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# taz.de -- Radikalfeministische Zeitschrift: Ringen um die Formen des Ausdrucks
> „Die schwarze Botin“ protestierte gegen das Patriarchat – und auch gegen
> die frühe Frauenbewegung. Die galt den Autorinnen als zu unintellektuell.
Bild: Neben Silva Bovenschen, Gabriele Goettle u.a. gehörte Elfriede Jelinek (…
Avantgardistische Zeitschriften leben selten lang. Ob aus dem Underground
oder aus elitären Zirkeln: Der provozierende Gestus erkaltet mit der Zeit.
Solche Projekte sind akut: Sie setzen auf Radikalität und Provokation. Nur
schwer lässt sich der aufgeregte Ton auf Dauer stellen. Die Polemik
erschöpft sich in der Wiederholung. Avantgarde-Journale sind wie Blitze in
der Literatur- und Theoriegeschichte: Sie sprühen helle, schnelle Funken.
Meistens wurden sie von Männern gemacht. Zu den großen Ausnahmen gehört:
Die Schwarze Botin – eine radikalfeministische Zeitschrift. Ein
„Frauenblatt“ – so der schlichte Untertitel. Dabei haben die Bände es in
sich. Das erste Heft erschien im Oktober 1976, das vorerst letzte im
Dezember 1980. Im Jahr 1983 ging es in neuer Konstellation doch noch einmal
weiter. 1987 war dann wirklich Schluss.
Bei Wallstein ist jetzt eine Anthologie erschienen: Sie umfasst Texte aus
der erste Phase. Die zweite sei weniger radikal gewesen, heißt es im
Vorwort. Wer die Namen der Autorinnen liest, sieht sofort: Das ist nicht
bloß ein Album aus wilden Zeiten. Elfriede Jelinek und Gisela Elsner
schrieben für die Botin. Ebenso Elisabeth Lenk, Eva Meyer und [1][Silvia
Bovenschen.] Viele waren um die dreißig, als es losging. So auch die beiden
Berliner Herausgeberinnen Brigitte Classen und Gabriele Goettle. Letztere
wird später [2][regelmäßig für die taz schreiben.]
Am Anfang stand der Protest: keineswegs bloß gegen das Patriarchat. Es ging
vielmehr gegen die Neue Frauenbewegung. Sie galt als zu wenig
intellektuell, zu larmoyant. Gleich mehrere Beiträge im zweiten Heft
kritisieren die Berliner Autorinnenzusammenkunft im November 1976.
[3][Elfriede Jelinek] zeichnet ein loderndes, sardonisches Porträt:
„Bejubelt wurde Margot Schroeder, die sagte, daß sie ihren Hängebusen
liebt. Nicht bejubelt wurde Gisela Steinwachs“, die über Theorie sprach,
über Karl Marx und Shulamith Firestone. „Bejubelt wurde Margot Schroeder,
als sie sagte, daß sie ihre Krampfadern liebt. Sehr unbeliebt war die
Satire“.
## Gegen die Neue Subjektivität
Wie schreiben? Um die Formen des Ausdrucks wurde ab dem ersten Heft
gerungen. Natürlich polemisch. Selbstfindungsprosa wie Verena Stefans
„Häutungen“ wurde kritisch gesehen. Auch in der feministischen Spielart
führe die Neue Subjektivität nicht weit. Davon waren die Herausgeberinnen
der Botin überzeugt.
„Die Frauen haben sich schlecht beraten lassen, als sie anfingen zu
glauben, daß alles, was Frauen denken, sprechen, schreiben und arbeiten,
unter dem Aspekt einer Neuen Weiblichkeit für die Emanzipation brauchbar,
wenn nicht gar gut sei.“ Deutliche Worte, die hohen Anspruch und tiefe
Verachtung transportieren. Aber auch Ungereimtes: Wer „die Frauen“ wohl
beraten hat?
Die Kampfansage galt auch den publizistischen Konkurrenzprojekten: Gegen
die Emma wurde schon polemisiert, als sie noch ein kühner Plan war. Zu
weich, zu zahm. Kaum besser erging es der Courage. Trotzdem war die Botin
nicht einfach immer nur dagegen. Für viele der jungen Autorinnen dürfte sie
ein Ort gewesen sein, an dem sie das Schreiben und die Kritik ausprobieren
konnten. Der Reiz des Projektes lag nicht zuletzt in der Offenheit.
Fertiges stand neben stilistisch noch nicht ganz Ausgereiftem. Nicht
überall ist das theoretische Pathos gefüllt. Manche Wendung klingt
unfreiwillig lustig.
## Was ist theweleitisieren?
Dafür warten die Essays und literarischen Texte mit stilistischen
Überraschungen und sprachschöpferischer Laune auf: Christa Reinig, 1964
nicht in die DDR zurückgekehrt, führt das „theweleitisieren“ vor. Elfriede
Jelinek trug Experimentelles bei, etwa „untersuchungen zu udo jürgens
liedtexten“ – in konsequenter Kleinschreibung, mit reduziertem Gebrauch von
Satzzeichen, allerdings kein Originalbeitrag.
Von Gisela Elsner, deren „Riesenzwerge“ 1964 bei Rowohlt erschienen waren,
kamen die „Schattenspender“. Eine verstörende Erzählung über ein Ehepaar,
das sich im Urlaub afrikanische Männer als Sonnenschirme mietet.
Aus der feministischen Theoriebildung ist die Zeitschrift kaum wegzudenken.
Man findet frühe Essays von Gisela von Wysocki oder Silvia Bovenschen.
Wenig später erschienen ihre Dissertationen in prominenten Verlagen: die
„Bilder und Geschichten des befreiten Lebens“ bei Hanser, „Die imaginierte
Weiblichkeit“ bei Suhrkamp. Ambivalenzen auch hier, wurde Suhrkamp in der
Botin doch als „Schutz- und Trutzbund männlicher Autoren“ gehandelt.
## Gedicht mit Perspektive
Schade ist, dass die Anthologie die Interpretation gleich mitliefern will.
Dafür fehlt eine Übersicht über alle erschienenen Beiträge und Hefte. Die
Texte sind im Band nach Rubriken sortiert, innerhalb der Rubriken vage
chronologisch angeordnet: Von Tumult über Texte zum Feminismus, Sexualität
& Weiblichkeit bis zu Lyrik und Prosa. Mit kleinen Abweichungen: So findet
sich das „Gedicht mit Perspektive“ unter Tumult, nicht unter Lyrik.
In jedem Fall ist die Sammlung aus der Schwarzen Botin ein gutes Gegengift
für alle, die von den angeblich wilden Jungsjahren memoirenschreibender
Siebzigjähriger genug haben.
26 Dec 2020
## LINKS
[1] /Silvia-Bovenschen-ueber-Leben-und-Tod/!5458405
[2] /Ueber-Zwangsraeumungen-in-Berlin/!5367110
[3] /Elfriede-Jelineks-Ibiza-Stueck-in-Wien/!5658829
## AUTOREN
Hendrikje Schauer
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