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# taz.de -- Sven Giegold zum Grundsatzprogramm: „Linker und anschlussfähiger…
> Mit dem neuen Grundsatzprogramm der Grünen ist Sven Giegold insgesamt
> zufrieden. Die Kritik aus Reihen der Klimabewegung weist er zurück.
Bild: Ob das Grundsatzprogramm da hilft? Protest an der Grünen-Geschäftsstell…
taz: Herr Giegold, an diesem Wochenende entscheiden die Grünen über ihr
neues Grundsatzprogramm. Wie zufrieden sind Sie als linker Europapolitiker
mit dem vorliegenden Entwurf?
Sven Giegold: Als Vertreter der Europagruppe bin ich sehr zufrieden – vor
allem darüber, dass mit der „Föderalen Europäischen Republik“ eine
visionäre Idee im Grundsatzprogramm verankert wird, die wir vorher nicht in
dieser Form verfochten haben. Aber auch insgesamt finde ich, dass das
Programm sehr gelungen ist. Es ist linker und anschlussfähiger zugleich.
Anders gesagt: Eine einladende linke Politik.
Woran machen Sie das fest?
Das alte Grundsatzprogramm von 2002 atmete an etlichen Stellen eine gute
Dosis des damaligen neoliberalen Zeitgeistes, das Thema der sozialen
Ungerechtigkeit wurde kaum benannt. Im neuen Programm wird die Begrenzung
der ungleichen Verteilung von Vermögen und Einkommen viel stärker betont.
Auch die Rolle des Staates wird jetzt anders beschrieben: Der Staat hat
einen starken Gemeinwohlanspruch und muss sich emanzipieren von mächtigen
einseitigen Lobbyinteressen. Solche Aussagen findet man im alten Programm
nicht.
Gibt es bei aller Begeisterung auch Dinge, mit denen Sie nicht zufrieden
sind?
Ja, es gibt einen Punkt, mit dem ich wirklich hadere: Der Entwurf des
Bundesvorstands verabschiedet sich von der Forderung, Volksentscheide auf
Bundesebene zu ermöglichen. Anders als in Kommunen und Ländern gibt es
diese auf Bundesebene bisher nicht. Direkte Beteiligungsmöglichkeiten
wurden im alten Grundsatzprogramm ausdrücklich gefordert, das weicht hier
aus. Das halte ich für einen Fehler, und ich hoffe, dass die
Bundesdelegiertenkonferenz das korrigiert. Denn mit den richtigen
Rahmenbedingungen können Volksinitiativen und Volksentscheide politische
Verantwortung und Bildung steigern.
[1][Von Teilen der Klimabewegung werden die Grünen derzeit scharf
kritisiert.] Im Entwurf finden sich jetzt altvertraute Sätze, etwa dass wir
„die Erde von unseren Kindern nur geborgt“ haben …
Das stimmt ja auch!
Aber die „Kinder“, die jetzt fürs Klima demonstrieren, scheinen damit nicht
zufrieden zu sein, sondern sie wünschen sich ein eindeutiges Bekenntnis zum
1,5-Grad-Ziel. Das fehlt.
Es ist ein Grundsatzprogramm, das auch sonst nur sehr selten konkrete
quantitative Ziele nennt. Aber es bekennt sich zum Schutz der planetaren
Grenzen im umfassenden Sinn, dessen Folge eine konsequente Klimapolitik
ist.
Zur Klimaneutralität heißt es im Entwurf nur, Europa müsse diese „so
schnell wie möglich“ erreichen. Eine Jahreszahl wird nicht genannt. Warum?
Zum einen, weil man in ein Grundsatzprogramm möglichst keine Zahlen
schreibt, die bald schon wieder überholt sein könnten. Zum anderen ist die
Jahreszahl für die Klimaneutralität aus meiner Sicht die am meisten
überschätzte Zahl. Es kommt nicht darauf an, in welchem Jahr wir
treibhausgasneutral werden, sondern wie viel CO2 wir bis dahin noch
emittieren. Der entscheidende Punkt ist, dass wir unsere Emissionen an
einem global gerechten Klimabudget ausrichten müssen. Das steht in aller
Deutlichkeit im Programm.
