Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommunalwahlen in Niedersachsen: Lokale Politik braucht Schutz
> Bedrohungen und Aggressionen nehmen zu. Deshalb sollen Privatadressen auf
> Wahllisten nicht mehr auftauchen, fordern die Grünen.
Bild: In diesem Fall ist der Leipziger Oberbürgermeister gemeint: beschmierter…
Hannover taz | Niedergeschlagen wurde [1][Joachim Kebschul, Bürgermeister
von Oersdorf] im Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein, im September 2016
nach einer Bauausschusssitzung – weil er sich für eine
Flüchtlingsunterkunft eingesetzt hatte.
[2][Arnd Focke (SPD), ehrenamtlicher Bürgermeister von Estorf im Kreis
Nienburg in Niedersachsen], trat 2019 zurück, nachdem sein Auto mit
Hakenkreuzen beschmiert worden war und in seinem Briefkasten Botschaften
gelegen hatten, in denen von „vergasen“ die Rede war.
Kurz vor Weihnachten 2019 explodierte das Auto von Helma Spöring,
parteilose Bürgermeisterin von Walsrode, auf deren Grundstück. [3][Belit
Onay (Grüne) erhält seit seiner Wahl] zum Oberbürgermeister der Stadt
Hannover im November 2019 Drohbriefe und Hassmails, in denen er und seine
Familie bedroht werden. Und auf das Haus des Oberbürgermeisters Oliver Junk
(CDU) in Goslar flogen im Februar 2020 Farbbeutel.
Das sind nur einige Beispiele für Angriffe auf Lokalpolitiker*innen
aus Norddeutschland. Erst seit September 2019 werden solche Vorfälle
systematisch erfasst, aktuelle Zahlen sind noch in der Auswertung. Die
aktuellsten Zahlen stammen aus dem April 2020, als das Justizministerium –
[4][ausgerechnet auf Anfrage der AfD] – eine erste Auswertung
veröffentlichte: 684 Ermittlungsverfahren waren es allein im ersten halben
Jahr der Erfassung. Und die Staatsangehörigkeit der Tatverdächtigen, die
die AfD ganz besonders interessierte: Zu fast 80 Prozent deutsch.
## Nicht immer politische Motive
Vor dem Eindruck der Mordanschläge auf Henriette Reker in Köln und Walter
Lübcke in Hessen hatten nicht wenige die eskalierenden Debatten in den
sozialen Netzwerken, vor allem rund ums Flüchtlingsthema, verantwortlich
gemacht.
Aber es stecken nicht immer politische Motive dahinter. Umfragen in
verschiedenen Bundesländern zeigen immer wieder, dass auch persönliche
Motive eine Rolle spielen – dass Konflikte um Bußgelder, Gebührenbescheide
oder Baugenehmigungen eskalieren.
Auch hier gibt es ein frühes Beispiel aus Niedersachsen: 2013 wurde in
Hameln der Landrat und Ex-LKA-Chef Rüdiger Butte erschossen – Auslöser
waren der drohende Führerschein- und Wohnungsverlust bei dem Täter, der
sich anschließend selbst erschoss.
Die Statistik des niedersächsischen Justizministeriums umfasst daneben
weitere, ähnlich gelagerte Delikte: Auseinandersetzungen mit
Sanitäter*innen, Feuerwehrleuten, aber auch Polizist*innen
beispielsweise. Bei diesen Gruppen gibt es allerdings im Hintergrund
Arbeitgeber und/oder Institutionen, die darauf reagieren und ihre Leute
entsprechend schulen und schützen können.
Daran mangelt es häufig bei ehrenamtlichen Lokalpolitiker*innen, hat eine
im Januar erschienene Studie der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung
festgestellt ([5][„Beleidigt und bedroht. Arbeitsbedingungen und
Gewalterfahrungen von Ratsmitgliedern in Deutschland“]). Die Grünen in
Niedersachsen wollen nun die bevorstehende Änderung des
Kommunalwahlgesetzes nutzen, um zumindest einmal den Zwang abzuschaffen,
mit einer Kandidatur auch die Privatadresse offenzulegen.
„Unser gesellschaftliches Gefüge basiert besonders in den Kommunen auf dem
Einsatz von Menschen im Ehrenamt. Wer aber Angst um körperliche und
seelische Unversehrtheit haben muss, wird sich nicht engagieren. Das dürfen
wir nicht zulassen“, sagt Landesvorsitzende Anne Kura.
Auch der Niedersächsische Städtetag hat sich diese Forderung schon länger
zu eigen gemacht. „Vorbild könnte die Wahlordnung für die Gemeinde- und
Landkreiswahlen in Bayern sein, in der steht: ‚Die Anschrift wird nicht in
die Bekanntmachung aufgenommen‘“, schreibt Pressesprecher Stefan Wittkop
auf taz-Anfrage.
Die Zeit drängt allerdings: Im Sommer müssen die Parteien ihre Wahllisten
aufstellen. Im Landtag wollen die Grünen darüber hinaus darauf drängen,
dass sich Niedersachsen im Bundesrat für Änderungen des Melderechts
einsetzt – Daten sollen nicht mehr so leicht abgefragt werden dürfen und
Verstöße entschiedener geahndet.
10 Feb 2021
## LINKS
[1] /Angriff-auf-Buergermeister-von-Oersdorf/!5341778
[2] /Kommunalpolitiker-ueber-rechte-Hetze/!5655077
[3] /NSU-20-Skandal-weitet-sich-aus/!5700668
[4] /Angriffe-auf-Amtstraeger-in-Niedersachsen/!5678011
[5] https://www.boell.de/de/2021/01/28/beleidigt-und-bedroht
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Kommunalpolitik
Rechte Gewalt
Niedersachsen
Grüne Niedersachsen
Kommunalwahl
Hildesheim
Kommunen
CDU Niedersachsen
Kommunalpolitik
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Flucht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Harsums Bürgermeister wird bedroht: „Lebensqualität eingeschränkt“
Marcel Litfin (parteilos) bekommt Todesdrohungen von einem offenbar
psychisch kranken Mann und wirft den zuständigen Behörden Untätigkeit vor.
Angriffe gegen öffentliche Bedienstete: Festung Rathaus
Das niedersächsische Twist beschäftigt für sein Rathaus einen
Sicherheitsdienst – und schweigt dazu. Studie: Viele Gemeinden von Gewalt
betroffen.
Kommunalwahl in Niedersachsen: Rakı im Schützenverein
Der türkisch-deutsche CDU-Kandidat Necdet Savural wirbt für interkulturelle
Akzeptanz in der Kommunalwahl.
Kommunalpolitiker werden bedroht: Wenn die Angst regiert
Nach Bedrohungen ziehen sich mehrere Bürgermeister zurück, einer will sich
bewaffnen. Die Bundesregierung ist besorgt.
Kommunalpolitiker über rechte Hetze: „Viele geben auf“
Weil er rechte Anfeindungen nicht mehr ertragen konnte, ist Arnd Focke als
Bürgermeister zurückgetreten. Er denkt, dass er kein Einzelfall ist.
Angriff auf Bürgermeister von Oersdorf: Schlag auf den Kopf
Der Bürgermeister eines Dorfes, das Flüchtlinge beherbergen wollte, wurde
verprügelt. Die Polizei ermittelt nun „in alle Richtungen“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.