| # taz.de -- Geflüchtete in Bosnien und Herzegowina: Der Kälte schutzlos ausge… | |
| > Auch Wochen nach dem Brand im Lager Lipa verharren Hunderte Menschen in | |
| > notdürftigen Zelten. Jetzt droht eine Kältewelle. | |
| Bild: Nach wie vor gibt es keine Wasserversorgung im abgebrannten Lager Lipa �… | |
| Im Nordwesten Bosnien und Herzegowinas fällt der Schnee. In ein paar Tagen | |
| soll eine extreme Kältewelle das Land heimsuchen, das Thermometer soll dann | |
| unter die Minus-20-Grad-Celsius-Marke fallen. Die meisten der auf mehrere | |
| Tausend geschätzten Flüchtlinge, die auf ihrem Weg in die Europäische Union | |
| in Bosnien und Herzegowina gestrandet sind, werden diesen Temperaturen | |
| schutzlos ausgeliefert sein. Auch über drei Wochen [1][nach dem Brand im | |
| Lager Lipa] bleibt die Situation für die Menschen aussichtslos. | |
| Zwar hat die Armee des Landes in dem Ende Dezember zerstörten Lager | |
| [2][Zelte aufgestellt, die leidlich beheizt] werden können. Sie bieten den | |
| 750 Menschen, die ins Lager Lipa zurückgekehrt sind und dort der Kälte | |
| trotzen, immerhin etwas Schutz. Auch Essen wird verteilt. Doch nach wie vor | |
| gibt es keine Wasserversorgung, [3][wie die Internationale Organisation für | |
| Migration (IOM)] sie schon seit Errichtung des Lagers im Mai diesen Jahres | |
| fordert. | |
| Das Ziel der Menschen ist das Europa der Europäischen Union. Als am | |
| Mittwoch wieder eine Delegation aus EU-Diplomaten das Lager Lipa besuchte, | |
| forderten sie größere Anstrengungen der bosnischen Seite, mit der Situation | |
| fertig zu werden. | |
| Josep Borell, der Außenbeauftragte der EU, versuchte sogar den serbischen | |
| Nationalistenführer Milorad Dodik zu überzeugen, Migranten auch in dem | |
| serbisch dominierten Teilstaat unterzubringen und nicht nur in die | |
| muslimisch-bosniakischen Gebiete abzuschieben. Doch er erreichte nichts. | |
| ## „Überall ist Müll und Schlamm“ | |
| Auch [4][die EU bewegt sich nicht]. Vor allem CDU- und CSU-Politiker wie | |
| Unionsfraktionsvize Thorsten Frei treten bei einer internationalen Lösung | |
| auf die Bremse: Die Probleme sollten vor Ort gelöst werden. Der bosnische | |
| Staat ist mit dieser Situation jedoch heillos überfordert. Das | |
| Finanzministerium weist Berichte zurück, wonach die EU in den letzten | |
| Jahren 80 Millionen Euro für Migranten bereitgestellt habe. | |
| Was der zerrüttete bosnische Staat nicht lösen kann, versuchen freiwillige | |
| Helfer aus Deutschland und anderen Ländern vor Ort aufzufangen – etwa der | |
| Arzt und Professor für Sozialmedizin Gerhard Trabert, der sich vor allem um | |
| die außerhalb des Lagers Lipa befindlichen Menschen kümmert. | |
| Dort würden circa 110 Menschen hausen, die meist aus Pakistan kommen, | |
| schrieb Trabert auf Facebook. „Überall ist Müll und Schlamm, Rauchschwaden | |
| ziehen von den offenen Feuerstellen durch dieses fragile Gebäude.“ In der | |
| Ruine eines Altersheims in Bihać behandelt er mit einem fünfköpfigen Team | |
| aus freiwilligen Helfern die zahlreichen Patienten. | |
| „Wir behandeln Hauterkrankungen, Pilzerkrankungen und Wunden, teilweise | |
| schwer infiziert und vereitert. Viele Menschen kommen mit Erkrankungen der | |
| oberen Atemwege, Harnwegsinfekten, Bluthochdruck, Magenbeschwerden und | |
| Zahnschmerzen zu uns“, erzählt Trabert. Einige von ihnen würden schon Jahre | |
| hier leben – „in dieser Hölle und dies mitten in Europa“. | |
| ## Auch Menschen in Bihać helfen | |
| Engagiert ist auch Axel Grafmanns von einer Hilfsorganisation aus | |
| Berlin-Brandenburg, der sich seit Tagen in der Region aufhält und vor allem | |
| mit dem Roten Kreuz in Bihać zusammenarbeitet. „Wir kaufen Lebensmittel und | |
| Kleidung in Bihać ein, denn wir wollen ja auch die Stadt unterstützen“, | |
| sagte Grefmanns der taz. | |
| Die Spendenbereitschaft in der Region Berlin-Brandenburg sei erstaunlich | |
| hoch, freut sich seine Kollegin Miriam Tödter. Vielen Menschen sei vor der | |
| Brandkatastrophe nicht klar gewesen, welche [5][Tragödie sich seit Langem | |
| in Bosnien abspielt]. | |
| Vehement widerspricht Axel Grefmanns Presseberichten, wonach die | |
| Bevölkerung der Region die Geflüchteten unisono ablehne. „Es gibt viele | |
| Leute in Bihać, die helfen. Viele Bürger zeigten Empathie mit den Menschen, | |
| die jetzt unter erbärmlichen Umständen leben müssen.“ Jetzt starten auch | |
| die Hilfsorganisationen Help, Action Medeor und NAK-karitativ eine | |
| gemeinsame Winterhilfe und verteilen warme und regenfeste Stiefel, | |
| Schlafsäcke, Hygienepakete und Salben gegen Hautkrankheiten. | |
| Es sei höchste Zeit, dass die Menschenrechtskonventionen der Vereinten | |
| Nationen und das Flüchtlingsrecht angewendet werden, fordert Karin Settele, | |
| Geschäftsführerin von Help. „Die Menschen haben ein Anrecht darauf, dass | |
| ihr Asylgesuch geprüft wird“, fordert sie von der EU. | |
| 15 Jan 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nach-Brand-im-Fluechtlingslager-Lipa/!5740514 | |
| [2] /Menschen-im-bosnischen-Fluechtlingslager-Lipa/!5741125 | |
| [3] /Missionschef-ueber-Fluechtlinge-in-Bosnien/!5740822 | |
| [4] /Gefluechtete-in-Bosnien-und-Herzegowina/!5738056 | |
| [5] /Gefluechtete-auf-dem-Weg-in-die-EU/!5671158 | |
| ## AUTOREN | |
| Erich Rathfelder | |
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