# taz.de -- Weltkriegs-Hinterlassenschaften: Munition vergiftet die Ostsee | |
> Rostende Fässer mit chemischen Kampfstoffen belasten das Meer vor der | |
> deutschen Ostseeküste zunehmend. Das Gift gelangt auch in die | |
> Nahrungskette. | |
Bild: Rosten immer weiter durch: Munitionsbehälter in der Ostsee | |
HAMBURG taz | Der Zweite Weltkrieg wirkt noch immer nach – und in | |
mindestens einer Hinsicht immer stärker. In Teilen der Ostsee droht eine | |
ökologische Katastrophe: Fässer mit chemischen Kampfstoffen, nach dem | |
Krieg von der britischen Navy einfach ins Meer gekippt, rosten immer | |
stärker durch und entlassen Gifte ins Wasser. | |
Verseuchte Muscheln und Fische sind die Folge, wie Wissenschaftler des | |
Thünen-Instituts für Fischereiökologie und des Alfred-Wegener-Instituts in | |
Bremerhaven am Donnerstag berichteten. Drei Jahre lang hatten | |
internationale Wissenschaftler im Projekt „Daimon“ die Risiken, die von den | |
versenkten Kampfstoffen ausgehen, erforscht. | |
Rund 1,6 Millionen Tonnen Waffen aus Weltkriegszeiten lagern vor | |
norddeutschen Küsten, etwa ein Fünftel in der Ostsee, der größte Teil in | |
der Nordsee. Konventionelle Bomben, Minen und Granaten sind darunter, aber | |
auch chemische Kampfstoffe: Senfgas, Arsen, TNT und anderes mehr. | |
30 offizielle Areale, in denen Munition verklappt wurde, sind auf den | |
Seekarten eingetragen, auf etwa zwei Dutzend weiteren Flächen werden | |
giftige und explosive Reste vermutet. „Das Problem wird größer, je mehr die | |
Metallhüllen der Kampfmittel wegrosten“, sagte der Toxikologe Edmund Maser. | |
## Jeder vierte Fisch mit Tumor | |
Ein besonders bedrohtes Gebiet ist die Kolberger Heide in der Kieler Bucht | |
direkt vor den Urlauberhochburgen Kalifornien und Brasilien. In diesem | |
Munitionsversenkungsgebiet untersuchten die Wissenschaftler die Kliesche, | |
einen zu den Schollen zählenden Plattfisch. Bei einem Viertel der Tiere | |
wurden Lebertumore gefunden, sagte Thomas Lang vom Thünen-Institut, in | |
unbelasteten Gebieten habe die Rate bei knapp fünf Prozent gelegen. | |
In einem anderen Feldversuch wurde in Muscheln aus belasteten Gebieten ein | |
50-fach höherer Eintrag von chemischen Substanzen. Das Ergebnis | |
verdeutliche, dass die Gefahr durch den Altersprozess bei den Munitionen | |
künftig steigen werde. Giftige Substanzen könnten ungehindert austreten. | |
Dies führe zu einer Gesundheitsgefährdung der Meerestiere und über den | |
Fischfang auch für den Verbraucher. | |
Was zu tun ist, sagten die Wissenschaftler auch. Sie haben eine Toolbox zur | |
Einschätzung von akuter Gefahr durch die Munition entwickelt sowie ein | |
webbasiertes System, welches Politik und Behörden bei der Entscheidung | |
helfen soll, ob Funde weiter überwacht oder geborgen werden sollen. „Wir | |
brauchen von der Politik ein proaktives Verhalten und kein Abwarten mehr | |
wie in den letzten 70 Jahren“, so die Erkenntnis. | |
9 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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