Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Forscher über Corona-Ursprung: „Weitere Pandemien lauern schon“
> Naturzerstörung macht Seuchen wahrscheinlicher. Der Zoologe Peter Daszak
> hält die Gefahr für beherrschbar – sofern ein globales Umdenken
> stattfindet.
Bild: Coronaforschung in Thailand: Das Überspringen des Virus ist nicht Schuld…
taz: Herr Daszak, seit vielen Jahren weisen Sie und andere Forscher darauf
hin, dass [1][Naturzerstörung das Pandemierisiko erhöht]. [2][Anfang 2020
wurde dieser Zusammenhang öfter diskutiert], zuletzt kaum noch. Wird die
Wissenschaft da gehört?
Peter Daszak: Zu Beginn wirkte das Virus vom Westen aus wie etwas weit
Entferntes. Für viele erklärte der Verzehr wilder Tiere in Asien alles. Ich
fürchte, es wird in der aktuellen Krise schnell vergessen, dass sie durch
globale ökologische Veränderungen wie Klimawandel und Artensterben
verursacht wurde. Wenn sich daran nichts ändert, werden solche Krankheiten
uns künftig immer häufiger, schneller und schlimmer treffen.
Sie sind Hauptautor eines [3][Berichts des Weltbiodiversitätsrats]. Er
basiert auf über 600 Studien und schätzt: In der Tierwelt schlummern bis zu
1,7 Millionen unentdeckte Viren, von denen 827.000 den Menschen infizieren
könnten.
Dass weitere Pandemien schon lauern, macht es einfach, den Weltuntergang zu
beschwören. Und Corona sollte durchaus als Weckruf verstanden werden. Ich
möchte aber das Positive betonen: Im Prinzip wissen wir, wo diese
zoonotischen Erreger herkommen, von welchen Arten sie auf uns überspringen
können und welches menschliche Verhalten das befördert. Wir könnten also
Viren-Gensequenzen ermitteln, Impfstoffe präventiv vorbereiten oder die
Lokalbevölkerung dabei unterstützen, Ausbrüche zu verhindern. Vor allem
aber ermächtigt uns das Wissen um die globalen Ursachen für Naturzerstörung
wie dem Überkonsum dazu, dagegen vorzugehen. Wir alle können etwas tun,
indem wir unseren ökologischen Fußabdruck reduzieren.
Das geht sehr weit über virologische Fragen hinaus.
Die Öffentlichkeit hat oft ein Bild von Forschern in weißen Kitteln, die
mit Pipetten im Labor stehen. Aber wir brauchen auch Sozialwissenschaftler,
die vor Ort verstehen, warum Leute teils viel Geld für den Konsum von
Wildfleisch ausgeben, obwohl sie die Gefahren kennen. Oder Ökonomen, die
erklären können, warum die globalisierte Wirtschaft Umweltzerstörung
vorantreibt, und Ökologen, die das Verhalten von Fledermäusen kennen. Eine
sehr komplexe Angelegenheit, die Natur und Mensch in verflochtener Weise
umfasst. Unser Report ist ein interdisziplinärer Wissensschatz, der auch
auf Erfahrungen mit anderen Epidemien aufbaut und das alles in Beziehung
setzt.
Sie sagen, wir sollten nicht erst handeln, wenn es eigentlich zu spät ist.
Was genau muss sich ändern?
Wenn man wie wir jetzt in einer Pandemie steckt, muss man sie natürlich
eindämmen. Aber es gibt viel, was man zusätzlich als Prävention machen
kann. Man muss zunächst verstehen, wie Pandemien entstehen: durch Eingriffe
wie Abholzung von Tropenwäldern oder industrielle Viehzucht. Dann kann man
gezielten Naturschutz fördern, zum Beispiel indem man in armen tropischen
Ländern mit hoher Biodiversität Entwicklungshilfe, Gesundheitssysteme und
Wildtiermonitoring stärkt. Die Gesundheit von Umwelt, Tieren und Menschen
muss zusammengedacht werden.
Sie empfehlen auch die Schaffung eines hochrangigen zwischenstaatlichen
Rates zur Pandemieprävention.
Der könnte globale Anstrengungen zur Verhinderung künftiger Ausbrüche
koordinieren. Unter anderem müssten verschiedene UN-Akteure und weitere
internationale Institutionen vertreten sein, vielleicht unter Leitung der
Weltbiodiversitätskonvention.
Die hat zuletzt [4][kein einziges ihrer globalen Ziele erreicht].