Viele Klimaaktivist*innen meinen, [2][Wirtschaftswachstum und Klimaschutz
schließen sich auf Dauer aus]. Im Grundsatzprogramm heißt es dagegen:
„Wirtschaftswachstum ist nicht per se das Problem.“ Sehen Sie das auch so?
Ja. Beim Wirtschaftswachstum gibt es einen doppelten falschen Fetisch: Es
ist falsch zu sagen, alles muss wachsen – als sei das Wachstum ein Ziel an
sich. Es ergibt aber auch keinen Sinn zu fordern, dass gar nichts wachsen
darf. Für mich ist klar: Wir brauchen für unsere Zukunft einen anderen
Maßstab als das Bruttoinlandsprodukt, und die planetaren Grenzen müssen
eingehalten werden. In dem Rahmen muss Wirtschaften sich bewegen, mit oder
ohne Wachstum des BIPs.
Gefordert wird im Programm auch eine „gleichere Verteilung von Einkommen,
Vermögen, Erbschaften“. Im letzten Wahlkampf haben sich die Grünen mit
verteilungspolitischen Fragen dagegen auffällig zurückgehalten. Wird das
diesmal anders sein?
Ganz ähnliche Formulierungen standen auch im Bundestagswahlprogramm,
allerdings war es damals sehr umstritten. Heute im Grundsatzprogramm wird
klar benannt, dass die Ungleichheit in unserer Gesellschaft zu einer Gefahr
sowohl für die Demokratie wird als auch für die Fähigkeit, einen raschen
Wandel einzuleiten. Aber den brauchen wir zum Schutz des Planeten. Deshalb
bin ich sehr für die höhere Besteuerung von Vermögen. Für Unternehmen, die
investieren, sollte das nicht gelten. Aber passive Vermögen müssen wir
höher besteuern, und zwar auch aus ökonomischen Gründen: Sie tragen zur
Wertschöpfung in unserem Land nicht bei.
Auch wenn das jetzt alles so beschlossen werden sollte: Entscheidend ist am
Ende, was davon auch umgesetzt wird. Und das ist ja übersichtlich, wenn man
nach Baden-Württemberg oder Hessen schaut. Was nützen all die Bekenntnisse
zur Verkehrswende, wenn sich dann ein grüner Ministerpräsident zum Diesel
bekennt oder ein Landesminister den Bau einer neuen Autobahn durchprügeln
lässt?
Die Erfolgsbilanzen in Baden-Württemberg und Hessen sind besser, als Sie
sie darstellen. Aber das Bekenntnis von Winfried Kretschmann zum Diesel
verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht. Ich glaube, der Elektromotor wird
das Rennen machen, und zwar viel schneller, als viele es sich vorstellen.
Die deutsche Automobilindustrie braucht eine Politik, die diesen Wandel
unterstützt statt zu verzögern.
Und im Dannenröder Wald?
Es stimmt nicht, dass ein Grüner dort die Autobahn durchprügeln lässt.
Stoppen könnte den Bau dieser Autobahn nur die hessische CDU – oder
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, indem er dieses Projekt aus dem
Bundesverkehrswegeplan streicht. Für die hessischen Grünen war die A 49 ein
bitterer Kompromiss im Koalitionsvertrag. Den können wir nicht einseitig
aufkündigen, ohne unsere Erfolge im gleichen Vertrag zu gefährden. So
bitter es ist, was derzeit im Danni passiert: Das ist die Logik der
Demokratie, wenn man nicht allein regiert. Jedem sollte aber klar sein:
Wenn Grüne nicht mitregieren, gibt es niemanden, der es mit dem Umwelt- und
Klimaschutz ernst meint.
20 Nov 2020
## LINKS
[1] /Fridays-for-Future-und-Politik/!5720941
[2] /Klimaziele-und-Wirtschaftswachstum/!5718595
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
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