# taz.de -- Janosch zum 90. Geburtstag: Horst Eckerts unheile Welt | |
> Der Merlin-Verlag in der Lüneburger Heide feiert Janosch: Zum 90. | |
> Geburtstag widmet man ihm dort einen Prachtband. | |
Bild: Das Auto heißt Ferdinand. Der Insasse bleibt unbekannt. Berge bedeuten e… | |
BREMEN taz | Mit 13 wäre Janosch fast erschossen worden. Ob das stimmt, | |
wissen wir nicht. Er hat das mal so erzählt, aber was Janosch über das Kind | |
Horst Eckert erzählt, das er war, ist meist nicht überprüfbar. Und oft, | |
wenn etwas überprüfbar war, von seinen Bekenntnissen, hat es mit der | |
Wirklichkeit nicht übereingestimmt. Meistens war es weniger harmlos. | |
„Mein Lebenslauf ist veränderbar“, schreibt er Ende der 1990er, es ist | |
nicht ganz klar, wie weit das gilt. Jedenfalls mit 13 Jahren in [1][Zabrze, | |
wo er vor 90 Jahren geboren wurde], am 11. März 1931, da wäre er fast | |
gestorben, sagt er: Als Anfang 1945 die Rote Armee den Ort im Süden Polens | |
erobert hatte, den die Deutschen nach dem Hitler-Ermöglicher Hindenburg | |
benannt hatten. | |
Da hätten ihn Soldaten, Russen, heißt es in dem Interview, in dem er das | |
erzählt, gezwungen, Kalaschnikow im Anschlag, 300 Schuss in der Trommel, | |
sich an die Wand zu stellen; ihn, und die Männer des Orts. Er neben seinem | |
Opa, der nur noch heult. Und dann sei die Großmutter gekommen, habe den | |
Soldaten ausgeschimpft und es war vorbei: Das ist die Macht der Frauen, bei | |
Janosch, dem Maler, von dem es leicht ist zu sagen, [2][er sei ein Sexist]. | |
Er sagt das auch selbst von sich. Er kokettiert damit: Nicht nur einmal hat | |
er sich einen Frauenhasser genannt, und so in die Richtung. Und in seinen | |
Bildern, also in denen, wo menschliche Frauen und menschliche Männer | |
zusammenkommen zu schwitzendem Sex in ungewaschener Bettwäsche, da sind die | |
Frauen oft deutlich größer als die Hänflinge, die unter ihrem Pantoffel | |
kümmern. Viele können fliegen. | |
Das alles ist im Prachtband zu sehen, der jetzt anlässlich des runden | |
Geburtstags im Gifkendorfer Merlin-Verlag erschienen ist, „Janosch, Leben & | |
Werk“, so der Titel, der schon mal gleich klarstellt, dass wir hier nicht | |
mit einem bloßen Kinderbuch-Illustrator zu tun haben. Sondern mit einem | |
Klassiker figürlicher Malerei des 20. Jahrhunderts. | |
Die Frauen jedenfalls sind gewaltig, trotzen Gefahren, dominieren die | |
Szene: Viragos eher als Vetteln, besitzergreifend. Wie aus Rache malt er | |
sie immer nackt, selbst wenn sie angezogen sind, immer scheinen Brüste und | |
Vagina durchs Kleid. Vielleicht wohnt da eine stille Angst vor ihnen, Angst | |
und Ehrfurcht, die man nicht wahrhaben will. Es ist auf jeden Fall | |
verkorkst. | |
Nach der Flucht aus Polen – die Familie hatte offenbar nicht daran | |
geglaubt, dass ihr Antrag auf Erteilung der Staatsbürgerschaft bewilligt | |
würde – war der spätere Janosch in Niedersachsen gelandet. Mit | |
Unterbrechungen lebte er von 1946 bis 1958 in Bad Zwischenahn bei | |
Oldenburg. In der Wollspinnerei Ripken verdingte er sich als Hilfsarbeiter. | |
Maschinenputzer. „Ich wollte raus aus der Fabrik“, heißt es im Leben & | |
Werk-Band, „wollte nicht mit den fingern zwischen die Zahnräder geraten.“ | |
Diese Möglichkeit der Verstümmelung nennt er seinen Antrieb, Maler zu | |
werden, denn „die Maschinen machten mich verrückt“. Dann will er Künstler | |
werden, zieht nach München, Schwabinger Bohème, wird aus der | |
