| # taz.de -- Schulöffnungen in der Pandemie: Wettlauf gegen die dritte Welle | |
| > Fast überall in Deutschland sind seit dieser Woche Kitas und Grundschulen | |
| > offen. Kann das gut gehen? | |
| Bild: Ungewohnter Anblick: Kinder auf dem Weg zur Grundschule Russee in Kiel | |
| Berlin/Bremen taz | Ein bisschen Sorgen vor der ersten Schulwoche seit | |
| Langem hatte Friedrich Münchner schon. Der neue Hygieneplan aus dem | |
| saarländischen Bildungsministerium kam erst Freitagabend. Von den Plänen, | |
| alle Grundschüler:innen ab dieser Woche mit Antigen-Schnelltests | |
| auszustatten, erfuhr Münchner aus den Medien, ursprünglich war dies nur für | |
| das Personal angekündigt worden. Und wann die eigens für Kinder gefertigten | |
| medizinischen Masken geliefert würden, die das Land anschaffen möchte, | |
| konnte Münchner den Eltern auch nicht beantworten. | |
| Dennoch ist der Schulleiter einer Saarbrücker Grundschule, der in Wahrheit | |
| anders heißt, nach zwei Schultagen im Wechselunterricht zufrieden. Weniger | |
| Eltern als befürchtet haben die Notbetreuung wahrgenommen, die im Saarland | |
| „angepasstes pädagogisches Angebot“ heißt. Nur etwa ein Drittel der 90 | |
| Kinder, die laut Wechselmodell in der ersten Woche eigentlich hätten zu | |
| Hause bleiben sollen, sind [1][am Montag in die Schule gekommen], erzählt | |
| Münchner am Telefon: „Wären es mehr, würde das Personal nicht ausreichen | |
| und die Mindestabstände könnten nicht eingehalten werden.“ | |
| Eine Elternabfrage vor zwei Wochen hatte noch ergeben, dass vier von fünf | |
| Eltern ihre Kinder auch dann in die Schule schicken wollten, wenn sie laut | |
| Wechselmodell eigentlich zu Hause lernen sollten. Doch offensichtlich haben | |
| Münchners Appelle an die Eltern gefruchtet, das Angebot wirklich nur | |
| wahrzunehmen, wenn es nicht anders geht. Am Dienstag hat sich Münchners | |
| Laune weiter gebessert – auch wenn er wieder viel Organisationsarbeit auf | |
| sich zukommen sieht. Er hat mit einer Ärztin telefoniert, die bereit ist, | |
| die Schnelltests an seiner Schule durchzuführen. | |
| Insgesamt 146 Ärzt:innen stehen auf der Liste, die das Ministerium | |
| verschickt hat. Sie unterstützen freiwillig die rund 160 Grundschulen im | |
| Land bei den Tests. So lange, bis die Schnelltests für den Eigenbedarf | |
| verfügbar sind. Und außerdem begrüßt Münchner wie sein ganzes Kollegium die | |
| Entscheidung, Grundschullehrer:innen bei den Impfungen in die Gruppe 2 | |
| vorzuziehen. Vorausgesetzt, man nehme niemandem den Impftermin weg, der ihn | |
| aus gesundheitlichen Gründen dringender bräuchte. | |
| Die Bundesländer haben nachgerüstet | |
| Frühere Impfungen, regelmäßige Schnelltests, medizinische Masken im | |
| Unterricht – die Bundesländer haben im Kampf gegen die befürchtete dritte | |
| Welle nachgerüstet. Doch nicht überall läuft es so zufriedenstellend wie im | |
| Saarland. Denn die meisten Länder warten mit den regelmäßigen Schnelltests | |
| auch für Schüler:innen noch auf die Zulassung, die Gesundheitsminister | |
| Jens Spahn (CDU) eigentlich für den 1. März versprochen hatte. Bis sich | |
| Schüler:innen bundesweit zweimal die Woche testen lassen können, dürften | |
| noch Wochen vergehen. | |
