| # taz.de -- Angriffe gegen öffentliche Bedienstete: Festung Rathaus | |
| > Das niedersächsische Twist beschäftigt für sein Rathaus einen | |
| > Sicherheitsdienst – und schweigt dazu. Studie: Viele Gemeinden von Gewalt | |
| > betroffen. | |
| Bild: Demnächst vielleicht auch vor Ihrem Rathaus: Wachmann | |
| Osnabrück taz | Das niedersächsische Twist ist ein Ort, auf den sich nur | |
| selten der Fokus der überregionalen Öffentlichkeit richtet. Letzte Woche | |
| geschah es. Der Grund: Das Rathaus des kleinen Örtchens im Emsland hat | |
| einen Sicherheitsdienst engagiert, für Einlasskontrollen. Es sei „immer | |
| häufiger zu verbalen Übergriffen durch Besuchende gekommen“, hat | |
| Bürgermeisterin Petra Lübbers (CDU) das dem NDR erklärt, wegen der | |
| Maskenpflicht, des Impfnachweises. Rund 1.000 Euro kostet die Maßnahme pro | |
| Woche. | |
| In die Öffentlichkeit will Twist damit am liebsten nicht. „Wir sagen dazu | |
| nichts“, sagt Stefan Holt vom Büro der Bürgermeisterin. Man wolle das | |
| „nicht höher hängen“. Die Bedrohungslage? Das Ziel der Kontrollen? „Wir | |
| geben keine Auskünfte“, sagt Holt. | |
| Dabei [1][erleben kommunale MitarbeiterInnen, auch PolitikerInnen | |
| landesweit Übergriffe]. „Das ist ein Phänomen, dass es nicht erst seit | |
| Corona gibt“, sagt Stefan Wittkop der taz, Niedersächsischer Städtetag | |
| (NST), Hannover. „Aber in den letzten Monaten tritt es verstärkt auf, und | |
| was da passiert, ist schon heftig. Die Hemmschwellen sinken.“ [2][Kommt es | |
| extrem, endet es wie bei Rüdiger Butte (SPD)], dem Landrat des | |
| niedersächsischen Landkreises Hameln-Pyrmont, der 2013 in seinem Büro | |
| erschossen wurde. | |
| ## Randale und Beschimpfungen | |
| Aber schon die alltäglichen Vorkommnisse machen Sorge. Die vom Städtetag in | |
| Auftrag gegebene [3][Studie „Gewalterfahrungen von MitarbeiterInnen in | |
| kommunalen Verwaltungen“] aus dem Jahr 2019 fasst zusammen: In neun von | |
| zehn der befragten Kommunen randalierten KundInnen, in knapp einem Drittel | |
| davon einmal im Monat. In mehr als der Hälfte der Verwaltungen wurden die | |
| MitarbeiterInnen mindestens monatlich, in einem Drittel mindestens | |
| wöchentlich beschimpft. Zudem wurden MitarbeiterInnen von über 60 Prozent | |
| der Kommunen mindestens einmal bedroht, in gut 40 Prozent körperlich | |
| angegriffen. | |
| Die Vorkommnisse, die Johanna Groß von der Kommunalen Hochschule für | |
| Verwaltung in Hannover aufgelistet hat, reichen vom abgerissenen Flurschild | |
| bis zum anonymen Brief. BürgerInnen werden laut, fegen | |
| Schreibtischutensilien zu Boden, drohen mit Selbstverletzung, | |
| Brandanschlägen oder Mord; sie beschimpfen die MitarbeiterInnen, werfen mit | |
| Gegenständen, schlagen und treten, sprühen mit ätzenden Flüssigkeiten. Es | |
| gab Hassmails und sexuelle Gewalt. | |
| Wie reagierten die Kommunen? Es gebe keinen Sicherheitsdienst, antworteten | |
| die HauptverwaltungsbeamtInnen der im niedersächsischen Städtetag | |
| vertretenen Kommunen, auf deren Befragung die Studie fußt, in den | |
| allermeisten Fällen. Sicherheitsoptimierte Büros dagegen gibt es oft, vom | |
| Notrufsystem bis zur Fluchttür. | |
| Dazu passt, was in der Städtetagsresolution „Gewalt gegen kommunale Amts- | |
