der Os… | |
NEUMÜNSTER taz | Seit Jahren setzen sich zwei Taucher als „Unterwasserteam | |
Flensburg“ für den Schutz der Förde ein. Nun erscheint ein [1][Bericht des | |
Umweltministeriums Schleswig-Holstein], der dem Ostseearm zwischen | |
Deutschland und Dänemark einen schlechten Zustand bescheinigt. Das Dokument | |
lese sich „ein bisschen wie ein Totenschein“, sagt Unterwasserteam-Mitglied | |
Tobias Kaiser. Doch er und sein Mitstreiter Stephan Thomsen sehen genau | |
darin auch eine Chance. | |
Wäre die Flensburger Förde ein Schulkind, sie müsste sich Sorgen um ihre | |
Versetzung machen: In den meisten Kategorien, die der aktuelle Bericht des | |
Umweltministeriums nennt, lautet die Note „unbefriedigend“. Bewertet wurde | |
der Ostseefjord nach den Kriterien der EU-Wasserrahmenrichtlinie, geprüft | |
werden dabei unter anderem der Zustand der tierischen und pflanzlichen | |
Lebewesen, Schadstoffbelastung und chemisch-physikalische Parameter. | |
Dass es der Förde schlecht geht, wissen Kaiser und Thomsen seit Jahren. Die | |
beiden Schleswig-Holsteiner haben sich in Ägypten kennengelernt – damals | |
leitete Kaiser dort eine Tauchbasis, die Thomsen als Gast besuchte. Später | |
kehrte Kaiser, der im Hauptberuf Pastor ist und heute als Diakon die Kieler | |
Seemannsmission leitet, nach Norddeutschland zurück und nahm den Kontakt zu | |
Thomsen wieder auf, der als Berufstaucher der Feuerwehr Flensburg arbeitet | |
und in der Förde „jeden Fisch beim Namen kennt“, so die Beschreibung auf | |
der Homepage des „Unterwasserteams“. | |
Der Name sei übrigens ein Glücksgriff gewesen, berichtet Kaiser: „Dass wir | |
nur zwei sind, ahnte anfangs keiner.“ So wurde das Team zu Beratungsrunden | |
im Rathaus eingeladen, unter anderem als es um die Frage ging, ob in der | |
Förde weiter Muscheln gefischt werden dürften. | |
Kaiser legte dagegen ein deutliches Veto ein – auch weil er aus eigener | |
Ansicht weiß, wie es aussieht, wenn ein Fabrikschiff seine Netze über den | |
Boden gezogen hat und nur schlammigen Grund zurücklässt oder die | |
„netzartigen Strukturen“, die von Fischleichen übrig bleiben, die sich | |
aufgrund der Nährstoffübersättigung nicht ganz zersetzen können. | |
„Die Untere Naturschutzbehörde ist gut, wenn es um Bäume geht, aber unter | |
Wasser ist sie blind“, sagt Kaiser. Und die Aufsichtsbehörde in Kiel sehe | |
zwar, wo sich ein Fangschiff aufhalte, aber nicht, „ob die Kästen unten | |
sind“. Mit Videos, die sie auf ihrer Homepage und andere Kanälen | |
veröffentlichen, machen Kaiser und Thomsen das lautlose Sterben der Förde | |
sichtbar. Kommerzielle Muschelfischerei ist seit einigen Jahren verboten – | |
„eine Sternstunde“, sagt Kaiser. | |
Der Bericht der Landesregierung, der nun die gesamte Förde erfasst, | |
bestätigt die Beobachtungen der beiden. „Meine spontane Reaktion beim | |
Lesen: Ja, wir liegen richtig, und ich hätte mir gewünscht, es sei nicht | |
so“, sagt Kaiser. Doch die 25-Seiten-Studie helfe auch: „Was wir sagen, | |
kann man als zufällige Laienbeobachtungen abtun. Nun liegt ein Dokument | |
vor, auf das man verweisen kann.“ | |
Das Ministerium nennt auch die Ursachen des Problems, inklusive der | |
Lösungsansätze. Allerdings schwingt eine gewisse Hilflosigkeit mit. Denn | |
der Hauptgrund für die [2][Überdüngung der Förde] sind demnach die „nach | |
wie vor viel zu hohen landseitigen Nährstoffeinträge“, die aus der | |
Landwirtschaft kommen. | |
Damit sich etwas ändert, müssten Bäuer*innen die in Gesetzen definierte | |
„gute fachliche Praxis“ einhalten, fordert das Ministerium, das unter | |
seinem Chef [3][Jan Philipp Albrecht] (Grüne) auch für die Landwirtschaft | |
zuständig ist. Weitere Maßnahmen wie der Ankauf von Uferstreifen als | |
Schutzzone scheitern daran, dass entsprechendes Land nicht zum Verkauf | |
steht. So wird das Land Geld vor allem für weitere Untersuchungen, Karten | |
und Monitoring ausgeben. | |
„Durchaus sinnvoll“, findet Tobias Kaiser diese Pläne. Er wünscht sich | |
unter anderem, dass Steine auf den Grund gebracht werden: „Die sind in | |
früheren Zeiten aus der Förde gefischt und als Baumaterial oder | |
Kopfsteinpflaster verwendet worden.“ | |
Heute fehlen die Steine, weil sie Muschelbänken Halt bieten könnten. | |
Muscheln aber filtern das Wasser und würden damit dem Gewässer helfen. Aber | |
„es bringt nicht, Steine einfach in den matschigen Grund zu werfen – damit | |
würde Geld buchstäblich versenkt“. Um die richtigen Stellen zu finden, | |
seien genaue Kartierung und Know-how nötig. Ähnliches gilt für Seegras, das | |
ebenfalls das Wasser reinigen kann. | |
Kaiser und Thomsen planen nun, einen Verein zu gründen: „Wir beide können | |
die Arbeit nicht machen – aber wir können vernetzen und Leute | |
zusammenbringen.“ Denn die beiden Flensburger sind inzwischen bekannt, | |
ebenso wie ihre Bilder vom Zustand der Förde. Durch die Mitarbeit in vielen | |
Runden haben beide Kontakte sowohl zur Politik als auch zu | |
Nebenerwerbsfischern und Umweltverbänden. „Ich habe Hoffnung, dass sich | |
etwas tut“, sagt Kaiser. | |
17 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl19/drucks/03400/drucksache-19-03465… | |
[2] /Ostsee-auf-der-Kippe/!5538765 | |
[3] /Minister-Albrecht-ueber-seinen-neuen-Job/!5817360 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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