| # taz.de -- Wahl in Berlin unter Coronabedingungen: Notfalls nur per Brief | |
| > Die Pandemie behindert die Vorbereitungen der Parteien auf die Wahl. | |
| > Rot-Rot-Grün will das Wahlgesetz ändern und Hürden für kleine Parteien | |
| > senken. | |
| Bild: Die größte Wahlurne der Welt | |
| Berlin taz | Wütet Corona auch noch im September so stark, dass die | |
| ordnungsgemäße Durchführen der Abgeordnetenhauswahl infrage steht? | |
| Vorstellen mag sich das derzeit niemand, aber die rot-rot-grüne Koalition | |
| will auf den Fall der Fälle vorbereitet sein: Die Wahl, [1][voraussichtlich | |
| am 26. September,] könnte als reine Briefwahl stattfinden. Dies sieht nach | |
| taz-Informationen eine geplante Änderung des Landeswahlgesetzes | |
| ausdrücklich vor, die am kommenden Donnerstag ins Parlament eingebracht | |
| werden soll. | |
| Die Möglichkeit der Briefwahl an sich ist ja nichts Neues. Die Zahl derer, | |
| die sie nutzen, steigt von Wahl zu Wahl, was allerdings nicht nur in den | |
| USA Debatten über die Folgen für das Ergebnis auslöst. Wer etwa zwei Wochen | |
| früher abstimmt, bekommt die heiße Phase des Wahlkampfs nicht mit und | |
| entscheidet eventuell auf Grundlage anderer Fakten anders. | |
| Und da Wahlen das Herz der Demokratie sind, gilt: Möglichst alles sollte | |
| klar geregelt sein. „Das Verfahren muss rechtlich sauber und über jeden | |
| Verdacht erhaben sein“, erklärt SPD-Rechtsexperte Sven Kohlmeier, der am | |
| Entwurf mitgearbeitet hat. „Wir müssen verhindern, dass Wahlen desavouiert | |
| werden.“ Michael Efler, demokratiepolitischer Sprecher der Linken, ergänzt: | |
| „Wir wollen das Wahlrecht pandemiefest machen.“ | |
| Die Auswirkungen der Pandemie beeinflussen das Wahlprozedere schon Monate | |
| vorher. Denn die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien müssen ihre | |
| Bezirks- oder Landeslisten aufstellen, während die nicht vertretenen | |
| Parteien Unterstützungsunterschriften sammeln müssen, um überhaupt zur Wahl | |
| zugelassen zu werden. | |
| ## Abstand halten, aber Stimmen sammeln | |
| Letzteres ist schwierig in Zeiten, in denen man Abstand halten muss und | |
| Straßensammlungen schon mangels Masse kaum Ertrag bringen. Die FDP etwa hat | |
| die Sammlung für ihr erneutes Tempelhof-Volksbegehren daher unterbrochen. | |
| Parteitage finden aktuell, wenn überhaupt, nicht in der üblichen Form | |
| statt. Auch für diese Herausforderungen soll das überarbeitete Wahlgesetz | |
| Lösungen bieten. | |
| „Die Lage ist für die kleinen Parteien besonders prekär“, sagt Daniel | |
| Wesener, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion. „Wir werden | |
| deshalb die Zahl der benötigten Unterstützerunterschriften senken.“ | |
| Angepeilt ist die Halbierung der derzeit vorgeschriebenen 2.200 | |
| Unterschriften für eine Landesliste und 185 Unterschriften für eine | |
| Bezirksliste. | |
| ## ÖDP klagt gegen das Parlament | |
| Das Parlament steht dabei unter Druck auch von außen. Der Landesverband der | |
| Ökologisch-Demokratischen Partei Deutschlands (ÖDP) hat vor wenigen Tagen | |
| beim Berliner Verfassungsgericht Klage gegen das Abgeordnetenhaus | |
| eingereicht. Dieses habe es unterlassen, „das Wahlrecht an die Coronalage | |
| anzupassen und die Hürden für eine Wahlteilnahme zu senken“, begründet dies | |
| die Partei. | |
| Schließlich seien die BürgerInnen wegen der Pandemie aufgefordert, Kontakte | |
| dramatisch zu reduzieren und die Wohnung nur aus „triftigen Gründen“ zu | |
| verlassen. Die von der ÖDP geforderte Absenkung der Unterschriftenquoren | |
| sei jedoch nicht nur aus Gründen eines konsequenten Infektionsschutzes | |