| und Mandatsträger/innen!“ von 2019 steht: „Offene Rathäuser“ stünden | |
| „symbolisch für unsere offene Demokratie sowie für gelebte | |
| Bürgerbeteiligung“. Es sei zu prüfen, ob Übergriffen mit organisatorischen | |
| und baulichen Maßnahmen entgegengewirkt werden könne. „Kommunale Demokratie | |
| lebt von der Anfassbarkeit“, sagt Alexander Handschuh, Sprecher des | |
| Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Aber das Anfassen hat Grenzen: Da, wo | |
| es übergriffig wird, psychisch wie physisch. Nur: Wie soll die Twister | |
| Einlass-Security das verhindern? | |
| ## Kommunalpolitiker:innen zunehmend Opfer von Gewalt | |
| „Zum Glück sind gewalttätige Übergriffe, Hass und Beleidigungen die | |
| absolute Ausnahme“, sagt Volker Bajus zur taz, Landtagsabgeordneter der | |
| Grünen in Hannover. „Aber das macht dennoch was mit dir. Und ich merke, | |
| dass die Angst bei einigen KollegInnen auch in der Verwaltung zugenommen | |
| hat.“ | |
| Gerade kommt er aus der Enquete-Kommission „Rahmenbedingungen für das | |
| ehrenamtliche Engagement verbessern“ des Landtags, die sich auch mit der | |
| Förderung der Wahrnehmung des kommunalpolitischen Mandats beschäftigt. | |
| Insgesamt sei der Ton rauer geworden, sagt Bajus. „Insbesondere in sozialen | |
| Medien gibt es immer wieder verletzende oder gar sexistische Kommentare.“ | |
| Die Angst vor Übergriffen und Hass wirke auf neue Mitarbeitende und | |
| Ratsmitglieder abschreckend. „Das ist alarmierend“, findet er. Streit und | |
| Kritik seien für die Demokratie super wichtig. Aber es brauche mehr Respekt | |
| vor der anderen Meinung und vor demokratisch gefällten Entscheidungen. Das | |
| gelte „auch und gerade in Krisenzeiten wie der Pandemie“. | |
| ## Polizei Twist kennt keine Vorfälle | |
| Im Zwischenbericht der Ehrenamts-Kommission steht: KommunalpolitikerInnen | |
| würden „zunehmend Opfer von Beleidigungen, Anfeindungen, Bedrohungen und | |
| sogar körperlichen Attacken“. Sinnvoll scheine, ihre Privatadresse besser | |
| zu schützen. Bajus ist einer, der seine Adresse schützt. Auch er hat | |
| mitunter in Angst gelebt. | |
| Die Twister Bürgermeisterin scheint ihren Kampf alleine führen zu wollen. | |
| Das niedersächsische Innenministerium wisse nichts über die Security von | |
| Twist, sagt sein Sprecher Pascal Kübler. Ob es im Land noch andere | |
| Rathäuser gibt, vor denen Wachschutz steht? „Eine statistische Erfassung | |
| erfolgt nicht“, sagt Kübler. Die Entscheidung sei Teil der kommunalen | |
| Selbstverwaltung. | |
| Rudi Gaidosch sitzt im Twister Gemeinderat. Er ist Fraktionsvorsitzender | |
| der SPD. „Über den Vorgang ist mir nichts bekannt“, sagt er der taz. „Wir | |
| als Politiker waren da außen vor.“ Es gebe eben Leute, die „unerfreulich | |
| auftreten“, gegen die könne Lübbers das Hausrecht geltend machen. Mehr | |
| wisse er nicht. „Irgendwas wird da ja wohl passiert sein.“ | |
| Auch die Twister Polizei hält sich bedeckt. Besondere Vorkommnisse am | |
| Rathaus, die einen Wachdienst rechtfertigen? Da wisse er nichts, sagt der | |
| Diensthabende am Telefon zu taz. Aber er gebe die Frage weiter, an einen | |
| Kollegen, der rufe zurück. Niemand ruft zurück. | |
| 14 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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