| # taz.de -- Coronakrise in Spanien: Das Virus als Instrument | |
| > Die Regionalregierung in Madrid kämpft vehement gegen die spanische | |
| > Zentralregierung unter Pedro Sanchez. Es geht um Coronamaßnahmen. | |
| Bild: Straßenkontrolle am 9. Oktober, nachdem Spaniens Regierung den Notstand … | |
| Madrid taz | Die Chefin der Madrider Regionalregierung, Isabel Díaz Ayuso, | |
| sieht sich gern in der Rolle einer Art Jungfrau von Orléans. Die | |
| konservative Politikerin, deren Partido Popular (PP) in Koalition mit den | |
| rechtsliberalen Ciudadanos (Cs) und der parlamentarischen Unterstützung | |
| durch die rechtsextreme Vox regiert, kämpft gegen die | |
| „sozial-kommunistische Regierung“, wie die Rechte die spanische | |
| Linkskoalition aus Sozialisten und linksalternativer Unidas Podemos unter | |
| Pedro Sánchez getauft hat. Ayuso will die „Belagerung Madrids durch | |
| dieselben Kräften, die im letzten Jahrzehnt viele Möglichkeiten und viele | |
| Leben in Lateinamerika zerstört haben“, durchbrechen. Und wenn sie von | |
| Madrid redet, meint sie eigentlich Spanien. | |
| Auch wenn es nicht so klingen mag, [1][es geht um die Maßnahmen der | |
| Zentralregierung gegen Covid-19]. Kein Tag vergeht, an dem Ayuso die | |
| Pandemie, die Spanien so hart trifft wie kaum ein anderes EU-Land, nicht | |
| für ihren harten Konfrontationskurs nutzt. Die Spitze der PP unter Pablo | |
| Casado unterstützt sie dabei. „Madrid darf nicht unter Ausnahmezustand | |
| stehen. Wenn Madrid nicht frei ist, ist es nicht mehr Madrid“, lautet eine | |
| der Parolen von Ayuso. Die Konservativen stilisieren die Region zum Opfer | |
| einer autoritären Politik. Alles, was Sánchez und sein Koalitionspartner | |
| Pablo Iglesias machen, habe nur ein Ziel, Ayuso und damit den Madrilenen zu | |
| schaden. | |
| Nicht dass die Konservativen einen anderen Weg zur Bekämpfung der Pandemie | |
| hätten, sie haben überhaupt keinen. Mit 14 Prozent der spanischen | |
| Bevölkerung zählt die Region Madrid knapp ein Drittel aller Covid-19-Fälle | |
| und aller Verstorbenen. Mehr als die Hälfte der knapp 10.000 Madrider Toten | |
| starben bisher in Altersheimen. Privatisierung, Kürzungen und Korruption | |
| prägen das regionale Gesundheitssystem. Ayuso verspricht immer wieder mehr | |
| Personal und mehr Kontaktverfolger. Doch nichts davon wurde umgesetzt, | |
| obwohl sie 1,7 Milliarden Euro als Covid-Hilfe von der Regierung Sánchez | |
| bekam. | |
| Ayusos politische Strategie ist einfach. Sie widerspricht – egal wie die | |
| Vorschläge aussehen. Unter dem ersten Alarmzustand im Frühjahr verlangte | |
| sie mehr Dezentralisierung bei den Maßnahmen gegen die Pandemie, um dann | |
| nach der Öffnung Sánchez anzukreiden, dass er keine Maßnahmen für ganz | |
| Spanien ergreife. Als diese schließlich vor zwei Wochen in Form von | |
| erheblichen Mobilitätsbeschränkungen für besonders stark betroffene | |
| Gemeinden vom Gesundheitsministerium erlassen wurden, sicherte Ayuso ihre | |
| Unterstützung zu – um dann auf einer Konferenz der Regionalregierungen | |
| dagegen zu stimmen und schließlich sogar vor Gericht zu ziehen. Ayuso | |
| beschwert sich, dass 25-Jährige um 23.30 Uhr nicht ausgehen und | |
| „Einkaufszentren nicht weiterhin Arbeitsplätze schaffen“ können. Sánchez | |
