# taz.de -- Schulen in der Coronapandemie: Kreative Lösungen statt Basta | |
> Die Wirklichkeit ist nicht so schlicht wie die Debatte über Schulen in | |
> der Pandemie: Wer für kleinere Klassen ist, ist nicht gegen Beschulung an | |
> sich. | |
Bild: Warum gehen Schulklassen nicht mal in den Wald, um sich abzulenken? | |
Möchten Sie schuld sein, wenn Zoe zu Hause verprügelt wird? Oder Amir | |
keinen Abschluss macht? Dann halten Sie die Schnauze, wenn Sie denken, es | |
ist falsch, bei hohen Infektionsraten 30 Schüler*innen mit einer Lehrkraft | |
in einen Raum zu sperren. Sonst wird Ihr [1][Ruf nach kleineren Klassen] | |
erhört und dann haben Sie Tausende Zoes und Amirs auf dem Gewissen. | |
Nach dieser Logik werden derzeit Forderungen nach Halbgruppenunterricht | |
abgebügelt. [2][Von Kultusminister*innen], linken Journalist*innen und | |
teils auch Elternvereinen. „Soziale Teilhabe“ ist das Zauberwort, und | |
[3][„Bildungsgerechtigkeit“] und dazwischen wird von „schwierigen Familie… | |
und „Gewalt“ geraunt – was den Eindruck erweckt, es gehe Kindern in | |
finanziell benachteiligten Familien automatisch schlecht und in den anderen | |
gut. Und als wäre Schule ein gewaltfreier Raum. | |
Ab und an fällt jemand noch ein, dass es im Frühjahr nicht gut ankam, als | |
Schule und Kita geschlossen wurden und Eltern ohne Betreuung dastanden. Das | |
kann niemand wollen, oder? | |
Nein. Aber die Wirklichkeit ist nicht so schlicht, wie sie in der Debatte | |
über Corona und Schulen erscheint. Wer für kleinere Klassen ist, ist nicht | |
gegen Beschulung an sich. Wer im Frühjahr Mitleid für Verkäufer*innen | |
aufbringen konnte, der kann sich heute auch um die psychische Gesundheit | |
von Lehrkräften sorgen, [4][die sich ausgeliefert fühlen]. | |
Es fehlt der Blick auf Facetten und [5][der Wille zu kreativen Lösungen] – | |
die sind in einer Ausnahmesituation dringender gefordert als ein Festhalten | |
am Altbekannten. Es beginnt bei der Behauptung, halbierte Gruppen | |
bedeuteten, man brauche doppelt so viel Personal und Räume – oder müsse | |
eine Hälfte nach Hause in den Online-Unterricht schicken. Mit den bekannten | |
Reibungsverlusten, weil Lehrer*innen die digitale Kompetenz fehlt | |
[6][oder Schüler*innen Geräte, Internet und Eltern], die ihnen helfen. | |
Wo bleiben kreativere Ideen? | |
Wie wäre es mit halb so viel Unterricht? Viele Lehrer*innen, | |
Schüler*innen und Eltern sagen nach den Erfahrungen vor den Sommerferien, | |
[7][in kleineren Gruppen] sei in kürzerer Zeit mehr hängen geblieben als in | |
Massenveranstaltungen von 8 bis 16 Uhr. | |
Und wären jetzt nicht andere Kompetenzen gefragt als binomische Formeln und | |
Konjugation? Warum gehen Schulklassen nicht in den Wald, auch um sich | |
abzulenken von Ängsten und Unsicherheit? Oder ins Museum? [8][Angeleitet | |
von Kulturschaffenden und Vereinsaktiven], die wenig zu tun haben und zum | |
Teil nichts verdienen? So ließe sich auch das eine oder andere | |
Betreuungsproblem lösen. | |
Ist es wirklich unmöglich, individuelle Lösungen zu finden für | |
Schüler*innen, die mehr Zeit in der Schule brauchen – aus welchen Gründen | |
auch immer? Derzeit sind [9][Schulleitungen bis in die Nacht] damit | |
beschäftigt, Unterricht zu planen, bei Ausfall von Pädagog*innen und | |
wechselnder Quarantäne. Wenn sie nicht gerade Listen zusammenstellen, wer | |
wann neben wem gesessen hat und infiziert sein könnte. | |
Denn das wird ja auch gerne übersehen: An vielen Schulen kann von | |
geregeltem Unterricht keine Rede sein. Überproportional betroffen sind die | |
in Brennpunktvierteln. Die Kids dort werden mit Bildung beglückt – und | |
einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. | |
Zudem fehlt der Nachweis, dass unser Bildungssystem geeignet wäre, einer | |
breiten Masse – nicht nur Einzelnen mit Glück und Hilfe – Aufstiegschancen | |
zu ermöglichen. Wer jetzt von Bildungsgerechtigkeit redet, darf das | |
Gymnasium abschaffen, wenn nicht gleich Schule an sich. Und einräumen, dass | |
Bildung nicht alle Probleme löst. | |
Es wäre gut, wenn all diese Aspekte auch in den Blick genommen werden – | |
anstatt eine Bastapolitik zu verteidigen, die sich stur gegen geteilte | |
Klassen und damit mehr Sicherheit – und sei es nur eine gefühlte – für die | |
Betroffenen wehrt. | |
20 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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