# taz.de -- Kriegsmunition in Nord- und Ostsee: „Verheerende Auswirkungen“ | |
> In der Nord- und Ostsee liegen hunderttausende Tonnen Weltkriegsmunition. | |
> Die Bundesregierung müsse sich endlich darum kümmern, fordern Grüne und | |
> FDP. | |
Bild: Soll möglichst vermieden werden: Sprengung einer 500-Kilo-Bombe aus dem … | |
HAMBURG taz | Hunderttausende Tonnen alter Munition aus den beiden | |
Weltkriegen [1][gammeln auf dem Grund der Nord- und Ostsee] vor sich hin. | |
Weil das Zeug umso gefährlicher wird, je länger es dort liegt, und auch | |
umso schwieriger zu bergen, wollen die Grünen und die FDP jetzt die | |
schwarzrote Bundesregierung zum Handeln bringen. | |
In einem interfraktionellen Antrag fordern sie die Bundesregierung dazu | |
auf, gemeinsam mit den Küstenländern, der Wissenschaft, Wirtschaft und den | |
Umweltverbänden „eine Strategie für die Bergung und umweltverträgliche | |
Vernichtung von Munitionsaltlasten in der deutschen Nord- und Ostsee zu | |
entwickeln“. Ende Februar/Anfang März soll der Antrag im Bundestag | |
debattiert werden. | |
„Munition im Meer ist ein seit Jahrzehnten von der Bundesregierung | |
ignoriertes Umwelt- und Sicherheitsproblem“, sagt die Bundestagsabgeordnete | |
Steffi Lemke (Die Grünen). Und ihr FDP-Kollege Olaf von der Beek ergänzt: | |
„Wenn wir nicht zügig die Forschung und anschließende Bergung vorantreiben, | |
drohen uns verheerende Auswirkungen für Mensch und Umwelt.“ | |
Mit alter Munition muss überall in deutschen Gewässern gerechnet werden – | |
sei es mit Blindgängern von Bomben und Granaten, seien es versackte | |
Torpedos oder Seeminen. 90 Prozent der Munition wurde jedoch nach dem Krieg | |
in bestimmten Versenkungsgebieten ins Meer geschüttet. Die Alliierten | |
wollten die Wehrmachtsmunition schnell und günstig loswerden. Sich über die | |
langfristigen Folgen Gedanken zu machen, wäre im zerstörten und hungernden | |
Europa wohl ein Luxus gewesen. | |
## Erhöhte Krebsraten bei Fischen | |
Die alte Munition berge nicht nur eine direkte Gefahr für die Schifffahrt, | |
Fischerei und für Bauarbeiten am Meeresgrund, sie droht auch die | |
Meeresumwelt zu vergiften, warnen die Antragsteller. Nicht nur chemische | |
Kampfstoffe, sondern auch der standardmäßig und in riesigen Mengen | |
verwendete Sprengstoff TNT drohen Organismen zu schaden. | |
Die Forschung dazu läuft und deutet darauf hin, dass TNT und dessen | |
Abbauprodukte krebserregend sind. So fanden Forscher des Thünen-Instituts | |
für Fischereiökologie in dem Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide | |
an der Kieler [2][Förde erhöhte Krebsraten] bei Klieschen, einem zu den | |
Schollen zählenden Plattfisch. Bei einem Viertel der Tiere wurden | |
Lebertumore gefunden, in unbelasteten Gebieten lag die Rate bei knapp fünf | |
Prozent. | |
Nicht nur in den Versenkungsgebieten lassen sich schon heute | |
sprengstofftypische Gifte in Organismen nachweisen, sondern in der ganzen | |
Ostsee. Korrodiert die Munition, werden zunehmend Sprengstoffreste | |
freigesetzt und die Bergung wird schwieriger, „sensitiver“, wie Jens | |
Greinert vom Kieler [3][Helmholtz-Institut für Ozeanforschung Geomar] bei | |
einer Informationsveranstaltung vergangenen Sommer in Kiel sagte. „Wenn wir | |
länger warten, wird es immer gefährlicher, diese Sachen zu bergen“, warnte | |
Greinert. | |
15 dieser Versenkungsgebiete seien bekannt, heißt es in dem Antrag der | |
Grünen und der FDP. Darüber hinaus gebe es 21 Verdachtsfälle und 71 stark | |
belastete Gebiete. Beim Versuch herauszufinden, wo weitere Gebiete liegen, | |
