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# taz.de -- Auslieferung von Julian Assange: Hoffen auf Gnade
> Am Montag entscheidet sich, ob Wikileaks-Gründer Julian Assange an die
> USA ausgeliefert wird. Dort drohen ihm viele Jahre Haft.
Bild: „Hände weg von Assange“ – Anhänger des Wikileaks-Gründers diese …
NEW YORK taz | Lasst Julian Assange frei“, werden an diesem Sonntag
weltweit Unterstützer.innen des Gründers der Enthüllungsplattform WikiLeaks
fordern. Es ist ein letzter Versuch, die Auslieferung des 49-Jährigen an
die USA zu verhindern. Ihm droht dort ein Prozess wegen „Spionage“ und eine
Strafe von bis zu 175 Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis. Am Montag
wird Richterin Vanessa Baraitser in London ihre Entscheidung verkünden. Sie
ist bekannt für ihr Wohlwollen gegenüber den USA. Bislang hat sie fast alle
der aus Washington kommenden Auslieferungsanträge bewilligt.
Auch in New York findet am Sonntag eine Demonstration für Assange vor dem
britischen Konsulat statt. Wenn es dabei so zugeht wie bislang, wird es
eine Veranstaltung im kleinen Kreis bleiben. In den USA haben Regierung,
Militär, Justiz und Medien es geschafft, Assange zu isolieren und zu
dämonisieren. Sein Ruf ist derart ruiniert, dass selbst vielen Linken und
Demokrat.innen vor allem Beleidigendes einfällt, wenn sie seinen Namen
hören.
Dabei verdankt die Welt den Enthüllungen von Julian Assange einen Schatz
von Detailinformationen über Drohnenangriffe auf Zivilist.innen, über
Folter und über andere Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan, im Irak und
im Internierungslager Guantánamo.
2010 hatte Chelsea Manning, die damals unter dem Namen Bradley Manning als
IT-Spezialist für das US-Militär im Irak arbeitete, Hunderttausende von
geheimen militärischen und diplomatischen Dokumenten auf ihrem
Dienstcomputer heruntergeladen und an Wikileaks weitergegeben. Darunter war
das Video „Collateral Murder“, das die Erschießung von 18 unbewaffneten
irakischen Zivilisten und Journalisten aus einem US-Militärhubschrauber
dokumentiert. Auch zuvor nicht-öffentliche Informationen über 15.000
irakische Zivilist.innen, die Opfer von US-amerikanischen Gewalttaten
wurden, kamen ans Licht.
Die Vergewaltiger, Folterer und Todesschützen, deren Taten sowohl gegen
nationales als auch gegen internationales Recht verstoßen haben, sind in
den USA nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Stattdessen richtet sich die
Wut der Supermacht gegen die Überbringer.innen der schlechten Nachrichten.
Als erste bekam das Whistleblowerin Chelsea Manning zu spüren. Sie wurde zu
35 Jahren hinter Gittern verurteilt. Erst nach sieben Jahren Isolationshaft
in einem Militärgefängnis begnadigte Barack Obama sie kurz vor seinem
Amtsende.
Das Verhalten der USA gegenüber dem Australier Assange war durchwachsener.
Viele im Regierungs- und Militärapparat betrachten ihn seit den
Enthüllungen 2010 als Feind. Beamt.innen, Soldat.innen und anderen Leuten
im Staatsdienst war es verboten, auf den Seiten von Wikileaks zu surfen.
Aber Assange wurde zunächst nicht wegen „Spionage“ angeklagt. Obamas
Regierung ist zwar schärfer gegen Whistleblower vorgegangen als irgendeine
andere US-Regierung zuvor. Doch Obama wusste, dass eine Anklage gegen
Assange ein Schlag gegen die Meinungsfreiheit gewesen wäre.
Donald Trump hatte andere Absichten. In seinem Wahlkampf gegen Hillary
Clinton rief er laut ins Mikrofon: „Ich liebe Wikileaks“. Damals hatte die
Organisation gehackte E-Mails der Demokraten an die Öffentlichkeit
gebracht, in denen es unter anderem um interne Machtkämpfe ging. Nach
Ansicht vieler US-Amerikaner.innen, die heute nichts mehr von Assange
wissen wollen, haben jene Enthüllungen Trump zu seinem Wahlsieg verholfen.
Trumps Flirt mit Wikileaks endete wenige Wochen nach seinem Einzug ins
Weiße Haus, als die Organisation Daten über die CIA-Schnüffeleien in der
französischen Politik veröffentlichte. Seither ist für Washington Rache das
Leitmotiv. Assange muss dafür büßen, dass Obama Manning nach Ansicht der
Falken in beiden Parteien zu früh aus dem Gefängnis geholt hat. Und Assange
ist zu einer Person geworden, gegen die Trump einen Stellvertreter-Krieg
führt: gegen die „Fake-Medias“, die „Lügenpresse“.
## Nicht viele Allierte in den USA
Der Australier hat in den USA nicht viele Alliierte. Demokrat.innen und
Linken fällt zu seiner Person erstens die Wahlhilfe für Trump ein und
zweitens die – längst fallen gelassenen – Vorwürfe wegen Vergewaltigung in
Schweden. Die großen Medien berichten distanziert, darunter jene, die
Enthüllungsartikel veröffentlicht haben, die auf Informationen von
Wikileaks basieren. Und selbst die Journalistenorganisation „Comittee to
Protect Journalists“ (CPJ) laviert herum, wenn es um Assange geht. „Er ist
kein Journalist“, befindet CPJ, „aber seine Verfolgung stellt eine
Bedrohung für Journalisten in aller Welt dar“. Mit Wikileaks war ein neuer
Player in der Medienlandschaft erschienen. Die Veröffentlichung von
brisanten Informationen ist jedoch klassische Journalist.innenarbeit.
