# taz.de -- Abgeordneter zum Fall Assange: „Nicht rechtsstaatlich“ | |
> Am Montag endet der Auslieferungsprozess in London. Frank Heinrich (CDU) | |
> hätte sich gewünscht, dass sich die Bundesregierung für Julian Assange | |
> einsetzt. | |
Bild: Im September protestierten Assange-Unterstützer vor dem Gericht in London | |
taz: Herr Heinrich, am Montag entscheidet ein Gericht in London, [1][ob | |
Julian Assange an die USA ausgeliefert wird.] Wie geht es aus? | |
Frank Heinrich: Tja. Wenn ich alle Hoffnungen und Gefühle beiseitelasse, | |
gehe ich davon aus, dass es zu einem Auslieferungsentscheid kommt. Man muss | |
die gestrichelte Linie dessen, was in den letzten Jahren passiert ist, | |
einfach weiterziehen. Dann läuft es darauf hinaus. | |
Das klingt, als ob sie Nils Melzer zustimmen würden, dem | |
UN-Sonderberichterstatter über Folter. Er kritisiert, dass das Verfahren | |
grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien verletze. | |
Er hat ja schon sehr früh gemutmaßt, dass das Verfahren nicht | |
rechtsstaatlich ist und dass psychologische Folter angewandt wurde. Das | |
sind auch die Gründe, warum ich mich im Bundestag mit anderen Abgeordneten | |
für die Freiheit von Herrn Assange ausgesprochen habe. Wir dürfen uns als | |
Abgeordnete nicht anmaßen, die Judikative zu ersetzen. Es gilt schließlich | |
die Gewaltenteilung. Aber auch wir sehen rechtsstaatliche Prinzipien | |
verletzt. | |
Zum Beispiel? | |
Das fängt schon beim Grundsatz der „Open Justice“ an. Normalerweise sollte | |
die Öffentlichkeit an Verfahren beteiligt werden, um Transparenz zu | |
gewährleisten. Diese Grundlage war meines Wissens nicht gegeben, obwohl | |
dass bei einem Verfahren mit so großem weltpolitischen | |
Informationsinteresse umso stärker geboten ist. | |
Wenn das Gericht der Auslieferung tatsächlich zustimmt: Wie geht es dann | |
Ihrer Ansicht nach weiter? | |
Erstens gibt es noch die kleine Hoffnung, dass Herr Biden, manche sagen | |
sogar Herr Trump, eine Begnadigung in Aussicht stellen könnte. | |
Für wie wahrscheinlich halten Sie das? | |
Ich mag Zahlen: 5 Prozent? Es wäre ein internationales Signal gegen die | |
Verfolgung von unliebsamen Journalisten. Dass Trump das tun würde, glaube | |
ich nicht, sondern eher ein Herr Biden. Aber auch darauf habe ich wenig | |
Hoffnung. | |
Und zweitens? | |
Egal, wie es am Montag ausgeht: Die unterlegene Partei wird Rechtsmittel | |
einlegen. Am Ende könnte beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte | |
(EGMR) geklagt werden. Es ist gut möglich, dass der Fall dort auf einer | |
Ebene behandelt wird, die den Vorstellungen von Herrn Melzer und anderen | |
viel näherkommen. | |
Die Bundesregierung äußert sich öffentlich bislang nur sehr zurückhaltend | |
zum Fall Assange. Sie sagt, sie vertraue der britischen Justiz und wolle | |
das Verfahren nicht kommentieren. Ist das richtig? | |
Da gibt es zwei Seelen in meiner Brust. Ich weiß um die juristisch gebotene | |
Neutralität. Ich hätte mir aber die ein oder andere diplomatische Aussage | |
wünscht. Da Herr Assange auch mit deutschen Medien zusammengearbeitet hat, | |
gibt es ein deutsches Interesse an dem Fall. Und wenn man immer wieder die | |
Glaubwürdigkeit der Europäischen Gemeinschaft als Anwältin der | |
Menschenrechte betont, hätte ich mir diese Anwaltsstimme das eine oder | |
andere Mal ebenfalls stärker gewünscht. | |
In Ihrer Partei gibt es außer Ihnen nicht viele Fürsprecher Assanges. Die | |
Petition zum Beispiel, [2][die Günter Wallraff vor einem Jahr für Assanges | |
Freilassung gestartet hat], wurde von dutzenden Prominenten unterschrieben. | |
Aus der Union war aber nur Peter Gauweiler dabei. Woran liegt das? | |
Wir sehen uns als Rechtsstaatspartei und möchten uns, abgesehen von den | |
Juristen und Menschenrechtlern, die sich mit den Feinheiten auskennen, | |
nicht dazwischendrängeln – zumal wir England eigentlich immer noch als | |
Vorbild wahrnehmen. Ich kann das gut verstehen. Aber in den letzten | |
eineinhalb Jahren hat sich die humanitäre Situation von Herrn Assange | |
verschlechtert, deshalb gibt es jetzt eine Reaktionsnotwendigkeit. Da kann | |
ich mir vorstellen, dass der ein oder andere mittlerweile anders denkt. | |
Und welche Reaktionen haben Sie bekommen, nachdem Sie sich im Dezember mit | |
Abgeordneten anderer Parteien für Assanges Freilassung eingesetzt haben? | |
Aus der eigenen Partei wurde ich nicht kritisiert, obwohl ja immer mal | |
wieder behauptet wird, dass man bei so etwas Druck bekomme. Außerhalb der | |
Partei, aus Assanges Unterstützermilieu und auch aus meinem Wahlkreis | |
Chemnitz, habe ich Zuschriften bekommen, in denen stand: „Dankeschön. Toll, | |
dass das jemand macht.“ Das kriege ich bei anderen Themen nicht oft. | |
Normalerweise bekommen wir eher kleine Stinkefinger-Rückmeldungen. | |
3 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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