# taz.de -- Londoner Urteil zu Julian Assange: Kein Fanal für freie Presse | |
> Die Nicht-Auslieferung von Assange wird mit der Lebensgefahr begründet, | |
> die ihm droht. Der Schutz von Whistleblowern ist dem Gericht kein | |
> Anliegen. | |
Bild: Julian Assange im Gericht | |
Wikileaks-Gründer Julian Assange wird zunächst nicht an die USA | |
ausgeliefert. Die Entscheidung, die die zuständige Londoner Richterin | |
Vanessa Baraitser am Montag verkündete, klingt besser, als sie ist. Denn | |
mit einer Verteidigung der [1][Pressefreiheit] oder gar einer | |
Präzedenzentscheidung zum Schutz unbequemer Whistleblower hat das Urteil | |
nichts zu tun. | |
Im Gegenteil: Die Richterin begründete ausführlich, warum weder die von der | |
Verteidigung und zahlreichen Medienorganisationen vorgebrachten | |
Befürchtungen eines unfairen, politisch motivierten Prozesses in den USA | |
noch die Bewertung der Anklage als Angriff auf die Pressefreiheit | |
stichhaltig seien. Lediglich Assanges mentale Gesundheit und die Gefahr, | |
dass er sich in einem US-Gefängnis das Leben nehmen werde, brachte sie zur | |
Entscheidung gegen die Auslieferung. | |
Und auch diese Entscheidung ist nur vorläufig: Die USA haben bereits | |
Berufung angekündigt, und so könnte das Verfahren noch über zwei weitere | |
Instanzen bis zum britischen Supreme Court gehen. | |
Mit Sicherheit werden die USA versuchen, über irgendwelche Garantien die | |
Bedenken zu Assanges Sicherheit zu zerstreuen, um doch noch eine | |
Auslieferung zu erreichen. Ob ihnen das angesichts der bekannten Missstände | |
im US-Gefängnissystem gelingen kann, ist fraglich. Insofern ist die so | |
begründete Entscheidung für Julian Assange selbst womöglich sogar besser | |
als eine, die auf die eigentlichen Inhalte des Verfahrens abgezielt hätte. | |
## Perverse Verkehrung aller Vorstellungen von Rechtsstaat | |
Gleichzeitig aber bedeutet das auch: In zehn Jahren Verfolgung durch | |
US-amerikanische, schwedische und britische Strafverfolgungsbehörden ist | |
Assange psychisch zerstört worden – und nur diese Tatsache rettet ihn | |
womöglich davor, [2][den Rest seines Lebens in US-Gefängnissen zu | |
verbringen]. Das ist eine nahezu perverse Verkehrung aller Vorstellungen | |
von Schuld, Sühne und Rechtsstaat. | |
Assange hat mit Wikileaks dazu beigetragen, US-Kriegsverbrechen in | |
Afghanistan und Irak öffentlich bekannt werden zu lassen. Das und nichts | |
anderes hat ihn zum Geächteten werden lassen, zu einem, an dem ein Exempel | |
statuiert werden muss. | |
Ob man ihn persönlich in der Phase der großen Wikileaks-Veröffentlichungen | |
als arroganten und unangenehmen Selbstdarsteller mit zweifelhaften | |
politischen Überzeugungen empfand, ob ihm die Linksliberalen seinen | |
zumindest indirekten Wahlkampf für Donald Trump 2016 übelnehmen oder nicht, | |
spielt dabei überhaupt keine Rolle. | |
Julian Assange, Chelsea Manning, Edward Snowden – keine*r von ihnen durfte | |
aus Sicht der angegriffenen staatlichen Strukturen einfach ein normales | |
Leben weiterführen. Die staatlichen Bemühungen, ihr Handeln zu ahnden, sind | |
ungleich größer als jene, die Verbrechen zu verfolgen, die sie aufgedeckt | |
haben. | |
Das zu beschreiben und zu geißeln, kann von einem britischen Gericht in | |
einem Auslieferungsverfahren nicht erwartet werden. Wenn es einfach dafür | |
sorgt, dass Assange erst einmal in Ruhe gelassen würde, ist das, bei aller | |
Unzulänglichkeit, schon eine ganze Menge. | |
4 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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