# taz.de -- Proteste gegen neues Bildungsgesetz: Spaniens Rechte macht mobil | |
> Mit einer Reform des Schulsystems will die spanische Regierung mehr | |
> Bildungsgerechtigkeit schaffen. Das bringt Konservative und Rechte auf | |
> die Straße. | |
Bild: Autokorso gegen Bildungsgerechtigkeit – hier in Madrid | |
Madrid taz | Es klang nach autoritärem Umsturz: „Freiheit! Freiheit!“, | |
skandierten Abgeordnete der konservativen Partido Popular (PP), der | |
rechtsliberalen Ciudadanos (Cs) und der rechtsextremen VOX und erhoben | |
sich, als das spanische Parlament ein neues Bildungsgesetz beschloss. Mitte | |
November wurde die Reform des Schulsystems mit den Stimmen der | |
Koalitionsregierung aus sozialistischer PSOE und linksalternativer Unidas | |
Podemos (UP) sowie fünf regionalen Parteien angenommen. | |
Nur wenige Tage später gingen Vertreter der drei konservativen Parteien | |
zusammen mit den Verbänden der katholischen Schulen und staatlich | |
geförderten Privatschulen sowie religiösen Elternverbänden auf die Straße. | |
„Vielfältiger“ hieß das Motto der Autokorsos in über 30 Städten. Übera… | |
waren spanische Fahnen zu sehen. „Unsere Kinder gehören uns. Lasst sie in | |
Ruhe“, las man auf Transparenten. Das neue Gesetz sei eine Gefahr für das | |
Recht, die Schulform frei zu wählen. PP-Chef Pablo Casado fuhr in Madrid | |
mit. | |
Es sind große Worte, hinter denen sich eine simple Befürchtung versteckt – | |
[1][Privilegien zu verlieren]. Denn während das alte Gesetz die | |
Privatisierung der Bildung beschleunigte, sollen jetzt die öffentlichen | |
Schulen gestärkt werden. Auf sie gehen schließlich 67,1 Prozent der 8,2 | |
Millionen Schüler. 25,5 Prozent besuchen staatlich subventionierte | |
Privatschulen, 7,4 Prozent gänzlich private Schulen, wo die Eltern für die | |
Kosten aufkommen. | |
„Das neue Bildungsgesetz ersetzt eine elitäre Philosophie durch die | |
Chancengleichheit“, so die sozialistische Bildungsministerin Isabel Celaá | |
über das Gesetz. Ihr Werk, das von den großen Gewerkschaften und großen | |
Elternverbänden gelobt wird, nimmt wichtige Punkte der konservativen | |
Bildungsreform aus dem Jahr 2013 zurück. Das [2][Projekt des damaligen | |
Ministers José Ignacio Wert], das die Partido Popular dank absoluter | |
Mehrheit im Alleingang ohne jeglichen Dialog mit den Betroffenen einführte, | |
brachte damals Hunderttausende auf die Straße. | |
## Subventionen für Privatschulen gestrichen | |
Das bisherige Gesetz spricht von „gesellschaftlicher Nachfrage“, wenn es um | |
subventionierte Privatschulen geht. Nun wurde dieser Begriff gestrichen. | |
Stattdessen heißt es, dass genügend öffentliche Schulen zur Verfügung | |
gestellt werden müssen. Künftig soll verhindert werden, dass | |
Regionalregierungen, wie etwa die Konservativen in Madrid, Grundstücke in | |
Neubaugebieten an meist religiöse Träger verschenken und ihnen die darauf | |
errichteten Privatschulen auch noch finanzieren, anstatt öffentliche | |
Schulen zu bauen. | |
Wo Eltern öffentliche Schulen fordern, wird diese „gesellschaftliche | |
Nachfrage“ von den Konservativen ignoriert. „Die subventionierten | |
Privatschulen in Spanien sind zu einer Möglichkeit geworden, Schüler nach | |
ihrem sozialen Kontext zu trennen“, so der Direktor für Bildung und Leiter | |
der Pisa-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und | |
Entwicklung, Andreas Schleicher. „Aber das scheint nicht sehr effektiv zu | |
sein, wenn es darum geht, die Bildung zu verbessern – so zeigen dies | |
