# taz.de -- Schulen in Coronapandemie: Wie es Nachbarländer machen | |
> Schließungen, Wechselunterricht oder Luftfilter – hierzulande spitzt sich | |
> die Debatte um Schulen in der Pandemie zu. Wie sieht es in Europa aus? | |
Bild: Sie darf zum Unterricht kommen: Grundschülerin in Barcelona | |
## Österreich: Wahrer Glaubenskrieg um den Unterricht | |
Der Kampf ist entschieden: Am Dienstag ging Österreich in einen [1][zweiten | |
harten Lockdown], der auch den Kindern im Pflichtschulalter | |
Distanzunterricht verordnet. Bis 6. Dezember öffnen die Schulen nur für | |
jene Schülerinnen und Schüler, deren Eltern die Betreuung nicht wahrnehmen | |
können. Bildungsminister Heinz Faßmann (parteilos auf einem ÖVP-Ticket) | |
versprach, dass die Kinder dort nicht nur verwahrt, sondern auch in | |
Kleingruppen unterrichtet würden. Dafür sollen etwa Lehramtsstudierende | |
kurz vor dem Abschluss angeworben werden. | |
In den Direktionen scheint diese Botschaft nicht flächendeckend angekommen | |
zu sein. Die pensionierte Schuldirektorin Heidi Schrodt teilte auf Twitter | |
das an die Eltern gerichtete Schreiben einer Schule, in dem es wörtlich | |
heißt: „Für Kinder, deren Eltern außer Haus arbeiten und die | |
unbeaufsichtigt wären, besteht die Möglichkeit, dass sie von 8.00 bis 11.45 | |
vormittags in der Schule von einer Lehrerin/einem Lehrer in einer | |
jahrgangsübergreifenden Gruppe betreut werden. (Kein Unterricht, nur | |
Betreuung). | |
Die von vielen Eltern und Bildungsexperten gehegte Befürchtung, die | |
ohnehin schon abgehängten Kinder würden durch den [2][Lockdown] weiter an | |
Terrain verlieren, wird dadurch nicht gerade entkräftet. | |
In den letzten Wochen hatte ein wahrer Glaubenskrieg um die Schulen getobt. | |
Nicht nur gestresste Eltern traten dafür ein, den Unterricht unter allen | |
Umständen aufrechtzuerhalten. Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die als | |
Epidemiologin und ehemalige Gesundheitsministerin weiß, wovon sie spricht, | |
findet die Lösung nicht in Ordnung. Nicht nur weil Kinder unter 14 „keine | |
oder eine geringe Rolle“ spielten, sondern auch wegen „Nebenwirkungen“, d… | |
von schwer zu schließenden Bildungslücken bis zu Engpässen bei der | |
weiblich dominierten Spitalspflege reichten. | |
Die These, dass Kinder weniger ansteckend seien, wird allerdings von einer | |
am Wochenende veröffentlichten Dunkelzifferstudie im Auftrag des | |
Bildungsministeriums entkräftet. Universitäten in vier Bundesländern haben | |
10.000 Schulkinder zwischen 6 und 14 Jahren sowie Lehrpersonen mit | |
Gurgeltests untersucht. | |
Ihr Ergebnis: Unter den 40 positiv Getesteten lässt sich weder ein | |
signifikanter Unterschied in der Ansteckungsrate zwischen Lehrern und | |
Kindern noch zwischen den unter 10-Jährigen und den 10- bis 14-Jährigen | |
erkennen. Damit werde widerlegt, dass jüngere Kinder weniger anfällig für | |
Ansteckungen seien. | |
## Frankreich: Schlechte Noten für die Regierung | |
Innerhalb einer Woche, vom 5. bis 11. November, hat sich die Zahl der | |
positiv auf Corona getesteten Schüler:innen in den Grund- und Mittelschulen | |
laut dem französischen Erziehungsministerium auf 12.487 vervierfacht. | |
Insgesamt verzeichnet Frankreich täglich zwischen 30.000 und 50.000 | |
bestätigte Neuinfektionen. Trotz dieser bedenklichen Entwicklung möchte | |
Premierminister Jean Castex, der die [3][zweite Lockdown-Periode bis zum 1. | |
Dezember] verlängert hat, die öffentlichen Schulen weiter offen halten. Nur | |
die Hochschulen sind weitestgehend geschlossen. | |
Zahlreiche Eltern von Schulkindern sowie die Gewerkschaften der | |
Lehrer:innen äußern jedoch ihre Besorgnis. Auf Twitter veröffentlichte ein | |
Kollektiv von Beamt:innen des Erziehungssystems Fotos, die zeigen, wie | |
wenig die Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt werden. | |
Diese internen Kritiker:innen nennen sich „Stylos rouges“ – „Rotstifte�… | |
Sie haben sich zum Sprachrohr der Proteste im öffentlichen Schulsystem | |
Frankreichs gemacht und kreiden an, dass Warteschlangen von Schüler:innen, | |
hoffnungslos überfüllte Schulrestaurants sowie der Mangel an Masken und | |
