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# taz.de -- Von Hand gepresst: Hüpfende Buchstaben
> „Die Rixdorfer“ sind in den 1960er-Jahren für ihre Verbindung von Wort-
> und Druckkunst bekannt geworden. Nach wilden Anfängen in Berlin zogen die
> Künstler ins Wendland. Ihr 50. Jubiläum würdigt nun eine Ausstellung in
> Hamburg.
Bild: Die Rixdorfer in Anfangstagen.
HAMBURG taz | 1970, zum siebenjährigen Jubiläum der Rixdorfer, untermalte
Musik der Rolling Stones den Beitrag des Kulturmagazins „Titel – Thesen –
Temperamente“. Damals wurde die Künstlergruppe unter dem Titel „Suff, Sex
und Boheme“ verkauft und die Drucke des bis heute bestehenden, einst so
anarchistisch auftretenden Kollektivs wurden als „schnurrig“
charakterisiert.
Damals war die Künstlergruppe noch in Berlin ansässig. Mittlerweile
befindet sich die Werkstatt der Rixdorfer in Gümse im Wendland und die
Ausstellung zum 50. Jubiläum findet in der Fabrik der Künste in Hamburg
statt. Zu sehen gibt es dort einen Querschnitt aus der gesamten
Schaffenszeit: Flugblätter, Kalender, Bilderbögen, Mappen und
Illustrationen.
In den 1960er-Jahren hatten sich Uwe Bremer, Albert Schindehütte, Arno
Waldschmidt und Johannes Vennekamp zu Westberliner Entfants terribles
stilisiert, die mehr durch ihren Lebensstil auffielen als durch die Arbeit
in der Werkstatt in der Oranienstraße. Ihre Druckerzeugnisse waren
einerseits nostalgisch, andererseits respektlos und mitunter obszön. Denn
dem traditionellen Handwerk in Holzschnitt und Letterndruck standen eine
kreativ improvisierte Form und zum Teil politisch-revolutionärer Inhalt
entgegen.
Wild wurden die Schrifttypen gemischt und frei hüpften die Buchstaben in
unterschiedlicher Größe auf dem Papier, auch die Rechtschreibung wurde
verändert. Es war die Zeit, in der die großen Druckereien ihren Holz- und
Bleisatz abschafften und Lettern aller Art billig verramscht wurden. Das
Stilmittel der Rixdorfer entstand aus der Improvisation mit dem zufällig
gesammelten Material.
Die vier jugendlichen Neuberliner kamen allesamt aus der westdeutschen
Provinz und keiner hatte besonders viel Erfahrung im Hochdruck. Es war der
Berliner Poet und Grafiker Günter Bruno Fuchs (1928–1977), der sie
zusammenbrachte und motivierte. Typografische Experimente waren in der
Aufbruchszeit von Pop und Rock ’n’ Roll nicht unüblich, schließlich wurde
auch sonst alles neu durchgespielt. In dieser Hinsicht waren die
literaturaffinen Rixdorfer Handpressendrucker außergewöhnlich konsequent.
Auch ihr Privatleben hatte etwas Schillerndes. So gab es Fußballspiele, in
denen die Gruppe als „Balltreter Rixdorf & Co“ zusammen mit Dieter
Hildebrandt, Wolfgang Neuss und Rudi Dutschke als Rechtsaußen spielte –
nicht ohne zugleich in ihren Texten ironisch-kritisch Pierre de Coubertin
zu zitieren: „Der größte Dienst, den der Sport der Jugend erweisen kann,
ist, das Vagabundieren der Phantasie zu verhindern.“ Die
Fußballleidenschaft machte ihre Kunst einem größeren Publikum bekannt: Die
Blattfolge „Zum Ballspiel“ hing im Clubraum des FC St. Pauli. Denn dessen
langjähriger Präsident, Otto Paulick, lernte die Drucke der Rixdorfer 1965
kennen und ist der größte Sammler ihrer Arbeiten.
Paulick wurde auch der Auftraggeber für ihre umfangreiche Arbeit zu Klaus
Störtebecker, eine Hommage mit Texten des befreundeten Hamburger Dichters
Peter Rühmkorf. Aber das war dann schon 1995 und die immerhin drei Meter
hohen Holzdruckstöcke stehen heute in einem Kiosk in Binz auf Rügen.
Was in der wilden Berliner Zeit ganz und gar nicht vorhersehbar war: Die
Liebe zu Buchstaben hielt die Gruppe der immer auch einzeln arbeitenden
Individualisten bis heute zusammen. Nun kann die Künstlervereinigung ihr
50-jähriges Bestehen feiern – auch wenn das neueste, zum Teil im Hamburger
Museum der Arbeit gedruckte Mappenwerk „Ein Rixdorfer Totentanz“ heißt.
Überlebt hat das Projekt aber nicht in der Hauptstadt. Schon 1974 wurde die
Werkstatt von der trunkenen und zugleich engen Frontstadt des Kalten
Krieges ins ländliche Gümse verlegt. Der Ort liegt bei Dannenberg im
Wendland – klar, dass nun auch Rixdorfer Drucke gegen Atomkraft
herauskommen.
Vor allem aber wird Uwe Bremers idyllisches Gut auf dem Land zu einem
Treffpunkt von Künstlern, Dichtern und Politikern: Nicolas Born, Peter
Handke und Lew Kopelew kamen, auch der niedersächsische Jungpolitiker
Gerhard Schröder war da.
Produktive Ruhe bestimmt die gelegentlichen Symposien: So arbeiten 1991
zwölf Dichter, darunter H. C. Artmann, Sarah Kirsch und Reinhard Lettau,
wochenlang mit den Künstlern gemeinsam. Die entstehende Poesie wurde quasi
direkt in den Setzkasten diktiert.
Das so produzierte meterlange, zentnerschwere Leporello „Landschaft mit
Gästen“ mit fünfunddreißig Doppelseiten füllt in der Hamburger Ausstellung
eine ganze Wand. Wie Typografie zur freien Kunst wird, dem Wort die Form
und dem Gedicht Gewicht gibt, das lässt sich hier aufs Feinste
nachvollziehen.
Zugleich hören die Rixdorfer nicht auf, politisch zu sein. So behandeln die
„Acht Ausrufe“ von Reinhard Lettau die im wiedervereinigten Deutschland
erstarkte Ausländerfeindlichkeit. In Rot und Schwarz werden rechte Parolen
ironisiert und das Wort „Deutschland“ steht distanzierend in
Spiegelschrift.
1998 thematisieren sie das Jubiläum der Revolution von 1848, ehren Kaspar
Hauser und Georg Herwegh und fordern drei große F: „Feitstanz, Freibier und
Fölkerschmaus!“. Und in der heutigen Zeit digitaler Kommunikation prägt
sich das auch schon für Zeitungsliebhaber gültige Glaubensbekenntnis ein:
„Der freie Mensch hält nicht die Fresse, sein Wort lebt durch die
Druckerpresse!“
## „50 Jahre Werkstatt Rixdorfer Drucke“: Fabrik der Künste, Kreuzbrook 12,
Hamburg. Bis 20. Februar. Werkstattgespräch mit den Künstlern und Matthias
Matussek vom und Andreas Meyer vom Merlin Verlag: Sonntag, 17. Februar,
15.30 Uhr
14 Feb 2013
## AUTOREN
Hajo Schiff
## TAGS
wochentaz
Kinderbuch
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