Es ist tatsächlich schwer, optimistisch zu bleiben, wenn man sich die
Entwicklung des Planeten in den letzten dreißig Jahren anschaut. Vor allem
die Umsetzung solcher Beschlüsse lässt sehr zu wünschen übrig. Aber wenn
wir sie nicht hätten, wäre es noch schlimmer.
2020 sollte das [5][Jahr der Biodiversität] werden mit einer wichtigen
Vertragsstaaten-Konferenz, die coronabedingt verschoben wurde. Hat die
Pandemie auch gute Effekte?
Es ist ironisch, dass sie zunächst den Gipfel zerschlug, der genau dort
stattfinden soll, wo das Virus wahrscheinlich herkam, nämlich Südchina. Was
dies für das neue Abkommen bedeutet, bleibt abzuwarten. Es war ein
schlimmes Jahr, aber ich denke, dass es bald ein Zeitfenster geben wird, in
dem man auf echte Veränderungen drängen kann – wenn das Schlimmste vorüber,
aber noch nicht vergessen ist. Die Krise könnte durchaus positive Folgen
haben. Es werden nicht nur Airlines gerettet, es gibt auch Investitionen
wie die [6][„Green Recovery“-Maßnahmen der EU]. Das Bewusstsein wächst, u…
es haben bereits andere Organisationen auf unseren Report reagiert.
Der argumentiert auch, dass die Kosten der Pandemie 100-mal so hoch sind
wie Prävention. Wenn das so klar ist, warum passiert bisher so wenig?
Das mag an der Psyche des Menschen liegen, der oft erst in akuten Krisen
handelt. Außerdem wären kurzfristig die Profite der Privatwirtschaft
betroffen, wenn sie sich um mehr biologische Sicherheit kümmern würde.
Im Kapitalismus werden Kosten externalisiert.
Deswegen brauchen wir Regierungen und Organisationen wie die Vereinten
Nationen. Die Wirtschaft wird einlenken, spätestens wenn man sie zwingt –
auch durch Öffentlichkeit und umweltbewusste Konsumenten. Es macht mir
Hoffnung, dass eine neue Generation heranwächst, die mit Themen wie
Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit zunehmend Druck auf die Politik
ausübt.
Sie sind auch Teil eines internationalen Teams, das [7][im Auftrag der WHO
nach China reisen soll, um den Ursprung von Sars-CoV-2] zu untersuchen.
Warum ist das wichtig?
Wir haben zwar eine allgemeine Vorstellung von der Entstehung der Pandemie,
aber es fehlen Details. Der Huanan-Markt in Wuhan hat wohl eine wichtige
Rolle gespielt, aber vielleicht kursierte das Virus schon Wochen oder
Monate vorher. Womöglich stammt es sogar aus einem Nachbarland wie Laos
oder Myanmar. Für das gezielte Verhindern künftiger Epidemien kann dieses
Wissen wichtig sein. So etwas herauszufinden ist aber nicht einfach und
dauert oft lange.
Wie gehen Sie vor?
Wir arbeiten mit erfahrenen chinesischen Kollegen zusammen und versuchen,
jegliche Spuren von dem Markt aus zurückzuverfolgen, beispielsweise
Handelsrouten und Hinweise auf frühere kleine Ausbrüche.
Rechnen Sie mit Problemen bei der Datensammlung?
Keine Regierung ist scharf darauf, sich in so einer Angelegenheit vom Rest
der Welt Vorwürfe machen zu lassen. Es ist natürlich politisch sehr
aufgeladen, aber ich glaube nicht, dass es Zensur geben wird. Dafür gibt es
auch zu viel öffentliches Interesse, und langfristig würde das China auch
gar nicht nutzen.
Aber hätte man nicht schon viel früher beginnen müssen?
Von Januar bis April hatte China selbst mit einem starken Ausbruch zu
kämpfen. Seitdem waren dort und in den meisten Ländern alle Wissenschaftler
damit beschäftigt, die Pandemie zu kontrollieren. Der WHO-Auftrag wurde im
Frühsommer erteilt, und es gab bereits eine Phase der Zusammenarbeit per
Telefonkonferenz. Wir sind erst jetzt richtig bereit, vor Ort mit der
detaillierten Arbeit zu beginnen.
Diese Woche wurde die Reise jedoch zum wiederholten Mal verschoben, als
zwei der zehn Experten sogar schon unterwegs waren. Die offizielle
Begründung aus Peking klang etwas hohl, der WHO-Direktor gab sich sehr
enttäuscht.
