# taz.de -- Geflüchtete in Bosnien und Herzegowina: „Menschen müssen evakui… | |
> Im bosnischen Camp Lipa verharren Geflüchtete in menschenunwürdigen | |
> Verhältnissen. Karl Kopp von Pro Asyl sieht die EU in der Verantwortung. | |
Bild: Obdachlos bei Eiseskälte: Geflüchtete im Camp Lipa in Bosnien und Herze… | |
taz: Herr Kopp, nach dem Feuer [1][im Camp Lipa] in Bosnien und Herzegowina | |
verharren nach EU-Angaben rund 1.700 Geflüchtete in eisiger Kälte. Was muss | |
jetzt passieren, um den Menschen zu helfen? | |
Karl Kopp: Die Lage ist dramatisch. Es geht für 1.700 Menschen rund um Lipa | |
momentan ums Überleben. Die Temperaturen fallen, sie werden die Witterung | |
nicht überstehen, wenn sie nicht menschenwürdig untergebracht werden. Das | |
ist ein humanitärer Notfall und in dieser Situation muss man retten. Das | |
heißt: Die Menschen müssen evakuiert werden. Und zwar in die Europäischen | |
Union. | |
Aber die EU sieht sich nicht so richtig in der Verantwortung. Sie verlangt | |
von Bosnien und Herzegowina eine unverzügliche Lösung und hat zusätzlich | |
3,5 Millionen Euro für humanitäre Hilfe angekündigt. | |
Die Europäische Union und die Mitgliedsstaaten, die im Jahr 2016 die | |
Balkan-Route gewaltsam geschlossen haben und zeitgleich den Türkei-Deal mit | |
Erdoğan eingefädelt haben, tragen dazu bei, dass wir das Elend auf den | |
griechischen Inseln und auf dem Balkan heute haben. Sie sind ganz klar in | |
der Verantwortung. Die Schutzsuchenden stehen dort im Dreck, weil die EU | |
Abwehrmaßnahmen ergriffen hat, die sie genau dorthin gebracht haben. | |
Also muss die kroatisch-bosnische Grenze geöffnet werden? | |
Die Menschen, die in Bosnien gestrandet sind, knapp 8.000 bis 10.000 | |
insgesamt, sind im instabilsten Land des Balkans. Sie sitzen dort fest, | |
weil sie gewaltsam völkerrechtswidrig an der EU-Außengrenze Kroatien | |
zurückgeprügelt werden. Man kann Lipa und andere hässliche Orte nur | |
verstehen, wenn man sieht, dass Schutzsuchenden systematisch elementare | |
Rechte verweigert werden. Die Europäische Union, die EU-Kommission, aber | |
auch Deutschland schweigen zu den permanenten Menschenrechtsverletzungen, | |
den tausendfachen völkerrechtswidrigen Pushbacks durch Kroatien. | |
Sie sehen die Europäische Union in der Verantwortung, aber es passiert | |
nichts. Was könnte und sollte Deutschland jetzt tun? | |
Deutschland ist ein starker und gewichtiger Mitgliedsstaat in der EU. | |
Deutschland müsste vorangehen. Es müsste sich mit der portugiesischen | |
EU-Ratspräsidentschaft zusammenzusetzen und schnelle Rettungsmaßnahmen | |
herbeiführen. Nochmal: Gerade hilft kein langes Reden. Man muss die | |
Menschen evakuieren und aus dieser Situation holen. Das ist das Gebot der | |
Stunde. Denn es wird keine menschenrechtliche Lösung im Transitstaat | |
Bosnien geben. Die zynische Haltung der EU, wir geben etwas Geld und dann | |
sollen die Menschen dort bleiben, ist irrig und lebensfern. | |
Aber eine Verhandlung über eine gerechte Verteilung innerhalb der EU ist | |
schon seit Jahren das Gebot der Stunde. | |
Der erste Schritt muss sein, die Menschen aus der Gefahrenzone bringen. Der | |
zweite Schritt ist es, endlich ein gemeinsames europäisches Schutzsystem zu | |
schaffen. Dazu gehören auch legale und sichere Fluchtwege. Wir fordern | |
genau das, auch wenn Europa noch meilenweit davon entfernt ist. Wir | |
brauchen eine Rückkehr zu Menschenrechten und das bedeutet: ein Ende der | |
Pushback-Politik. | |
Die deutsche Regierung scheint uneins zu sein. SPD-Fraktionsvize Achim Post | |
hatte sich offen für eine Aufnahme von Schutzsuchenden gezeigt. | |
CDU-Politiker Friedrich Merz und Thorsten Frei lehnen das explizit ab. | |
Jetzt hat das Innenministerium bekannt gegeben, dass Deutschland vor Ort | |
Hilfe leisten kann, aber nicht plant, Geflüchtete in Deutschland | |
aufzunehmen. Wie bewerten Sie das? | |
Der Gebrauch des Begriffes „vor Ort“ wird immer absurder. Vor ein paar | |
Jahren hätten wir gesagt, „vor Ort helfen“ betrifft somalische Flüchtlinge | |
in Kenia oder afghanische Flüchtlinge in Pakistan oder im Iran. Jetzt redet | |
Merz oder andere von „vor Ort“ und meinen die griechischen Inseln, eine | |
Situation wie in Bosnien direkt vor den Grenzen der Europäischen Union. | |
„Vor Ort“ bedeutet übersetzt: Flüchtlingsschutz ja, aber nicht bei uns. Es | |
werden bewusst brutale und hässliche Bilder kreiert, um Schutzsuchende | |
abzuschrecken. Das hat nichts mit Menschenrechtsschutz zu tun. Lipa, oder | |
Moria 2.0 sind Teil einer Kette hässlicher Orte, die Europa erschafft im | |
Zuge einer gnadenlosen Abschottungspolitik. | |
Es gibt in Deutschland Bundesländer und Kommunen, die bereit sind, | |
Geflüchtete aufzunehmen, aber [2][dieses Vorhaben wird vom | |
Bundesinnenminister blockiert.] | |
Das ist das Kernproblem. Es gibt in der EU nur noch eine kleine Koalition | |
der aufnahmebereiten Staaten. Aber wir haben viele Städte und Regionen, | |
nicht nur in Deutschland, die bereit sind mehr zu tun, um Flüchtlingsrechte | |
und Menschenwürde zu verteidigen. Diese Koalition der Aufnahmebereiten | |
müssen wir stärken. | |
Deutschland scheint aber darauf zu setzen, ein zweites 2015 zu verhindern. | |
Das ist mittlerweile auch das EU-Mantra. Deshalb geht die EU sogar blutige | |
Deals mit Verbrechern ein, um Zehntausende Bootsflüchtlinge aufzugreifen | |
und in libysche Folterlager zurückzuschaffen. Dieses „Nie wieder 2015“ | |
planiert alles, was es an menschenrechtlichen Errungenschaften gibt. | |
6 Jan 2021 | |
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[1] /Menschen-im-bosnischen-Fluechtlingslager-Lipa/!5741125 | |
[2] /Senat-will-Innenminister-verklagen/!5725534 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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