zumindest die Pisa-Ergebnissen“, warnt er in der Tageszeitung El País. | |
Er weiß, wovon er spricht. Neun von zehn sozial schwachen Schülern gehen | |
ebenso wie acht von zehn Kindern mit Migrationshintergrund auf öffentliche | |
Schulen. Staatlich geförderte Privatschulen, die in den großen Städten die | |
Hälfte aller Schulen ausmachen, bedienen hingegen die Kinder der weißen | |
Mittelschicht. Während der Wirtschaftskrise wurde in konservativ regierten | |
Regionen bei den öffentlichen Schulen stark gespart, während die Privaten | |
gar mehr Zuwendungen bekamen. Bildung ist in Spanien, wie auch in | |
Deutschland, Sache der Regionen. Die Zentralregierung erlässt nur | |
Rahmengesetze. | |
Gebühren, die an den geförderten Privatschulen erhoben werden, verstärken | |
die Segregation noch weiter. Das neue Gesetz untersagt dies jetzt – | |
entweder Schulgebühr oder staatliche Subvention, beides geht nicht. Und die | |
Schulen müssen künftig Kinder aus ihrem unmittelbaren Einzugsbereich | |
aufnehmen. Es ist das Aus für die Auswahl nach sozialen oder religiösen | |
Kriterien, die subventionierte Private bisher vornehmen. | |
## Allianz von rechten Elternverbänden und katholischer Kirche | |
Die Reform sei „zutiefst interventionistisch“, schränke „Bürgerrechte u… | |
-freiheiten ein“ und „untergräbt unser Bildungssystem, das für eine | |
demokratische Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist“, verurteilt | |
die Plattform „Vielfältiger“ dementsprechend all diese Maßnahmen. Bei ihr… | |
Aufstand haben die rechten Elternverbände und die Betreiber der | |
Privatschulen wichtige Verbündete. Allen voran die katholische Kirche. „Die | |
religiöse Erziehung kann nicht aus der Schule verbannt werden“, beschwert | |
sich der Sprecher der Bischofskonferenz, Luis Argüello. | |
Dabei müssen die Schulen weiterhin Religionsunterricht anbieten. Nur die | |
Teilnahme wird freiwillig. Und anders als bisher zählt die Zensur nicht | |
mehr bei der Berechnung des Notendurchschnitts. Für alle verpflichtend und | |
zeugnisrelevant wird allerdings ein neues Fach, „Ethische und zivile | |
Werte“, in dem demokratische Grundwerte vermittelt werden sollen. Religiöse | |
Elternverbände sehen darin bereits jetzt eine Manipulation ihrer | |
Sprösslinge. Die Bischofskonferenz überlegt gar, vor das Verfassungsgericht | |
zu ziehen. | |
Neben dem Thema Religion hat Spaniens Rechte im Kampf um die Bildung einmal | |
mehr das Thema Vaterland entdeckt. Es geht darum, was Ex-Bildungsminister | |
Wert 2013 als „Verkehrssprache“ definierte. Der Ultrakonservative wollte | |
Regionen mit eigener Sprache, wie etwa Katalonien und das Baskenland, | |
„hispanisieren“. Spanisch sollte Hauptunterrichtssprache werden – | |
„bilinguale Schulen“, an denen fast ausschließlich auf Englisch | |
unterrichtet wird, ausgenommen. | |
Das Konzept „Verkehrssprache“ taucht im neuen Gesetz nun nicht mehr auf. | |
„Eine Gefahr für die nationale Einheit“, wettert PP-Chef Pablo Casado, und | |
unterstützt eine Bürgerpetition, die Celaás Gesetz symbolisch vor das | |
EU-Parlament und die EU-Kommission bringen soll. | |
Die von den drei Rechtsparteien regierten Regionen wollen die Umsetzung im | |
kommenden Schuljahr boykottieren, auch wenn dies rechtlich nicht möglich | |
ist. Denn das neue Gesetz ist – wie sein Vorgänger – ein Rahmengesetz und | |
als solches verpflichtend. Die Zuständigkeit der Regionen beginnt erst | |
dort, wo das Rahmengesetz endet. | |
2 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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