Vergessen Sie nicht, dass alle derartigen Untersuchungen im Nachhinein
erfolgen. Sie können erst beginnen, wenn Fälle identifiziert sind. Und das
sind in der Regel nicht die Menschen, die die Krankheit tatsächlich als
Erstes hatten. Selbst ein gutes Jahr später können wir noch viel
untersuchen, zum Beispiel archivierte Proben aus Krankenhäusern oder
Aufzeichnungen über den Tierhandel.
Was ist denn der aktuelle Kenntnisstand?
Die nächsten Verwandten des Virus wurden bei Fledermäusen nachgewiesen. Ein
anderes infiziertes Tier wie Pangolin, Nerz, Schleichkatze oder auch ein
Mensch könnte die Verbindung zum Markt gewesen sein. Dass es direkt von
Fledermäusen übersprang, ist unwahrscheinlich, weil sie dort nicht oder
selten verkauft wurden. Es gibt wie bei jeder Epidemie auch Mutmaßungen,
das Virus sei einem Labor entfleucht, das halte ich für sehr fragwürdig.
Aber wir werden im Sinne der Wahrheit jeglichen Indizien folgen und alles
veröffentlichen.
7 Jan 2021
## LINKS
[1] /Biologin-ueber-Pandemien/!5675740
[2] /Corona-und-ausbeuterische-Landwirtschaft/!5669076
[3] https://ipbes.net/sites/default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodi…
[4] /UN-Bericht-zu-globaler-Biodiversitaet/!5709830
[5] /Abgesagtes-Jahr-der-Biodiversitaet/!5677431
[6] /Gruener-Umbau-und-Armut/!5720025
[7] /WHO-schickt-Corona-Experten-nach-China/!5694252
## AUTOREN
Andrew Müller
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Artenschutz
Erreger
Umweltzerstörung
China
Tiere
Schwerpunkt Fridays For Future
Schwerpunkt Artenschutz
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Angela Merkel
Kolumne Der rote Faden
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Infektionskrankheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vom Umgang mit globalen Krisen: Fataler Jetztismus
Als Reaktion auf die Coronapandemie schalten viele in einen
Gegenwartsmodus. Doch im Kampf gegen den Klimawandel müssen wir die Zukunft
verteidigen.
Ökologin über Artenschutzforschung: „Eine Biodiv-Greta wäre schön“
Die Vereinten Nationen wollen 30 Prozent der Erde unter Schutz stellen. Das
lädt nur zu Ablasshandel ein, sagt Landschaftsökologin Christine Fürst.
Erhalt der biologischen Vielfalt: Milliarden zum Schutz der Sahelzone
Die Ziele des One Planet Summit sind zum Schutz von 30 Prozent der Erde –
aber auch die Finanzierung von Klima-projekten ist gesichert.
Schutz der biologischen Vielfalt: Eine Allianz für Biodiversität
Deutschland tritt bei einem Videogipfel am Montag einer neuen globalen
Naturschutzkoalition bei. Deren Ziele reichen nicht, sagen Kritiker:innen.
Schwieriger Monat: Januar, du schuldest uns was
Der erste Monat im Jahr 2021 – der kostet uns einiges. Am besten also weg,
schnell weg mit ihm, einfach neu anfangen.
Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: Mehr Impfungen aus einer Ampulle
Die EMA erlaubt nun sechs Dosen von einer Biontech-Impfstoff-Ampulle. Die
EU hat bei Biontech/Pfizer bis zu 300 Millionen weitere Impfdosen gekauft.
Wirtschaftsweise und Coronavirus: Die kapitalistische Pandemie
Der Weltbiodiversitätsrat empfiehlt, die Wirtschaft umzubauen, um künftige
Pandemien zu vermeiden. Das würde einen Systemwechsel bedeuten.
Biologe über Herkunft des Coronavirus: „Wir sind Teil des Tierreichs“
Frettchen und Nerze können Wirte für das Coronavirus sein. Sie können es
auf Menschen übertragen, sagt der Chef des Friedrich-Loeffler-Instituts
Thomas Mettenleiter.
Tier-Mensch-Erkrankungen in NRW: Tausende Zoonosen
Seit 2001 haben sich in NRW 2.200 Menschen durch Tiere mit meldepflichtigen
Krankheiten infiziert. Vor allem Nager und exotische Reptilien sind
problematisch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.