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# taz.de -- Angriff auf Bürgermeister von Oersdorf: Schlag auf den Kopf
> Der Bürgermeister eines Dorfes, das Flüchtlinge beherbergen wollte, wurde
> verprügelt. Die Polizei ermittelt nun „in alle Richtungen“.
Bild: „Niemand muss Angst haben“: Der Innenminister von Schleswig-Holstein,…
Oersdorf taz | Backsteinhäuser, reetgedeckte Bauernhöfe, ein Kindertrecker
am Straßenrand – Oersdorf in Schleswig-Holstein, rund 20 Kilometer nördlich
von Hamburg, sieht aus wie ein Bilderbuchdorf. „Hier wird Politik noch mit
Kopf und Hand gemacht“, lautet ein Satz auf der Website der Gemeinde im
Kreis Segeberg. Das klingt nun wie ein unfreiwilliger böser Scherz.
Am Donnerstagabend hat ein Unbekannter den Bürgermeister Joachim Kebschul
so auf den Kopf geschlagen, dass er sein Bewusstsein verlor. Der 61-jährige
Politiker der Wählervereinigung Oersdorf war auf dem Weg zu einer
Bauausschusssitzung. Die stand unter Polizeischutz, denn seit Monaten
bedrohen Unbekannte Kebschul. Offenbar aus fremdenfeindlichen Motiven:
„Oersdorf den Oersdorfern“, hieß es in einem der jüngsten Schreiben.
Der Grund könnten Beratungen des Gemeinderats sein, ein gemeindeeigenes
Haus im Ortskern für Flüchtlinge bereitzustellen. Oder gibt es doch ein
ganz anderes Motiv? Die Polizei ermittelt „in alle Richtungen“, sagte
Innenminister Stefan Studt auf einer Pressekonferenz in Oersdorf.
Denn die Idee, dass Flüchtlinge in das Haus an der Dorfstraße einziehen
sollen, sei seit Monaten „vom Tisch“, sagte der stellvertretende
Bürgermeister Hans-Hermann Gravert. Eine größere Unterkunft sei ohnehin nie
geplant gewesen, betont auch der Amtsvorsteher: „Wir bringen die Menschen
gezielt dezentral unter.“
Im Jahr 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle hatte der Gemeinderat
überlegt, eine oder zwei Flüchtlingsfamilien unterzubringen, damals war das
Haus an der Dorfstraße aber nicht bezugsfertig. Inzwischen sei gar kein
Bedarf mehr, sagten die Lokalpolitiker – und im Dorf ist das bekannt.
Zurzeit ist geplant, das Gebäude, das neben dem Gemeindehaus und dicht am
Tatort des Überfalls auf den Bürgermeister steht, barrierefrei umzubauen.
Entstehen sollen „kleine Wohnungen für Alleinstehende“, so Gravert.
## Sitzung unter Polizeischutz
Dennoch „drängt sich durch den Ablauf auf“, in Richtung Fremdenhass zu
ermitteln, sagte Innenminister Studt. Der Staatsschutz ist eingeschaltet,
alle Briefe und Mails werden analysiert – noch am Morgen nach dem Überfall
liefen „kommentierende Nachrichten“ auf den Server der Gemeinde auf.
Bereits seit Juli erhielt Kebschul immer wieder Drohbriefe. Wegen
Bombendrohungen wurden schon zwei Sitzungen des Bauausschusses vertagt. Am
Donnerstagabend fand das Treffen unter Polizeischutz statt. Kebschul war
bereits im Gemeindehaus, fuhr aber kurz nach Hause, um seinen Laptop zu
holen. Als er das Gerät aus dem Kofferraum nahm, schlug der Täter zu. Am
Tag danach geht es dem Bürgermeister „den Umständen entsprechend gut“, hi…
es.
„Wir sind entsetzt. Kaum vorstellbar, dass das jemand von hier ist“, so
Gravert. Studt betonte, es dürfe nicht sein, dass „Ehrenamtliche in ihren
Aufgaben beeinträchtigt“ werden. Die Demokratie müsse „wehrhaft“ sein.
Warum es trotz Polizei vor Ort nicht gelungen war, den Bürgermeister zu
schützen, konnte er nicht beantworten: „Hinterher ist man immer schlauer.“
## Anfeindungen in jeder zweiten Gemeinde
Auf die Frage eines Flüchtlings, ob er nun Angst haben müsse, verwies Studt
auf die große Solidarität der Bevölkerung: „Niemand muss Angst haben.“ V…
tätlichen Angriffen auf Kommunalpolitiker sei sonst landesweit nichts
bekannt, trotz manchmal schwieriger Debatten in den Gemeinden. Allerdings
wurde parallel eine Erhebung bekannt, laut der es in jeder zweiten Gemeinde
in Deutschland Anfeindungen gegen Politiker oder Verwaltungsangehörige
gibt.
In Oersdorf schießen die Spekulationen ins Kraut, ob jemand die
Fremdenfeindlichkeit nur vorgeschoben hat: „Darüber wird viel spekuliert“,
so eine Oersdorferin. Für den Ort sei es auf jeden Fall „ziemlich das
Schlimmste, was je hier passiert ist“, so Gravert.
30 Sep 2016
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Schleswig-Holstein
Kommunalpolitik
Schwerpunkt Flucht
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Flüchtlinge unterzubringen. Es gab Drohungen gegen ihn. Nun wurde er
niedergeschlagen.
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