Insbesondere, wenn sie Verbrechen von Regierungsseite enthüllt.
Einige wenige halten gegen den Anti-Assange-Mainstream in den USA. Einer
von ihnen ist der mit dem Pulitzerpreis dekorierte Journalist James Risen,
der selbst viel zum Überwachungsstaat gearbeitet hat. In einem
Meinungsbeitrag für die New York Times äußerte Risen seine Befürchtung,
dass die Anklage gegen Assange „ein Präzedenzfall für den Umgang mit
investigativen Recherchen werden“ und auch in anderen Ländern Nachahmer
finden könnte. Er vergleicht die US-Anklagen gegen Assange mit dem
brasilianischen Vorgehen gegen den Journalisten Glenn Greenwald. In beiden
Fällen werde Journalismus durch den Fokus auf die Interaktionen zwischen
Reportern und Quellen kriminalisiert, schreibt Risen.
Ein anderer Assange-Unterstützer ist Whistleblower Daniel Ellsberg, der
1971 die Vietnam Papers enthüllte und selbst wegen „Spionage“ angeklagt
wurde. Einer Verurteilung zu bis zu 115 Jahren Gefängnis entging Ellsberg
nur, weil im Prozess herauskam, dass Mitarbeiter von Präsident Richard
Nixon in das Büro seines Psychiaters eingebrochen waren. Der heute
[1][89-jährige Ellsberg] hat sowohl Manning als auch Assange und Edward
Snowden verteidigt: weil sie die US-Öffentlichkeit über Missetaten in ihrem
Namen informiert haben. In einem taz-Interview sagte Ellsberg: „Vor einem
US-Gericht hätte Assange keine Chance auf einen fairen Prozess.“
Die Signale im Vorfeld von Assanges Auslieferung an die USA bestätigen
Ellsbergs Befürchtungen. 2019 hat eine Grand Jury 18 Anklagen gegen Assange
produziert. Bei 17 Punkten geht es um Spionage und die Enthüllung von
militärischen Geheimnissen. Bei einem weiteren Punkt um ein
Computervergehen. Die USA werfen Assange vor, dass er Daten über illegales
Tun der US-Regierung, die ihm von einem Informanten zugespielt wurden,
veröffentlicht hat. Und dass er diesen Informanten dazu ermuntert habe,
weitere Informationen zu besorgen. Ein Jahr danach reichte die US-Justiz im
Sommer 2020 weitere Vorwürfe nach. Sie lauten, dass Assange versucht habe,
bei Konferenzen in Europa und Asien weitere Hacker zu rekrutieren.
Zu welchem Übereifer die USA in der Causa Assange bereit sind, hat Chelsea
Manning am eigenen Leib erfahren. Im vergangenen Jahr sollte sie vor der
Grand Jury gegen Assange aussagen. Sie weigerte sich – und schweigt bis
heute. Dafür kam die erst wenige Jahre zuvor frei gelassene Manning 2019
erneut ins Gefängnis. Während einer monatelangen Beugehaft stieg die
Geldstrafe für ihr Schweigen um täglich 1.000 Dollar. Bei ihrer Entlassung
im Frühling 2020 hatte Manning eine Strafe in Höhe von 265.000 Dollar
angesammelt.
## Hoffen auf Begnadigung
Sollte Julian Assange in den USA wegen Spionage vor ein Gericht kommen,
erwartet ihn wie andere „Spione“ vor ihm ein Verfahren unter
Ausnahmebedingungen. Weil es um die „nationale Sicherheit“ und
Staatsgeheimnisse geht, würde es unter weitgehendem Ausschluss der
Öffentlichkeit und mit eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten
stattfinden. Assange hätte nicht einmal Gelegenheit, seine eigenen Motive
zu erklären.
Assange ist nach Jahren in der Isolation des ecuadorianischen
Botschaftsasyls und des Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh
gesundheitlich schwer angeschlagen. Dutzende von Ärzten und zahlreiche
Menschenrechtsorganisationen haben sich in London vergeblich dafür
eingesetzt, ihn aus medizinischen und humanitären Gründen
[2][freizulassen].
Andere Unterstützer.innen hoffen auf eine Begnadigung in den USA. In diesem
Sinne haben Nils Melzer, der UN-Sonderberichterstatter für Folter, und
Assanges [3][Partnerin Stella Moris], die zwei Kinder mit ihm hat, an
Donald Trump appelliert. „Die Anklagen gegen Julian untergraben die
Fundamente der Demokratie und der Pressefreiheit“, sagte Stella Moris in
einem Interview mit FoxNews, dem Haussender des US-Präsidenten.
Ein paar Republikaner, darunter der Trump-Vertraute und Kongressabgeordnete
Matt Gaetz, fordern ebenfalls öffentlich eine Begnadigung. Aber in der
Republikanischen Partei, wo Assange vielen als Verräter gilt, ist das nicht
besonders populär.
Julian Assanges Vater, der 76-jährige John Shipton, hofft auf eine
Begnadigung durch Joe Biden, den nächsten Präsidenten der USA.
2 Jan 2021
## LINKS
[1] /Whistleblower-Daniel-Ellsberg/!5628215
[2] /!5736083/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=W6QgxnWmFgE
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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