# taz.de -- Grüne gegen weitere Einfamilienhäuser: Geschoss statt Minischloss | |
> Einfamilienhäuser sind unvernünftig. Hamburger Grüne wollen deswegen | |
> keine mehr genehmigen. Ist die gute, alte Verbotspartei wieder da? Leider | |
> nicht. | |
Bild: Zwei schmucke Häuschen in HH-Eimsbüttel, gegen die niemand was hat | |
Häuslebauer aufgepasst! Die Grünen kommen und wollen euch euer Liebstes | |
wegnehmen! So könnte man lesen, [1][was überregionale Medien gerade aus | |
einer kommunalpolitischen Meldung drehen], die weder neu ist noch besonders | |
spektakulär: Grüne und SPD hatten in ihrer Koalitionsvereinbarung | |
festgeschrieben: „In neuen Bebauungsplänen werden daher keine | |
Einfamilienhäuser mehr ausgewiesen.“ Das war 2019. | |
Neu ist nur, dass der grüne Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz das nun | |
auch umsetzt. Hamburg sei eine „Sehnsuchtsstadt“ für Zuzügler, sagte er d… | |
Hamburger Abendblatt. Allmählich werden die Flächen knapp, auch weil wie | |
überall die Wohnfläche pro Person beständig steigt. Den neuen Bürgern will | |
Werner-Boelz bezahlbare Geschosswohnungen anbieten können, indem er | |
„nachverdichtet“, also höher baut, möglichst ohne die letzten | |
Erholungsflächen zuzupflastern. | |
Das ist möglich, denn Hamburg ist eine sehr dünn besiedelte Stadt. Man muss | |
sich gar nicht weit vom Zentrum wegbewegen, in Richtung Norden etwa nur die | |
gründerzeitlich geprägten und deshalb begehrten Stadtteile Eppendorf und | |
Winterhude hinter sich lassen – und schon ist man mitten in Suburbia. Da | |
reiht sich Einfamilienhaus an Einfamilienhaus, Vorgarten an Vorgarten, | |
Carport an Carport. Das Gefühl von Stadt kommt einem schlagartig abhanden. | |
Die Grünen – und mit ihnen die SPD – wollen nun per Bebauungsplan | |
erreichen, dass auf freien (oder frei werdenden) Flächen | |
Geschosswohnungsbau entsteht. | |
## Verheiztes Häuschen | |
Weil das viel mehr Wohnungen schafft. Weil pro Wohneinheit weniger Fläche | |
verbraucht wird. Weil so weniger Baustoffe verbraucht werden (kürzlich | |
hatte die norddeutsche Bauwirtschaft akuten Kiesmangel beklagt). Und weil | |
Wohnungen, die sich aneinanderschmiegen, viel weniger Heizenergie benötigen | |
als das sprichwörtliche Häuschen zum Drumherumlaufen. | |
Erleben hier die Grünen ihr Comeback als Verbotspartei, die [2][den | |
Deutschen ihre „wohl immer noch beliebteste Wohnform“ wegnehmen will], wie | |
Alexander Neubacher im Spiegel polemisiert? Und das auch noch in | |
Hamburg-Nord, wo einst Helmut Schmidt sein Reihenhaus hatte? Einen | |
schwereren Vorwurf kann man in Hamburg kaum erheben. | |
Nun, die Grünen gehen ja nicht mit der Abrissbirne gegen Oma ihr klein | |
Häuschen vor. Sie verhindern lediglich, dass neue Einfamilienhäuser in die | |
Gegend gekleckert werden, wo eigentlich Stadt sein sollte. Man könnte | |
sagen, ganz zaghaft holen sie ein bisschen Urbanität zurück. Wer partout | |
ein Einzelhaus bauen möchte, kann das ein paar Meter nördlich von | |
Hamburg-Nord tun, hinter der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein, in | |
Norderstedt. Eine der Kommunen mit dem bundesweit besten Angebot an | |
schnellem Internet übrigens. | |
Und sogar Hamburg weist weiterhin Einfamilienhaus-Baugebiete aus, vor allem | |
im Süderelbe-Raum. Nur ein Menschenrecht aufs eigene Haus mitten in der | |
Stadt – das gibt es nicht, also nicht mehr. | |
## Geschosswohnungen verdammt beliebt | |
Mit der „beliebtesten Wohnform“ ist es ohnehin so eine Sache, nicht ganz | |
zufällig hat der Spiegel ein „wohl“ davorgesetzt. Ja, mehr als die Hälfte | |
aller Wohngebäude in Deutschland sind Einzelhäuser. Aber nur rund 30 | |
Prozent der Haushalte besitzen eins. Ja, die Tendenz ist steigend. Aber | |
gerade aus Städten wie Hamburg werden vor allem junge Familien in billigst | |
gebaute Fertighäuser im Speckgürtel verdrängt, weil sie sich die Mieten in | |
der Stadt nicht mehr leisten können – und eine Eigentumswohnung dort für | |
sie vollkommen illusorisch ist. Das muss wohl irgendwas damit zu tun haben, | |
dass Geschosswohnungen in den Innenstädten verdammt beliebt sind. | |
Den Opfern dieser Verdrängungsprozesse hat die Politik ein Ventil | |
geschaffen, indem sie mit Baukindergeld und erleichterter Ausweisung von | |
Baugebieten einen Einfamilienhaus-Boom befeuert hat – auf Kosten der | |
Umwelt: Die Neubaugebiete, meist am Rande von Dörfern gelegen, führen zu | |
massiver Zersiedlung und Versiegelung des ländlichen Raums. Und sie | |
generieren ständig neuen Autoverkehr, weil die Entwicklung des öffentlichen | |
Nahverkehrs nicht Schritt hält. | |
Dass die Grünen daran im Falle einer Regierungsbeteiligung im Bund etwas | |
ändern würden, ist mehr als unwahrscheinlich, schließlich gehört das | |
Eigenheim zum Markenkern der CDU, und selbst die SPD ist jederzeit bereit, | |
das Recht des Facharbeiters auf seine eigenen vier Außenwände zu | |
verteidigen. Schade eigentlich. | |
8 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/hamburg-gruene-verbieten-einfami… | |
[2] /Ausstellung-zum-Einfamilienhaus/!5509990 | |
## AUTOREN | |
Jan Kahlcke | |
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