| So auch in Sachsen. Dort sind Kitas und Grundschulen zwar schon seit dem | |
| 15. Februar geöffnet. Nur Niedersachsen war bei den Öffnungen früher dran. | |
| Doch von regelmäßigen Schnelltests an Schulen ist im Freistaat bislang noch | |
| keine Rede. Am Freitag hat das sächsische Kultusministerium zwar | |
| Schnelltests für Kitapersonal angekündigt – nicht aber für Grundschulen. | |
| Und auch nicht für die Abschlussklassen, die bereits seit Januar wieder | |
| Präsenzunterricht erhalten. | |
| Joanna Kesicka hat dafür wenig Verständnis. „Coronatests werden uns nur | |
| voranbringen, wenn sie kostenlos, regelmäßig und flächendeckend angeboten | |
| werden“, sagt die Zwölftklässlerin, die auf ein Gymnasium in Löbau geht und | |
| dem Landesschülerrat Sachsen vorsitzt. Bisher konnten sich Kesicka und ihre | |
| Mitabiturient:innen einmal freiwillig testen lassen, direkt nach den | |
| Weihnachtsferien. Landesweit nahm nur etwa ein Drittel der Schüler:innen | |
| das Angebot wahr. Kesicka begründet das geringe Interesse mit den | |
| Testbedingungen. | |
| Die Jahrgänge, die jetzt neu an die Schulen zurückkehren und sich auch | |
| einmalig testen lassen können, müssten in vollen Bussen zu sogenannten | |
| „Testschulen“ fahren. „Das schreckt ab“, sagt die Schülervertreterin. … | |
| hätten einige Schulleitungen die Testzeiten so gelegt, dass sie während des | |
| Unterrichts stattfanden. Bei den Abschlussklassen habe das viele davon | |
| abgehalten, weil sie dadurch prüfungsrelevanten Stoff verpassten. Kesicka | |
| fordert deshalb: „Die Testungen müssen unbedingt außerhalb der | |
| Unterrichtszeit stattfinden.“ | |
| Schülervertreter:innen fordern Gratis-Hygieneartikel | |
| Trotzdem plädieren die sächsischen Schülervertreter:innen für weitere | |
| Schulöffnungen. Zumindest, wenn gleichzeitig die Hygieneschutzmaßnahmen | |
| hochgefahren werden. Wenn im März noch mehr Schüler:innen in den | |
| Präsenzunterricht zurückkehrten, müssten medizinische Masken und | |
| Desinfektionsmittel gratis zur Verfügung gestellt und der Schüler-ÖPNV | |
| ausgebaut werden, damit die Ansteckung nicht in überfüllten Bussen erfolge. | |
| „Das Letzte, was wir wollen, ist, dass Schulen zum Infektionshotspot | |
| werden.“ | |
| Besorgt ist auch Viktoria Krause, stellvertretende Schulleiterin an einer | |
| Grundschule in Dresden. Denn wie in anderen Ländern ist in Sachsen die | |
| Anwesenheitspflicht zwar ausgesetzt, doch nur wenige Eltern, berichtet | |
| Krause, betreuten ihre Kinder weiterhin zu Hause. „Die Klassen sind gut | |
| gefüllt.“ Das heißt: 24 Kinder sitzen im Unterricht nebeneinander, und zwar | |
| ohne Maske. „Abstand zu halten, auch zum Lehrer, ist gerade in den jüngeren | |
| Klassen nicht möglich.“ Die Schüler:innen würden nur im Schulhaus Masken | |
| tragen. | |
| Am Freitag, bevor die Schule wieder öffnete, kam in letzter Minute die | |
| Anweisung aus dem Ministerium, dass es medizinische Masken sein müssen. Die | |
| Schulleiterin sei noch losgefahren, um einen Satz zu besorgen, doch das | |
| erwies sich als fast unmöglich. „Es gibt für Kinder einfach keine | |
| medizinischen Masken in passender Größe auf dem Markt“, berichtet Krause. | |
| Also Masken für Erwachsene, die dann so lose säßen, dass es schon grotesk | |
| sei. Auch die Anweisung, dass Lehrkräfte nur in einer Klasse eingesetzt | |
