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# taz.de -- Mäandernde Schulpolitik in der Pandemie: Eltern sind weich gekocht
> Dass nur wenige gegen die Schulöffnungen protestieren, liegt nicht daran,
> dass die Mehrheit zustimmt. Das Hin und Her hat zu Resignation geführt.
Bild: Schule auf, Schule zu: Eltern, Schüler*innen und Lehrkräfte sind weich …
Seit Montag sind die Bremer Schulen wieder geöffnet: [1][In Grundschulen
besteht Präsenzpflicht für alle Kinder], in den weiterführenden Schulen ist
die Teilnahme in Halbgruppen Pflicht. Jeweils die eine Hälfte lernt zu
Hause, die andere in der Schule.
Weil die Infektionszahlen in Bremerhaven sehr viel höher sind als in der
Stadt Bremen, müssen dort nur Grundschulkinder in den Wechselunterricht
kommen. Die anderen sollen jetzt doch zu Hause bleiben, wie der Magistrat
am Montagabend mitteilte.
Größere Proteste von Eltern oder Lehrkräften gegen diese im Bundesvergleich
weitreichende Öffnung der Schulen bleiben aus. So fand eine Petition auf
der Plattform [2][openpetition.de], die sich für Maskenpflicht und
Wechselunterricht in Bremer Grundschulen ausspricht, innerhalb von knapp
zwei Wochen gerade mal 2.072 Unterschriften, davon 1.700 aus Bremen (Stand
von Dienstagvormittag).
Das ist ein verschwindend geringer Anteil, denn es gibt rund 23.000
Grundschulkinder im Land Bremen – und damit annähernd 46.000 mögliche
Unterschreiber*innen. Die Petition läuft seit einer Woche jetzt noch einmal
auf der Bremischen Bürgerschaft: 486 Unterschriften.
Auch nur schleppend in Gang kommt eine Aktion auf Twitter: Unter dem
Hashtag [3][#bremenfuerhalbgruppen] sollen seit vergangener Woche
User*innen fordern, dass auch in der Stadt Bremen in Grundschulen nur in
halben Klassen im Wechselmodell unterrichtet wird. Gestartet hatte dies die
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vergangene Woche. Die
Resonanz blieb bis Dienstag bescheiden.
## Irrlichternde Senatspolitik
Es ist möglich, dass der überwältigende Teil von Eltern und Lehrer*innen
die Schulöffnungen in dieser Form begrüßt. Vielleicht sind viele aber auch
einfach zu weich gekocht vom vielen Hin und Her des letzten Jahres, um sich
noch über die neuesten Pandemie-Regelungen aufzuregen oder gar dafür
einzusetzen, dass andere getroffen werden.
Gründe zur Resignation gibt es reichlich. Für einige kann der rot-rot-grüne
Senat nichts. Die allgemeinen Lebens- und Arbeitsbedingungen in einer
Pandemie machen müde. Aber die teils arg irrlichternde Politik hat es nicht
leichter gemacht, die Unsicherheiten zu ertragen, die entstehen, wenn ein
neuartiges Virus mit Weltherrschaftsambitionen auf komplett unvorbereitete
Systeme trifft.
In Bremen lässt sich dies eindrücklich an der Bildungspolitik beobachten.
Schulen auf, Schulen zu, halbe Klassen, ganze Klassen, mit Präsenzpflicht
oder ohne – und das alles mehr oder weniger unabhängig vom aktuellen
Infektionsgeschehen.
So waren die Schulen im November quasi normal geöffnet. Zu einem Zeitpunkt,
an dem die Stadt Bremen mit einer Inzidenz über 200 – so wie jetzt
Bremerhaven – die höchste Zahl an wöchentlichen Neuinfektionen des ganzen
Pandemiejahres verzeichnete und das Bundesland die Tabelle der am stärksten
vom Infektionsgeschehen betroffenen Bundesländer anführte.
Einzig die Maskenpflicht wurde damals ausgeweitet: Auch Schüler*innen ab
der siebten Klasse mussten seit Mitte November nun auch im Unterricht einen
Mund-Nasen-Schutz tragen. [4][Zu diesem Zeitpunkt galt in
Schleswig-Holstein] – eins der Bundesländer mit dem niedrigsten
Infektionsgeschehen – die Maskenpflicht ab Klasse eins, sobald ein
Landkreis die Inzidenz von 50 überschritten hatte.