Kunsthochschule geschmissen, Gelegenheitsjobs, Tapetenmuster entwerfen, | |
erste Bilderbücher. Und so geht’s weiter. | |
Jetzt lebt er auf Teneriffa, ist weltberühmt und mit Abstand der | |
bekannteste deutsche Maler der Gegenwart, nur haben die meisten | |
Kunsthistoriker*innen vergessen, dass sie ihn je kannten. Und | |
vielleicht ist das ganz gut, denn wer mit zu viel analytischem Verstand | |
sich in den Bilderkosmos vertieft, den Janosch geschaffen hat, den kann | |
schnell das Grauen anfallen, das überall durch sie spukt. Da lauert ein | |
stiller Horror und durch die knalligen Primärfarben und den | |
infantil-krakeligen Strich hindurch wird sichtbar, dass die vermeintlichen | |
Kinderbuchidyllen durch die Bank bewohnt sind von Unholden. | |
Ja klar, oft versuchen sie nur, auf ihre tapsige Art zärtlich zu sein. Aber | |
sie sind so grob, dass sie einander dabei trotzdem nicht selten böse | |
verletzen. Nur, dass es am Ende gut ausgeht, übertönt das Unheil dieser | |
Welt. Kaspar Mütze und Kaspar Löffel sind eher mit Joker verwandt, als dass | |
man sie sich mit einem Sepplfreund und im besten Einverständnis mit einem | |
Wachtmeister auf Räuber- und Zaubererjagd vorstellen könnte: In so einem | |
Kaspergrinsen steckt ziemlich viel Böses. Man übersieht es nur gern. | |
Dass ihn seine Zeit im Ammerland tief geprägt hätte, lässt sich nicht | |
sagen. Aber festzustellen bleibt: Janoschs Figuren leben im Flachland. | |
Tiger und Bär bewohnen eine friesische Reetdachkate. Das Meer aus | |
„Schimanski – Die Kraft der inneren Maus“ ist kein südliches. Und an den | |
wenigen Stellen, wo es Berge gibt, sind sie ein Problem. | |
Eine Chance, ja, auch, aber vor allem ein Problem, an dessen Rand dann das | |
Auto Ferdinand im gleichnamigen Buch verharrt, ein frühes Meisterwerk, wer | |
es als Kind gelesen hat, kann die Verse noch als frühvergreister Journalist | |
100 Jahre später auswendig. Die Handlung: Ferdinand schafft es allein nicht | |
ans Ziel. | |
Daraufhin: reinste Kraftfahrzeugs-Solidarität, Taxi sieben, das Auto von | |
der Post, Feuerwehr mit sieben Mann, alle kommen, schieben, bis der Traktor | |
von dem Bauern Nolte – auch ein eher norddeutscher Name – sie mit seiner | |
Riesenkraft auf den Berg geschafft und die Story beendet hätte, wenn nicht | |
oben der „Ferdinand / hinunter übern Bergesrand / und von der steilen Höh’ | |
/ in einen tiefen See“ fallen würde. Wo dann, Technikbegeisterung und | |
-skepsis halten sich sehr schön die Waage, ein Pferd ihn rettet. Es ist | |
weiß und seine Mähne ist struppig, die Erinnerung sagt: orange. | |
Dank sei Pferd! Zu den eigentümlichen Erfahrungen mit diesem Buch gehört | |
die komplette Verschmelzung zwischen dem Fahrer und dem gelben | |
Oldtimer-Coupé. Letzterem allein gilt dabei die Sorge der kindlichen | |
Leser*innen, das ist erprobt über drei Generationen: Der Mann mit dem | |
Schnäuzer ist nur der Geist in der Maschine. Sie hat ihn sich einverleibt. | |
Das Auto hier heißt Ferdinand. Gilles Deleuze hätte sich eingenässt vor | |
Glück. | |
Andere Männlein zerbrechen fast an ihren Äpfeln. Der fiese Froschkönig aus | |
dem Märchen zerrt die Prinzessin in eine Unterwasserwelt, als wäre er Anne | |
Sextons Vater. Maulwürfe lieben Grillen. Keiner fragt nach dem | |
Verwandtschaftsverhältnis von Tigerente und Tiger. Der lebt mit Bär in | |
einer festen Beziehung. Bis Ferkel kommt, die Sau. | |
Tatsächlich bedient das kleine Schweinchen den Topos der Verführerin, wie | |