| werden sollten, sei wegen der vielen Teilzeitstellen an der Schule | |
| praktisch nicht umzusetzen. | |
| Krause fühlt sich als stellvertretende Schulleiterin von ihrem Dienstherrn, | |
| dem sächsischen Kultusministerium, alleingelassen. Sie will deshalb auch | |
| nicht mit ihrem richtigen Namen auftreten. Im Sommer erstellte Pläne mit | |
| festen Inzidenzwerten, ab wann Schulen öffnen, Wechselunterricht anbieten | |
| und schließen sollten, seien ohne Begründung für obsolet erklärt worden. | |
| Bremer Schulen waren niemals zu | |
| Wie unterschiedlich die Kultusminister:innen mit dem | |
| Infektionsgeschehen umgehen, zeigt der Blick nach Bremen. Die Bremer | |
| Schulen können nicht wieder öffnen – weil sie nie geschlossen waren. Am 16. | |
| Dezember hatte der Senat lediglich die Präsenzpflicht aufgehoben, Eltern | |
| konnten für ihre Kinder, Volljährige selbst über den Schulbesuch | |
| entscheiden. | |
| Gleichzeitig hatte die Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) eindringlich | |
| an Eltern von Kindern bis zur sechsten Klasse appelliert, ihre Kinder in | |
| die Schule zu schicken – weil es „nicht nur um die Frage der nackten | |
| Wissensvermittlung“, sondern „um das gesamte Wohlbefinden“ gehe, wie sie … | |
| Interview mit Radio Bremen erklärte. | |
| Das führte dazu, dass nach Angaben der Bildungsbehörde bereits Mitte Januar | |
| in den Grundschulklassen im Durchschnitt zwei Drittel der Kinder anwesend | |
| waren, in den weiterführenden Schulen ein Drittel. Dabei, so die Senatorin, | |
| hatte die Auslastung von Schule zu Schule stark geschwankt: In einigen | |
| kamen fast alle Schüler:innen, in anderen nur wenige. | |
| Das hing nach taz-Informationen einerseits mit dem Engagement der Schule | |
| zusammen, andererseits mit den sozialen und ökonomischen Verhältnissen. | |
| Letztere waren auch beim Kitabesuch ausschlaggebend: Mitte Januar kamen | |
| [2][nach taz-Recherchen] in den sehr wohlhabenden Vierteln 100 Prozent der | |
| Kinder, in den armen beim städtischen Kita-Träger nur 20 bis 30 Prozent in | |
| die Einrichtung. Eine Erfahrung, die Eltern auch in anderen Bundesländern | |
| machen. | |
| Abstand „nicht mehr so ernst genommen“ | |
| Seit 1. Februar findet der Unterricht an Bremer Schulen im verbindlichen | |
| Wechselmodell in Halbgruppen statt. Ab dem 1. März besteht in Bremen wieder | |
| Präsenzpflicht. Alle Grundschulkinder sollen ab dann wieder in den | |
| Unterricht kommen. | |
| In Sachsen sorgt sich Viktoria Krause derweil darum, ob die Maßnahmen zum | |
| Infektionsschutz ausreichen. „Die Stimmung im Kollegium ist angespannt. | |
| Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass viele Vorschriften wie Abstand und | |
| Händewaschen nicht mehr so ernst genommen werden. Im Lehrerzimmer sitzen | |
| dann trotzdem alle zusammen. Formal mit Maske, aber zum Essen nimmt man die | |
| auch ab“, erzählt Krause. Ihr wird mulmig, wenn sie an die Zukunft denkt. | |
| „Ich glaube, wir werden wieder schließen müssen.“ | |
| 24 Feb 2021 | |
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| Ralf Pauli | |
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| Franziska Schindler | |
| Eiken Bruhn | |
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