| erforderlich, sondern auch unter dem Aspekt der Chancengleichheit der | |
| Parteien. In Baden-Württemberg hatte eine ähnliche Klage Erfolg. | |
| Die geplante Änderung des Wahlgesetzes legt auch fest, dass die Parteien | |
| bei der KandidatInnenwahl für die Listen hybride Formate nutzen können, | |
| etwa eine Versammlung auf einem digitalen Kanal mit anschließender | |
| Briefwahl. Bisher sind Präsenzveranstaltungen vorgeschrieben. Die wären | |
| theoretisch sogar möglich, weil die Coronaverordnung Ausnahmen für Parteien | |
| vorsieht. Aber politisch und angesichts der Notwendigkeit großer Räume auch | |
| finanziell sind solche Treffen derzeit nahezu ausgeschlossen. | |
| Das duale System aus virtuellen Treffen und realen Wahlgängen hatten SPD | |
| und Linke bereits praktiziert, die Grünen haben ihre Spitzenkandidatin | |
| Bettina Jarasch sogar rein digital gewählt. Aber das waren parteiinterne | |
| Entscheidungen. „Da wird vorher viel dafür getan, dass solche | |
| Entscheidungen parteiintern akzeptiert werden“, sagt SPD-Mann Kohlmeier. | |
| Wesener formuliert es so: „Als Partei kannst du alles Mögliche machen, das | |
| unterliegt nicht dem deutschen Wahlgesetz.“ | |
| ## Rein digital geht nicht, sagen die Grünen | |
| Eine rein digitale Kür von KandidatInnen sieht der Gesetzentwurf hingegen | |
| nicht vor. „Wahlen müssen geheim, aber auch überprüfbar sein“, erläutert | |
| Daniel Wesener seine Bedenken. In Urnen geworfene Zettel könne man | |
| nachzählen. Müssten das im digitalen Zweifelsfall Computerfachmenschen, | |
| also etwa Systemadministratoren, übernehmen, wäre der Grundsatz der | |
| geheimen Wahl nicht mehr gegeben. Nach Einschätzung von Kohlmeier wäre in | |
| dieser Hinsicht rechtlich mehr möglich gewesen. | |
| ## Bei Volksbegehren tut sich was | |
| Immerhin in einem Bereich soll digitales Neuland betreten werden: Die für | |
| den [2][ersten Schritt eines Volksbegehrens] nötigen 20.000 Unterschriften | |
| könnten laut dem Entwurf künftig online gesammelt werden, wenn die | |
| Senatsinnenverwaltung dem zustimmt. Allerdings braucht es dafür eine | |
| entsprechende Plattform, die die (Datenschutz-)rechtlichen Anforderungen | |
| erfüllt. | |
| Die Innenverwaltung von SPD-Senator Andreas Geisel hat dafür vom | |
| Abgeordnetenhaus Gelder bekommen. Und Sebastian Schlüsselburg, der den | |
| Entwurf federführend für die Linke betreut hat, sagt: „Ich gehe schon davon | |
| aus, dass eine solche Sammlung dieses Jahr möglich sein wird.“ Denn das | |
| Gesetz soll – erst einmal – auf dieses Jahr befristet sein. | |
| In der Innenverwaltung bremst man so viel Euphorie. Zwar sei eine | |
| Voruntersuchung zur technischen und rechtlichen Machbarkeit von | |
| elektronischen Unterstützungsunterschriften bei Volksbegehren und | |
| -initiativen durchgeführt, sagt Sprecher Martin Pallgen. Doch: „Deren | |
| Ergebnisse müssen noch abschließend bewertet werden.“ Die rechtlichen | |
| Anforderungen daran seien hoch, „sodass jedenfalls eine Umsetzung noch in | |
| dieser Legislaturperiode ausgeschlossen ist“. | |
| Einige Details des Entwurfs waren vor allem zwischen Grünen und SPD heftig | |
| umstritten; nach taz-Informationen hat sich die Koalition aber inzwischen | |
| geeinigt. Am Wochenende sollen sich nun auch FDP und CDU dazu äußern. | |
| „Angesichts der Bedeutung des Wahlrechts ist ein breitestmöglicher Konsens | |
| unter demokratischen Parteien sinnvoll“, sagt Wesener. Kommende Woche soll | |
| er im Plenum des Abgeordnetenhauses eingebracht und, so hofft Wesener, bis | |
| Ende Februar verabschiedet werden. | |
| 22 Jan 2021 | |
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| Bert Schulz | |
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