kann Archivarbeit helfen, allerdings fanden die Forscher des Geomar | |
„insbesondere in der Lübecker Bucht erhebliche Mengen an Munition, die | |
außerhalb bekannter Belastungsflächen liegt“. | |
## Viel zu tun | |
Aus Sicht der Grünen und der FDP im Bundestag gibt es deshalb viel zu tun. | |
Sie fordern „eine großflächige Räumung und umweltverträgliche Vernichtung | |
der Munitionsaltlasten, die auf Unterwassersprengungen verzichtet“. Das | |
müsse Priorität haben und als eine gemeinsame Aufgabe des Bundes und der | |
Länder begriffen werden. „Der Bund darf die Länder nicht im Stich lassen | |
und muss endlich auch finanzielle Verantwortung für die vollständige | |
Bergung der Munitionsaltlasten übernehmen“, findet Lemke. | |
Dass das teuer werden kann, ist auch den Antragstellern im Bundestag klar. | |
Sie weisen darauf hin, dass die Bergungskosten mit zunehmender Korrosion | |
und Schlagempfindlichkeit steigen und die Bergung eventuell sogar unmöglich | |
machen würden. Allerdings böte eine großflächige Bergung die Chance, „in | |
Deutschland ein Kompetenzzentrum aufzubauen, welches den Wissensstand | |
bündelt und bestmöglich weiterentwickelt“. Die dabei gefundenen Lösungen | |
könnten auch in andere Länder exportiert werden. | |
An solchen Lösungen wird längst getüftelt. Bei seiner jüngsten | |
Forschungsfahrt im Oktober erprobte das Geomar einen Tauchroboter zur | |
Untersuchung von Munition, ein Echtzeitanalysesystem für Schadstoffe und | |
Magnetsensoren zum Aufspüren von Munition. Weitere Projektanträge seien in | |
Vorbereitung. | |
27 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Weltkriegs-Hinterlassenschaften/!5568872 | |
[2] https://www.thuenen.de/de/thema/meere/integrierte-bewertung/zeitbomben-im-m… | |
[3] https://www.geomar.de/news/article/munition-im-meer-auswirkungen-nur-luecke… | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Munition | |
FDP | |
Bundestag | |
Grüne | |
Nordsee | |
Ostsee | |
Umwelt | |
Meer | |
Munition | |
Ostsee | |
Munition | |
Munition | |
Meeresschutz | |
Ostsee | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Biologe über Schadstoffe in der Ostsee: „Eine Entlastung für die Muschel“ | |
Miesmuscheln in der Ostsee nehmen weniger Schwermetalle und Schadstoffe | |
auf. Für generelle Entwarnung ist es laut Biologe Mario von Weber zu früh. | |
Überbleibsel aus den Weltkriegen: Viel Munition bleibt im Meer | |
50 Millionen Euro will die Bundesregierung bis 2026 für die Räumung von | |
Munition im Meer locker machen. Das ist ziemlich wenig. | |
Bericht über Zustand der Förde: Lautloses Sterben | |
Ein Bericht des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums zeigt, dass es | |
der Flensburger Förde mies geht. Ein großes Problem sind die Düngeeinträge. | |
Ausstellung im Schifffahrtsmuseum: Gefährliche Wracks | |
In Bremerhaven lässt sich virtuell nachvollziehen, wie Forscher | |
untersuchen, welche Gefahr von Kriegsmunition und gesunkenen Schiffen | |
ausgeht. | |
Verrottende Weltkriegsmunition: Pläne gegen die Zeitbomben im Meer | |
Für die Bergung von Munition aus dem Zweiten Weltkrieg vom Grund der Nord- | |
und Ostsee liegen mehrere Konzepte auf dem Tisch. Aber noch fehlt das Geld. | |
Arlamierende Zahlen aus der Ostsee: Das Sterben der Schweinswale | |
In der Ostsee sind Schweinswale vom Aussterben bedroht. Die Zahl der tot | |
aufgefundenen Meeressäuger bleibt hoch. | |
Weltkriegs-Hinterlassenschaften: Munition vergiftet die Ostsee | |
Rostende Fässer mit chemischen Kampfstoffen belasten das Meer vor der | |
deutschen Ostseeküste zunehmend. Das Gift gelangt auch in die | |
Nahrungskette. |