# taz.de -- Wahlen in Katalonien: Wahlhelfer in Angst | |
> Zum Votum dürfen Wähler die Quarantäne brechen, worauf viele Wahlhelfer | |
> absagen. Aussichtsreicher Kandidat ist der Ex-Gesundheitsminister. | |
Bild: Salvador Illa hat erst vor einigen Wochen sein Amt als Gesundheitsministe… | |
MADRID taz | Es sind Patzer wie dieser, die im letzten Augenblick eine | |
gelungene Kampagne ruinieren könnten. Alle Spitzenkandidaten für die Wahlen | |
zum Autonomieparlament in Katalonien am Sonntag unterzogen sich vor der | |
Fernsehdebatte einem Covid-19-Test – bis auf einen: ausgerechnet Spaniens | |
Ex-Gesundheitsminister Salvador Illa, der das Land bis zu seiner Kandidatur | |
für das Amt des Regionalregierungschefs [1][durch die Pandemie führte]. Der | |
Kandidat der PSC, des katalanischen Ablegers der sozialistischen Partei des | |
spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, blieb dem Abstrich einfach | |
fern. „Vielleicht hat er sich ähnlich wie einige Bischöfe und Generäle gar | |
schon außer der Reihe impfen lassen“, verdächtigten seine politischen | |
Gegner den 54-jährigen Berufspolitiker jetzt. Die Schlagzeilen ließen nicht | |
auf sich warten. | |
Covid-19 ist das Thema schlechthin. Die amtierende katalanische Regierung | |
wollte die Wahlen wegen [2][der dritten Covid-Welle] auf Mai verschieben. | |
Alle Parteien unterstützten dies, mit einer Ausnahme – den Sozialisten | |
Illas. Sie wollten ihr Umfragehoch nicht gefährden. Illa will mit dem Ruf | |
eines guten Krisenmanagers punkten. Das oberste Gericht Kataloniens ordnete | |
schließlich an, am Sonntag festzuhalten. Und das, obwohl in Katalonien in | |
den letzten zwei Wochen 391 Infektionen pro 100.000 Einwohnern gezählt | |
wurden. | |
Die Zahlen könnten sich nach den Wahlen noch verschlechtern. Denn die | |
Mobilitätsbeschränkungen wurden für Wahlkampfveranstaltungen aufgehoben. | |
Wer wegen Kontakten zu Covid-Fällen in Quarantäne ist, darf dennoch wählen | |
gehen. Angst macht sich breit. Die Briefwahlbeteiligung steigt, die in den | |
Wahllokalen dürfte sinken. Und 25 Prozent der ausgelosten Wahlhelfer haben | |
bereits jetzt einen Grund gefunden, dieser Verpflichtung nicht | |
nachzukommen. Wenn auch die Vertretungen wegbrechen, bleibt nur noch eines: | |
Die Ersten bei der Stimmabgabe werden am Sonntag zwangsverpflichtet, am | |
Wahltisch zu sitzen. Verweigerern drohen Bußgelder und Haftstrafen. | |
Es ist nicht die einzige Anomalie. Da ist auch die Art und Weise, wie es | |
überhaupt zu den Wahlen kommt – schon zum zweiten Mal wurde der Regierung | |
die Justiz zum Verhängnis: Nach dem von Madrid verbotenen | |
Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 und der daraufhin verkündeten | |
und dann doch nicht umgesetzten Loslösung von Spanien intervenierte Madrid. | |
Autonomieparlament und -regierung wurden aufgelöst, Neuwahlen angesetzt. | |
Fast die gesamte alte Regierung befand sich da schon im Gefängnis oder im | |
Exil, wie der ehemalige Präsident der Generalität, Carles Puigdemont. | |
## Illa soll Ruhe in die rebellische Region bringen | |
Die Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, gewannen erneut. Der | |
neue Regierungschef Quim Torra wurde aber letztlich wegen Ungehorsam des | |
Amtes enthoben, weil er sich geweigert hatte, ein Transparent in | |
Solidarität mit eben diesen Gefangenen und Exilierten vom Regierungsgebäude | |
entfernen zu lassen. Die Neuwahlen vom Sonntag wurden notwendig. | |
Illa soll jetzt im Auftrag seines Chefs Sánchez Ruhe in die rebellische | |
Region bringen. Er wirbt für einen „Wechsel, der funktioniert“ und will | |
„die Unabhängigkeitsparteien in die Schmollecke verweisen“. Die Umfragen | |
sehen ihn knapp als Sieger, dicht gefolgt von den beiden Regierungsparteien | |
Gemeinsam für Katalonien (JxCat) des exilierten Puigdemont, der mit Laura | |
Borras die einzige Frau ins Rennen schickt, und der republikanischen Linken | |
Kataloniens (ERC) des einstigen Vize-Regierungschefs, des inhaftierten | |
Oriol Junqueras. Er hat seit einer Woche tagsüber Ausgang und macht nun | |
zugunsten des geschäftsführenden Regierungschefs Pere Aragonès Wahlkampf. | |
Sollten die Umfragen recht behalten, wären zwei Szenarien denkbar. Die | |
beiden Unabhängigkeitsparteien könnten, trotz ihrer Zerstrittenheit, auch | |
wenn Illa gewinnen sollte, erneut eine Koalition eingehen. Zum anderen | |
könnte Illa versuchen, ähnlich wie in Madrid, mit den Linksalternativen | |
zu regieren. Dazu bräuchte er allerdings die Unterstützung der linken | |
Unabhängigkeitspartei ERC. | |
Das wird nicht leicht. Denn Illa ist als streitbarer Gegner jedweder | |
Unabhängigkeitsbestrebung bekannt. So lief er eine Woche nach dem | |
Referendum 2017 zusammen mit dem heutigen außenpolitischen Vertreter der | |
EU, Josep Borrell, ganz vorn auf einer Demonstration unter dem Motto | |
„Schluss jetzt!“ mit. Der Aufmarsch hatte einen Schönheitsfehler: Unter den | |
Teilnehmern befand sich auch die gesamte spanische Rechte inklusive | |
Anhängern der rechtsextremen VOX und Demonstranten mit Fahnen der | |
Franco-Diktatur. | |
12 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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