| # taz.de -- Explodierende Sanierungskosten: Künstler-Exil droht selbst das Exil | |
| > Aus dem Palais am Festungsgraben in Berlin sollte ein Ort für | |
| > Wissenschaftlerinnen und Künstler im Exil werden. Das Projekt droht zu | |
| > scheitern. | |
| Bild: Hier läuft es gerade nicht rund: Palais am Festungsgraben in Mitte | |
| Berlin taz | André Schmitz hat es das Thema Exil angetan. In der Stiftung | |
| Exilmuseum hat er sich dafür eingesetzt, dass [1][am Anhalter Bahnhof ein | |
| Museum entsteht], das jenen 500.000 Menschen gewidmet ist, die während der | |
| Zeit des Nationalsozialismus das Land verlassen mussten. | |
| Und das soll noch nicht alles sein. Seit Langem schon plädiert der | |
| ehemalige Staatssekretär für Kultur dafür, dass auch [2][im Palais am | |
| Festungsgraben Unter den Linden] ein Ort des Exils entsteht: als | |
| öffentliche Arbeits- und Begegnungsstätte für diejenigen | |
| Wissenschaftlerinnen und Künstler, die in der Gegenwart ihre Heimat | |
| verlassen mussten. | |
| André Schmitz hat deshalb den Verein „Das Deutsche Haus“ mitgegründet, der | |
| sich im vergangenen Jahr bei einem Interessenbekundungsverfahren des Landes | |
| Berlin über die Zukunft des Standorts beteiligt hat. Denn das 1753 | |
| errichtete Palais, in dem auch das Theater im Palais und Teile des | |
| Gorki-Theaters untergebracht sind, gehört dem Land Berlin. Mitbewerber | |
| waren die Wohnungsbaugesellschaft Berlinovo, die eine Eventlocation plante, | |
| sowie die Humboldt-Universität, die das Palais vor allem als Bürostandort | |
| nutzen möchte. | |
| Den Zuschlag bekam das Deutsche Haus. „Von unserem Konzept war die | |
| Steuerungsrunde der Senatsfinanzverwaltung so begeistert, dass sie uns an | |
| die erste Stelle gesetzt hat“, erinnert sich Schmitz. Denn auch der Senat | |
| wollte im östlichen Teil der Straße Unter den Linden, der vorwiegend von | |
| Bürobauten geprägt ist, einen lebendigen Ort schaffen. Allerdings sei man | |
| im späteren Verlauf mit der Humboldt-Uni „verheiratet“ worden, berichtet | |
| Schmitz. „Das war für den Finanzsenator offensichtlich eine größere | |
| finanzielle Sicherheit.“ | |
| Nun aber droht aus dieser Verheiratung ein Rosenkrieg zu werden. Aus | |
| heiterem Himmel teilte die BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH, die die | |
| Liegenschaften des Landes verwaltet, Schmitz’ Verein Mitte Oktober mit, | |
| dass sich die erwarteten Sanierungskosten um das Dreifache erhöht hätten. | |
| Die entstehende Deckungslücke von 200.000 bis 250.000 Euro im Jahr solle | |
| der Verein tragen. Mehr noch: Um das Nutzungskonzept überhaupt umsetzen zu | |
| können, müsse der Verein eine sogenannte „Patronatserklärung“ | |
| unterzeichnen, die seine Bonität absichere. Außerdem müsse eine Erklärung | |
| zur Zwangsvollstreckungsunterwerfung notariell beurkundet werden. | |
| Harter Tobak. Das findet nicht nur André Schmitz, sondern auch Esra Kücük, | |
| die Vorsitzende des Vereins Deutsches Haus. In ihrem Antwortschreiben an | |
| die BIM vom 26. Oktober, das der taz vorliegt, spricht sie von einer | |
| „großen Irritation“. So sei beim Interessenbekundungsverfahren noch von 22 | |
| Millionen Euro Baukosten ausgegangen worden. Mittlerweile hätten sich diese | |
| aufgrund des langen Sanierungsstaus auf 60 Millionen Euro erhöht. Die damit | |
| einhergehende Erhöhung der Mieten sei für die Humboldt-Uni kein Problem, | |
| für den Verein dagegen schon. „Sollte die Senatsverwaltung entgegen dem | |
| Interessenbekundungsverfahren allein aufgrund intransparenter finanzieller | |
| Argumente entscheiden“, schreiben Kücük und Schmitz an die BIM, „behält | |
| sich der Verein vor, das gesamte Verfahren mit rechtlichen Mitteln prüfen | |
| zu lassen.“ | |
| Nicht nur Schmitz und Kücük fürchten, dass am Ende nicht der Gewinner des | |
| Verfahrens, sondern die Humboldt-Uni als Nutznießerin dastehen könnte. Auch | |
| im Gorki Theater heißt es, man habe Sorge, dass die Finanzverwaltung der HU | |
| das gesamte Palais zuspielt. „Wir brauchen jetzt eine politische Lösung im | |
| Senat“, betont Gorki-Sprecher Daniél Kretschmar. An diesem Montag soll das | |
| Thema in der aktuellen Viertelstunde im Kulturausschuss des | |
| Abgeordnetenhauses besprochen werden. | |
| Auch Daniel Wesener, der kulturpolitische Sprecher der Grünen, befürchtet, | |
| dass am Ende die HU das gesamte Palais bespielen wird. „Aber wir brauchen | |
| dort eine öffentliche Nutzung, die die Berlinerinnen und Berliner | |
| anspricht.“ Deshalb spricht auch er sich für eine Lösung auf Senatsebene | |
| aus. „Falls das scheitert und die Ergebnisse des | |
| Interessenbekundungsverfahrens nicht umgesetzt werden können, muss das | |
| ganze Verfahren zurück auf Los.“ | |
| André Schmitz betont noch einmal, wie wichtig ein Exil-Haus der Gegenwart | |
| für Berlin sei. „Das Thema Exil war leider 1945 nicht zu Ende“, sagt er. | |
| „Heute werden wieder jeden Tag Menschen ins Exil getrieben, selbst in | |
| Europa werden Wissenschaftler und Künstler von rechtsnationalistischen | |
| Regierungen in ihrer Entfaltung behindert.“ | |
| 30 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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