Platz für den nötigen Abstand ie Regel seien. | |
Am Dienstag vergangener Woche haben deshalb mehrere Gewerkschaften einen | |
Streik organisiert. Marc D., Geschichtslehrer in einem Collège (untere | |
Mittelschulstufe) in Versailles, erklärt dazu: „Bezüglich der | |
Covid-Vorschriften sagt man uns ständig‚ diese sollten ‚wenn möglich‘ | |
eingehalten werden. Konkret aber ist dies so gut wie nie und nirgends | |
möglich.“ In den Gängen und beim Betreten der Klassen seien die Schüler | |
dicht beieinander. | |
Dass die Schulen offen bleiben, entspricht der Regierungsstrategie, dieses | |
Mal die Wirtschaft, soweit es geht, in Gang zu halten. Die Schulleitungen | |
sind gehalten, die Einhaltung der Abstandsregeln zu organisieren und wenn | |
möglich den Unterricht in halbierten Klassen durchzuführen. Zudem müssen | |
Schüler:innen ab 11 Jahren und das gesamte Personal Masken tragen. Seit | |
Neustem sollten auch die Kleineren ab 6 eine Maske tragen. | |
Alexandra Zins-Lavigne, Mutter von zwei Schulkindern in Paris, meinte | |
gegenüber der taz: „Das ist nicht nur ein zusätzlicher Kostenfaktor, | |
sondern auch für meinen 7-jährigen Sacha nach kurzer Zeit schlicht | |
unerträglich. Wenn wirklich eine große Infektionsgefahr besteht, müssten | |
sie konsequenterweise die Schulen schließen.“ Der Regierung würde sie in | |
Sachen Covid-Politik eine „schlechte Betragensnote“ geben. | |
## Tschechien: Wer nicht klickt, der fehlt | |
Bevor die Achtklässlerin Katarina dieser Tage morgens aus ihrem Bett im | |
siebten Prager Bezirk steigt, hat sie schon die erste Schulstunde hinter | |
sich. Seit einem Monat ersetzt der virtuelle Meeting-Room die | |
traditionellen Klassenzimmer Tschechiens. Jedes Fach hat dabei seinen | |
eigenen Link, es gilt: Wer nicht klickt, der fehlt. | |
Darf Katarina morgens sonst die Tram nicht verpassen, die sie zu ihrer | |
Schule am Prager Wenzelsplatz bringt, 14 Minuten von zu Hause entfernt, | |
reichen ihr in Notstandszeiten ein Handy und eine Internetverbindung, damit | |
sie ihre gesetzliche Schulpflicht erfüllt. „Bis Weihnachten könnte das von | |
mir aus noch mindestens dauern“, lacht die Achtklässlerin. | |
Nicht nur für tschechische Schülerinnen und Schüler ist der Unterricht | |
bequemer, seit die [4][Regierung] im Rahmen ihrer Anticoronamaßnahmen | |
sämtliche Bildungseinrichtungen der Republik geschlossen hat. Von der | |
Grundschule bis zur Universität ist nun sämtliche Kommunikation auf Google, | |
Skype oder TeamViewer beschränkt. | |
Viele der Schulen kommen gerade so mit den Kernfächern nach: Mathe, | |
Tschechisch, Fremdsprache. Im Durchschnitt unterrichten viele Schulen so | |
nur noch vier anstatt sechs Stunden pro Tag. „Dafür haben wir aber mehr | |
Aufgaben“, betont Katarina und erzählt von ihrer Power-Point-Präsentation | |
für das Fach Gemeinschaftskunde. | |
Unterricht light für Schülerinnen und Schüler – aber nicht unbedingt für | |
die Eltern. „Bei drei Kindern bin ich um zwölf Uhr mittags schon völlig | |
fertig“, stöhnt Petr Novotný, der in seinem Job als Architekt dem Rat der | |
Regierung folgt und, soweit es geht, im Homeoffice arbeitet. | |
Über die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, so fand eine Studie | |
des Gesundheitsministeriums heraus, bleiben in diesen apokalyptisch | |
anmutenden Zeiten am heimischen Schreibtisch. Denn im Rahmen der Maßnahmen | |
zur Eindämmung der Pandemie sind nicht nur die Schulen geschlossen und die | |
Firmen im Homeoffice. Auch Gaststätten und Geschäfte sowie kulturelle | |
Einrichtungen wurden durch Corona in einen [5][Dornröschenschlaf] versetzt. | |
Wie lange der noch anhalten wird, weiß niemand so recht. Schon am | |
Donnerstag müssen Schülerinnen und Schüler der ersten beiden Klassen zwar | |
wieder zum Präsenzunterricht erscheinen. Weitere Lockerungen hat die | |
Regierung bislang jedoch noch nicht angekündigt: „Die Rückkehr in die | |
Schulen wird schrittweise erfolgen“, erklärt Schulminister Robert Plaga | |
seit Ende letzter Woche. | |
18 Nov 2020 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
Rudolf Balmer | |
Ralf Leonhard | |
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