# taz.de -- Verrottende Weltkriegsmunition: Pläne gegen die Zeitbomben im Meer | |
> Für die Bergung von Munition aus dem Zweiten Weltkrieg vom Grund der | |
> Nord- und Ostsee liegen mehrere Konzepte auf dem Tisch. Aber noch fehlt | |
> das Geld. | |
Bild: Könnten bald von Robotern ersetzt werden: Taucher bei der Begutachtung v… | |
RENDSBURG taz | Sie rosten, sie entlassen Schadstoffe ins Wasser, sie | |
stellen eine Gefahr für Wale, Schiffe und Unterwasserarbeiten dar: Rund 1,6 | |
Millionen Tonnen Bomben, Minen und Munition werden allein in den deutschen | |
Gewässern von Nord- und Ostsee vermutet. Expert*innen fordern die | |
Bergung der Altlasten, und allmählich bewegt sich auch die Politik. An | |
Techniken zum Finden und Bergen der Munition wird gearbeitet. Nur das Geld | |
ist noch nicht bewilligt. Es geht um Hunderte von Millionen Euro. | |
„Es hat sich einiges getan“, sagt sich Astrid Damerow erfreut. Die | |
CDU-Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein gehört dem Umweltausschuss | |
an und befasst sich seit Jahren mit dem Problem der explosiven Altlasten im | |
Meer. Im Frühjahr hatte sich der Ausschuss auf Antrag von Grünen und FDP | |
mit der Frage befasst, wie sich der Kriegsschrott bergen lässt, im Mai | |
beriet auch der Bundestag. | |
Den Müll zu entsorgen, sei dringend nötig, sagen Expert*innen von | |
Umweltverbänden und Forschungseinrichtungen wie dem Kieler Geomar | |
Helmholtz-Zentrum, das fordert, „rasch vom Wissen zum Handeln zu kommen“. | |
Denn das Problem spitzt sich zu. Das Geomar wies Schadstoffe aus den | |
verrotteten Kampfmitteln in Wasserproben an der gesamten Ostseeküste nach. | |
Zwar war die Konzentration an dem meisten Stellen gering, doch das mag sich | |
ändern, je brüchiger die Munition wird. „Alle Fachleute sagen uns, dass die | |
Zeitfenster kleiner werden“, so Damerow. | |
Noch vor einigen Jahren galt, dass die Bergung in den meisten Fällen ein | |
größeres Risiko für das Auseinanderbrechen alter Torpedos oder Minen | |
darstelle, als sie an Ort und Stelle zu lassen. Einige Kriegsgeräte wurden | |
unter Wasser gesprengt. Doch das setzt nicht nur Schadstoffe frei, sondern | |
„verstößt gegen geltendes Naturschutzrecht, wenn es ohne technischen | |
Schallschutz passiert“, sagt Kim Detloff, Leiter der Meeresschutzabteilung | |
beim Nabu. | |
## Roboter könnten die Munition heben und demontieren | |
Inzwischen werden Methoden erprobt, die Munition mit Roboter-Technik zu | |
bergen und an der Fundstelle zu entschärfen. So hat das Fraunhofer Institut | |
für chemische Technologie mit Beteiligung mehrerer Firmen eine schwimmende | |
Plattform entworfen, auf die Roboter die Munition heben und sie dann dort | |
auseinander bauen. Daraus hat sich ein „Systemkonzept aus unbemannten und | |
ferngesteuerten Komponenten“ zur sicheren Demontage entwickelt, so das | |
Bundeswirtschaftsministerium, das Geld für das Projekt gab. | |
Die Thyssen-Krupp-Tochter Marine Systems (TKMS) in Kiel hat den Plan für | |
ein umfassendes Konzept vorgelegt, das vom Finden der Sprengkörper bis zur | |
Demontage in einer „Delaborationskammer“ reicht. „Wir nutzen teils | |
vorhandene Techniken und bringen teils eigene Expertise ein“, sagt | |
Unternehmenssprecher Eugen Witte. Einen Prototypen, dessen Bau rund 90 | |
Millionen Euro kosten würde, gibt es noch nicht. „Aber es ist alles | |
durchgeplant, wir können so eine Anlage in eineinhalb bis zwei Jahren an | |
den Start bringen.“ | |
Aber wer zahlt? Schleswig-Holstein, als Anrainer an beiden Meeren | |
besonders belastet, hatte früh klar gemacht, dass das Aufräumen des | |
Kriegsschrotts keine Landessache sein könnte: „Die erwarteten Kosten in | |
Höhe eines dreistelligen Millionenbetrags könnten die Küstenbundesländer | |
nicht alleine tragen“, so Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp | |
Albrecht (Grüne). Der Bundesrat unterstützt den Appell, und der Bundestag | |
beschloss Anfang Mai auf Antrag von Union und SPD ein Paket an Vorschlägen | |
zum „verantwortungsvollen Umgang mit Kampfmitteln in Nord- und Ostsee“. | |
Summen sind dort allerdings nicht genannt. | |
Astrid Damerow rechnet damit, dass genaue Zahlen erst nach der Wahl im | |
September vom neuen Bundestag beschlossen werden können. „Aber inzwischen | |
ist klar, dass Länder, Bund und EU das Problem gemeinsam anpacken müssen“, | |
sagt die Abgeordnete. Lange Zeit weigerten sich die übrigen Meeresanrainer, | |
für die Folgen eines Krieges aufzukommen, den Deutschland begonnen hatte. | |
Angesichts der sich verschärfenden Lage sei es gelungen, die Schuldfrage | |
„erstmal beiseite zu schieben“, sagt Damerow. | |
So hat kürzlich das europäische Parlament mehrheitlich dafür gestimmt, dass | |
die EU sich finanziell am Auffinden und Entsorgen versenkter | |
Weltkriegsmunition beteiligt. Die Petitionen dazu kamen aus Lettland und | |
Portugal. | |
Geplant ist nun zunächst eine Priorisierung, um die „Objekte mit dem | |
größten Gefahrenpotential“ ausmachen und als erste entsorgen zu können, so | |
der Beschluss des Bundestags. Dadurch könne die Gefahr für Mensch und | |
Umwelt bereits „signifikant reduziert werden“, heißt es in dem Antrag der | |
Regierungsfraktionen. Entsprechende Aufträge sollen ausgeschrieben werden. | |
Im September treffen sich die Fachleute für die Munitionsentsorgung aus | |
aller Welt in Kiel zur „Munition Clearance Week“. Denn auch wenn das | |
Problem an den deutschen Küsten besonders drängend ist – Munition verseucht | |
die Meere rund um die Welt. | |
24 Jun 2021 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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