| # taz.de -- Expertin über Schulbetrieb in Spanien: „Wir haben diese Debatte … | |
| > Kaum irgendwo in Europa ist die soziale Ungleichheit im Schulsystem so | |
| > groß wie in der Region Madrid, sagt Gewerkschaftssekretärin Isabel | |
| > Galvín. | |
| Bild: Garderobe an der der SEK-El Castillo International School am Stadtrand vo… | |
| taz: Frau Galvín, Ihre Gewerkschaft hat sich wie keine andere Organisation | |
| für Schulöffnungen nach dem Lockdown eingesetzt. Wäre Onlineunterricht | |
| nicht besser und sicherer? | |
| Isabel Galvín: Die konservative Regionalregierung in Madrid wollte die | |
| Schulen nicht öffnen. Denn das wäre billiger gekommen, als sie auf einen | |
| sicheren Betrieb vorzubereiten. Aber nur der Unterricht in den Schulen | |
| selbst garantiert die Chancengleichheit. | |
| Wieso das? | |
| In vielen Haushalten gibt es keinen Computer. In anderen nur einen, der | |
| dann auch noch von den Eltern im Homeoffice belegt ist. Über 100.000 Kinder | |
| arbeiteten am Handy, oft dem der Eltern. Waren diese für die Arbeit | |
| unterwegs, konnten die Kinder erst nach Feierabend ihre schulischen | |
| Pflichten erledigen. Nirgends in Spanien gibt es so wenige Computer und so | |
| schlechtes Internet an den Schulen wie hier in Madrid. Zudem sorgt die | |
| Schule nicht nur für einen Abschluss, sondern auch dafür, dass die Schüler | |
| sich dem von der Gesellschaft verlangten Standard annähern, damit sie | |
| anschließend mehr oder weniger erfolgreich sind. Die Schule bedeutet das | |
| Erlernen von Alltagsregeln wie feste Zeiten, Hygiene, Ernährung, Kleidung. | |
| In Haushalten, die genau damit Schwierigkeiten haben, verschärft sich dies | |
| im Lockdown. | |
| Sie werfen der konservativen Regionalregierung vor, die Chancengleichheit | |
| nicht zu verteidigen? | |
| Nirgends in Spanien und kaum irgendwo in Europa ist die soziale | |
| Ungleichheit im Schulsystem so groß wie hier. Das ist das Ergebnis der | |
| extrem neoliberalen Bildungspolitik. Knapp die Hälfte der Schüler geht | |
| nicht auf öffentliche Schulen, sondern auf staatlich subventionierte | |
| Privatschulen, die auch noch wesentlich besser finanziert werden. Das führt | |
| zu einer extremen Ungleichheit in der Bildung, zu zwei Parallelwelten. | |
| Sie haben eine Kampagne für Schulöffnungen gestartet, die bis zum Streik am | |
| ersten Schultag ging, weil da noch immer die Hälfte der 10.600 | |
| versprochenen zusätzlichen Lehrer fehlten. Waren Sie erfolgreich? | |
| Wir haben dafür gesorgt, dass in Spanien überhaupt über das Thema Schule | |
| geredet wurde. Noch Mitte August konnte niemand sagen, [1][was am 1. | |
| September geschehen sollte]. Die öffentliche Debatte drehte sich um | |
| Tourismus und Gastronomie. Von den Schulen redete keiner. Wenn es keinen | |
| Lockdown für die Gastronomie gibt, wenn wir es uns nicht leisten können, | |
| die Wirtschaft lahm zu legen, wie können dann die Schulen geschlossen | |
| bleiben? Bildung ist die Wirtschaft von morgen, es geht um die | |
| Post-Covid-Bürger. Wir haben diese Debatte gewonnen. | |
| Was haben Sie konkret erreicht? | |
| Überall im Land wurden die Schulen geöffnet. Die [2][Zentralregierung] | |
| stellte aus den EU-Covid-Fonds Geld für die regionalen Bildungsministerien | |
| zur Verfügung. In Madrid haben wir zum ersten Mal seit der Eurokrise | |
| durchgesetzt, dass Privatschulen nicht bevorteilt werden. Es wurde 13 | |
| Prozent mehr Personal eingestellt, neue Klassenzimmer aufgemacht – entweder | |
| in bestehenden Räumlichkeiten oder in Containern –, um die Klassenstärke zu | |
| verringern. In einer Region, die der Covid-Hotspot schlechthin war, haben | |
| wir mit die sichersten Schulen im Land. | |
| In Katalonien wurde angesichts der Härte der zweiten Covid-Welle Mittel- | |
| und Oberstufe wieder in den Online-Unterricht geschickt. Wann ist für sie | |
| der Punkt gekommen, an dem auch in Madrid die Schulen geschlossen werden | |
| müssten? | |
| Sobald der allgemeine Lockdown da ist. Wenn alle in den Lockdown geschickt | |
| werden, betrifft dies natürlich auch die Schulen. Aber solange Kneipen und | |
| Terrassen offen bleiben, um der Wirtschaft nicht zu schaden, können die | |
| Schulen nicht einfach geschlossen werden. | |
| 18 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
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