Dido in der Odyssee: Es sprengt die Zweisamkeit von Tiger und Bär, ein | |
Paar, so innig wie Philemon und Baucis. Aber übersieht, wer das | |
feministisch als frauenfeindlich verurteilt, nicht, dass nicht die Figur, | |
sondern [3][sie als weiblich zu lesen sexistisch ist]? Dass die | |
Geschlechter dieser surrealen Imagerie vor allem eines sind – fluide? Dass | |
Figuren, die hier Personen sind, ihres Raubtierdaseins müde sind und die | |
Konkurrenz satt haben? Wäre ihre Welt nicht polymorph? | |
## Komplette Verweigerung | |
Wirklich nach Norddeutschland gekommen ist Janosch erst dank des | |
Merlin-Verlags, als der Ruhm schon anfing. Bei der Buchmesse 1976 habe ihr | |
Vater bei einem TV-Talk in den Zuschauerreihen gesessen, erzählt Verlegerin | |
Katharina Eleonore Meyer, und in dem sei auch Janosch als Interviewpartner | |
vorgesehen gewesen: „Janosch beantwortete einfach jede Frage mit: ‚Ich bin | |
der Janosch.‘“, komplette Verweigerung. „Immer einfach nur: ‚Ich bin der | |
Janosch.‘“ | |
Für den Journalisten ja eher unschön. Aber ihren Vater, den habe diese | |
schroffe Abwehr fasziniert. Und als er ein Jahr später eine Mappe mit | |
Radierungen zu Kinderliedern plante, habe Andreas J. Meyer dann den Kontakt | |
zu Janosch gesucht. Habe ihm einen Drucker vermittelt, an seinem damaligen | |
Wohnhort bei München, der Janosch in die Kaltnadel-Technik einführt. „Und | |
das war der Beginn einer dann doch sehr langen Zusammenarbeit.“ | |
Entstanden ist dabei ein eigener Verlag, die Little Tiger GmbH, in | |
Kooperation mit dem Hause Dressler-Oetinger aus Hamburg, zunächst exklusiv | |
für Janosch-Postkarten und Papier-Merchandising. Mittlerweile hat man auch | |
kanadische Kinderbücher im Programm, Dressler hat seine Anteile nach | |
Gifkendorf abgegeben. | |
Im Merlin-Verlag selbst aber ist der Janosch als Künstler ernst genommen | |
worden, von Anfang an, und es ist vielleicht sinnvoll, von dort auf sein | |
bekannteres Oeuvre zu schauen: Die süßen Geschichten hat jemand gemalt, der | |
Bukowski liebt und auch als Illustrator von de Sade gewirkt hat. Und hier | |
ist auch sein dramatischer Monolog „Zurück nach Uskow, oder Der Hund von | |
Cuernavaca, oder Eine Spur von Gott“ erschienen, sperriger Titel, fürwahr, | |
zu lang, um für einen Dramaturgen catchy zu sein, möglicherweise. | |
## Abrechnung mit der Kindheit | |
Das Theaterstück für einen Mann und einen Fernseher formuliert eine | |
niederschmetternde Abrechnung mit der Kindheit. Die ähnelt stark dem, was | |
über Horst Eckerts ersten Jahre bekannt ist, auch die Kalaschnikow kommt | |
vor: Sie erscheint als Ort des Missbrauchs, der Vergewaltigung, der | |
Betäubung mit Schnaps, der Schläge, der Tritte, der Beimpfung mit | |
religiösem Wahn, durch einen Katholizismus, der Menschen zu Staub macht. | |
Auf ewig. Und sie vergeht nicht: „Eigentlich“, wird der Mann, der im Stück | |
nur Steiner heißt, am Ende sagen, „konnte ich nie so leben, wie es sein | |
muss. Mühelos und fröhlich“. Immer habe er diesen Ekel in sich getragen, | |
„und es war auch dieser Hass“. In seiner Kunst und seinen Büchern ist | |
Eckert dieser Kindheit entronnen. Als der Janosch. Der leben kann. Dazu | |
herzlichen Glückwunsch. | |
10 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Zabrze#Geschichte | |
[2] http://doi.org/10.5169/seals-360368 | |
[3] http://kleinerdrei.org/2013/05/die-heile-welt-von-janosch-conni-co/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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