## Ablehnung von Wechselunterricht
Viele Eltern, Schüler*innen und Lehrer*innen wünschten sich
spätestens zu diesem Zeitpunkt den Unterricht in Halbgruppen. Doch von
einer pauschalen Regelung für alle wollte der Senat nichts wissen. In
Bremen führte die [5][Schüler*innen der Oberstufe einer Schule diesen
auf eigene Faust] ein. Auf diese Weise, so die Idee, ließen sich im
Klassenraum Abstände zueinander wahren. Und wenn sich jemand infiziert,
wäre nur jeweils die Hälfte der Klasse betroffen.
Bereits im Sommer hatte [6][die GEW den Wechselunterricht in Halbgruppen
gefordert]. Der könne, so die Argumentation der Gewerkschaft, für eine
stabile Situation sorgen, damit sich die Betroffenen für einen längeren
Zeitraum auf ein System einstellen können.
Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) teilte zwar die Einschätzung, dass
es „Frust“ erzeugt, wenn sie „alle vier bis sechs Wochen neue Regeln
aufstellt“, [7][wie sie der taz Anfang Dezember im Interview sagte]. Aber
verbindlichen Wechselunterricht führte Bremen erst zum 1. Februar ein – als
die 7-Tages-Inzidenz in der Stadt Bremen niedriger war, als in den Wochen
und Monaten zuvor. Das führte zu der kuriosen Situation, dass jetzt bei
geringem Infektionsgeschehen weniger Schüler*innen in den Klassen saßen
als bei starkem.
Denn Mitte Dezember hatte Bremen zwar die Präsenzpflicht aufgehoben, aber
in den Grundschulen kamen bereits Mitte Januar im Durchschnitt zwei Drittel
der Schüler*innen in den Unterricht, in den weiterführenden Schulen ein
Drittel. Und viele Grundschulen – [8][vor allem in den wohlhabenden
Vierteln] – waren kurz vor Einführung des Wechselunterrichts voll belegt.
Ausrichten wollte der Senat seine Bildungspolitik stets an den Schwächsten:
Kinder aus benachteiligten Familien sollten durch Bildungslücken nicht noch
weiter abgehängt werden. Das Problem: Genau diese Kinder und Jugendlichen
blieben oft aufgrund der aufgehobenen Präsenzpflicht der Schule fern.
## Psychisch krank aus Angst vor Ansteckung
Zudem argumentierte der Senat damit, dass man nicht nur das
Infektionsgeschehen betrachten dürfe, sondern das Gesamtbild. Zum Beispiel
psychische Folgen. Doch dieses Credo gilt immer nur dann, wenn es in die
Linie passt. So hatte der Senat die Forderungen nach Wechselunterricht mit
dem Verweis darauf zurückgewiesen, dass die Ansteckungsgefahr in Schulen
vergleichsweise gering sei.
Nicht miteinbezogen wurde dabei die Angst, sich und andere anzustecken, die
viele umtreibt. Auch sie wirkt sich auf die psychische Gesundheit aus. Doch
wenn die Bildungssenatorin sorgenvoll über die Zunahme von Depressionen und
Angsterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen spricht, glaubt sie, diesen
am besten damit zu begegnen, dass sie möglichst viel zur Schule gehen.
So sinnvoll einzelne Entscheidungen des Senats zu Schule in der Pandemie
gewesen sein mögen: Insgesamt waren sie von außen undurchschaubar und nicht
nachvollziehbar, im zeitlichen Verlauf mäandernd.
3 Mar 2021
## LINKS
[1] /Schuloeffnungen-in-der-Pandemie/!5750386
[2] https://www.openpetition.de/petition/online/grundschulen-in-hb-nur-mit-infe…
[3] https://twitter.com/hashtag/BremenfuerHalbgruppen?src=hashtag_click
[4] /Kultusministerin-zu-Schulschliessungen/!5725475
[5] /Schuelerinnen-organisieren-Halbgruppen/!5733520
[6] https://www.gew-hb.de/presse/detailseite/neuigkeiten/gew-startet-petition/
[7] /Bremens-Bildungssenatorin-ueber-Corona/!5731216
[8] /Kita-trotz-Lockdown/!5741404
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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