# taz.de -- Kita trotz Lockdown: Es kommen die Reichen | |
> Bremen empfiehlt weiterhin den Kita-Besuch, damit arme Kinder Bewegung | |
> und Kontakte haben. Tatsächlich kommen vor allem Kinder aus reichen | |
> Vierteln. | |
Bild: Empfohlen wird der Kitabesuch derzeit nicht – aber irgendwie auch doch | |
BREMEN taz | Gescheitert ist Bremen mit dem Plan, im Lockdown die | |
Kindertagesstätten für Kinder aus beengten Verhältnissen offen zu halten. | |
Denn die Betreuungsquote in Stadtteilen mit einem hohen Anteil an | |
finanziell Benachteiligten liegt nach Angaben der beiden größten Träger von | |
Kindertagesbetreuung in Bremen sehr viel niedriger als die in Vierteln mit | |
wohlhabender Bevölkerung. | |
So seien diese Woche nur 20 bis 30 Prozent aller angemeldeten Kinder in | |
Tenever, Gröpelingen und Grohn in die Kita geschickt worden, sagte am | |
Freitag Wolfgang Bahlmann, Geschäftsführer von Kita Bremen, der taz. In | |
Stadtteilen wie Schwachhausen und Horn liege die Auslastung bei fast | |
hundert Prozent.Insgesamt seien rund 4.000 von 9.000 Kindern in der | |
Betreuung, Kleinkinder etwas häufiger als Drei- bis Sechsjährige. Beim | |
zweitgrößten Träger, der Bremischen Evangelischen Kirche, liege die | |
Auslastung laut Geschäftsführer Carsten Schlepper bei 67 Prozent. „In allen | |
Stadtteilen kommt mindestens die Hälfte der Kinder“, sagt Schlepper. Und in | |
Oberneuland alle. | |
Dabei hatten Bund und Länder vor anderthalb Wochen beschlossen, den seit | |
Mitte Dezember währenden Lockdown bis Ende Januar zu verlängern. Einige | |
Bundesländer stellten daraufhin auf Notbetreuung um. Das heißt, Eltern | |
müssen ihren Bedarf nachweisen. Bremens Bildungssenatorin Claudia Bogedan | |
(SPD) hingehen hatte offensiv dafür geworben, Kinder in die Betreuung zu | |
geben. | |
Sie hatte dies bei Radio Bremen damit begründet, dass in den Kitas | |
„vollumfängliche Bildung“ stattfinde, mit Bewegungsangeboten und Kontakten | |
zu anderen Kinder. Dies, so Bogedan, sei wichtig, weil Depressionen, | |
Fettleibigkeit, Suchterkrankungen und Gewalt zugenommen hätten. | |
Auf die Frage der taz, inwiefern angesichts der Betreuungsquoten dieses | |
Ziel erreicht worden sei, sagte ihre Sprecherin: „Wir wollen, dass Kinder | |
gerade aus bildungsfernen Haushalten in die Kita gehen können.“ Mehr als | |
den Kita-Besuch empfehlen könne die Bildungssenatorin nicht. | |
Zu 100 Prozent angekommen ist die Empfehlung dort, wo die Gefahren von | |
Bewegungsmangel und fehlender Spielanregung geringer sein dürften. Dies | |
stellt die Kindertagesstätten vor ein Problem. Denn nach wie vor ist nach | |
Angaben von Kita Bremen und der evangelischen Kirche der Krankenstand unter | |
Erzieher*innen hoch – und einige haben eigene Kinder. | |
## Es geht um die Vorbildfunktion | |
Die Mitarbeitendenvertretung (MAV) der Kirche erneuerte deshalb ihre | |
Forderung aus dem Dezember, Beschäftigte mit jüngeren Kindern auf Wunsch | |
von der Arbeit freizustellen. „Es geht auch um eine Vorbildfunktion“, sagte | |
am Freitag der MAV-Vorsitzende Christian Gloede der taz. Schließlich seien | |
Arbeitgeber aufgerufen, ihren Beschäftigten eine Kontaktreduzierung zu | |
ermöglichen – die wiederum dem Infektionsschutz aller dient. | |
Es sei richtig, Kindertagesstätten für Kinder geöffnet zu halten, die | |
Betreuung brauchen, so Gloede. „Aber wir wünschen uns auch, dass die Kirche | |
an Eltern appelliert, wann immer möglich, die Kinder zu Hause zu betreuen.“ | |
Dies wäre auch ein Signal an die eigenen Mitarbeitenden, sich um sie zu | |
kümmern. | |
„Die meisten gehen mittlerweile auf dem Zahnfleisch“, sagt Gloede, „das i… | |
eine psychische Belastung über zehn Monate.“ Letzteres gelte für alle, aber | |
für Erzieher*innen komme erschwerend hinzu, dass sie sich hin- und | |
hergerissen fühlen zwischen der Sorge, sich und andere anzustecken, und dem | |
Wunsch, für die Kinder da zu sein. | |
Doch davon will sein Chef Carsten Schlepper nichts hören. „Bloß keinen | |
neuen Appell“, sagt er. Dafür seien die Botschaften einfach zu | |
widersprüchlich. Wichtig sei jetzt, in Absprache mit der Bildungssenatorin | |
und Eltern eine Lösung zu finden, die über den Januar hinaus trägt. „Unsere | |
Leitungen sprechen mit Eltern ab, ob die Betreuung im Tages- oder | |
Wochenwechsel geteilt werden kann“, analog zu Halbgruppenunterricht in | |
Schulen. Erzieher*innen könnten auch gezielt Eltern ansprechen, bei denen | |
sie denken, es wäre gut, wenn diese ihr Kind bringen würden. „Manche sind | |
einfach mit der Entscheidung überfordert.“ | |
## Arbeitgeber müssen mitspielen | |
Noch unübersichtlicher wird die Lage dadurch, dass der Bundestag in dieser | |
Woche eine Neuregelung des Kinderkrankengeldes beschlossen hat. Danach | |
sollen die Krankenkassen auch dann 90 Prozent des Nettolohns zahlen, wenn | |
eine Kindertageseinrichtung nicht geschlossen ist, sondern nur eine | |
behördliche Empfehlung vorliegt, das Kind nicht hinzubringen. Dies gilt | |
rückwirkend bis zum 5. Januar. | |
Nur gab es bisher in Bremen diese Empfehlung so nicht. Seit Donnerstag | |
heißt es in einem Schreiben an die Eltern immerhin: „Soweit die Möglichkeit | |
besteht, Ihr Kind zu Hause selbst zu betreuen, empfehlen wir, diese | |
Möglichkeit zu nutzen.“ | |
Ob Berufstätige nun ihre Kinder zu Hause lassen, hängt davon ab, ob die | |
Arbeitgeber mitspielen. Darauf wies Ann-Kathrin Rohde von der | |
Zentralelternvertretung hin. „Die können immer noch sagen, die Kitas sind | |
doch offen.“ Für nächste Woche kündigte sie eine Umfrage unter Eltern an, | |
inwiefern diese sich gedrängt fühlen, ihre Kinder in Betreuung zu geben. | |
17 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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