| sei „schlimmer als das Virus“. | |
| Die Madrider Konservative verkauft eine Parallelrealität, legt sich | |
| Argumente zurecht, auch wenn sie die Fakten Lügen strafen. 500 | |
| Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in 14 Tagen – die Grenze, ab der die | |
| Zentralregierung mit Mobilitätsbeschränkungen einschritt, ist für sie | |
| „durch keinerlei wissenschaftliche Erkenntnis abgesichert“. Sie will 1.000. | |
| Zum Vergleich: 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche | |
| lassen in Deutschland Städte zu Risikogebieten werden. | |
| Während Ayuso von Diktatur spricht, folgen die Menschen in den reichen | |
| Stadtteilen Madrids den Aufrufen von Vox und demonstrieren für „Freiheit“. | |
| Ayuso stellt sich hinter diese Proteste. Dabei hat auch sie, vor dem | |
| Eingreifen der Zentralregierung, die Mobilität in Madrid einschränken | |
| lassen. Mit einem Unterschied: Während die Maßnahmen der Zentralregierung | |
| für die gesamte Hauptstadt und mehrere Vororte gelten, betrafen die der | |
| Regionalregierung [2][nur einzelne Wohngebiete, fast alle im armen Süden | |
| Madrids]. Gegenden rund um Einkaufszentren, das Stadtzentrum und vor allem | |
| die reichen Viertel waren ausgenommen, egal wie hoch die Infektionsquote | |
| war. | |
| Die PP steht durch die Wahlerfolge von Vox unter Druck. Die Rechtsextremen | |
| stützen neben Madrid auch in Murcia und Andalusien Koalitionen aus PP und | |
| Cs. Und [3][im spanischen Parlament wurden sie bei den letzten Wahlen auf | |
| Anhieb drittstärkste Kraft]. Ayuso und PP-Chef Casado wollen um jeden Preis | |
| beweisen, dass sie nicht die „kleine, feige Rechte“ sind, als die Vox sie | |
| gerne beschimpft. | |
| Casado nutzt die Region Madrid gegen eine Regierung, die er von Anfang an | |
| als „illegitim“ beschimpft. In seinen Reden erklärt er die | |
| linksalternative, kleinere Koalitionspartei UP zum „gefährlichen Feind der | |
| Demokratie“ und Vox zur „Verteidigerin der Verfassung“. | |
| Worüber er nur ungern spricht: Die PP ignorierte das Virus noch Anfang März | |
| vollkommen. Und als es darum ging, per Parlamentsbeschluss die Öffnung im | |
| Mai und Juni langsam anzugehen, verweigerte die PP Sánchez die Stimmen. | |
| Damit musste Madrid schneller in die „neue Normalität“ entlassen werden als | |
| geplant. Die Folgen sind jetzt zu sehen. | |
| Doch auch Sánchez ist nicht frei von Schuld an der aktuellen Lage. Er | |
| verpasste es, die Gesetzgebung zu ändern, um gezielte regionale und | |
| kommunale Lockdowns ohne die Ausrufung des Alarmzustands anordnen zu | |
| können. Auch er widmet sich lieber der Parteipolitik. Sánchez weiß, dass | |
| die Menschen im restlichen Spanien besorgt auf die Region Madrid schauen, | |
| und hofft, dass das, was dort geschieht, der PP schaden wird. | |
| Die ersten Verhandlungen für einen Aktionsplan zwischen Zentralregierung | |
| und der Regionalregierung in Madrid führten nicht etwa die jeweiligen | |
| Gesundheitsminister, sondern die Kommunikationsspezialisten von Sánchez und | |
| Ayuso. Es scheiterte, was scheitern musste, während in Spanien tagtäglich | |
| zwischen 100 und 200 Menschen an Covid-19 sterben, jeder dritte in Madrid. | |
| 20 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
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