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# taz.de -- Blutspenden während der Pandemie: Einfach Leben retten
> In Zeiten von Corona wächst die Sorge vor einem Engpass an
> Blutpräparaten. Auch weil es an der Bereitschaft mangelt, Blut zu
> spenden.
Bild: Spender*innenblut ist auch in der Coronapandemie wichtig
Als Frank krank war, hing sein Leben vom Blut anderer ab. Das war vor fast
drei Jahren, damals wurde bei ihm eine Form von Blutkrebs, das
myelodysplastische Syndrom, diagnostiziert. Dabei erkrankt das Knochenmark,
zu wenig funktionierende Blutzellen werden hergestellt. „Um das zu
therapieren, hatte man mir eine Stammzellentransplantation vorgeschlagen“,
sagt er. Frank ist 58 Jahre alt und lebt in Wuppertal, seinen Nachnamen
möchte er lieber nicht nennen. Die Transplantation verlief gut – doch nach
einigen Monaten gab es Probleme mit Franks Blutwerten.
Im Sommer 2018 wurde er stationär aufgenommen. „Mein eigenes Blut war in
dem Moment unbrauchbar.“ Frank hatte zu wenige Blutplättchen und sein
Hämoglobinwert sank immer weiter ab, „auf ein Niveau, auf dem man es nicht
lange aushält“. Hämoglobin ist der wichtigste Bestandteil der roten
Blutkörperchen, der Erythrozyten, die für die Sauerstoffversorgung des
Körpers zuständig sind. Daher bekam Frank Erythrozyten-Konzentrat. Wer im
Alltag von einer Blutkonserve spricht, meint in der Regel dieses. Frank
bekam zwei am Tag, und das über 14 Tage. „Ich brauchte Blutspenden zum
Überleben.“
So wie Frank geht es vielen Krebspatient*innen, aber auch Unfallopfer
können von einem Moment auf den nächsten auf Blutspenden angewiesen sein.
Covid-19-Erkrankte werden teilweise mit Plasmaspenden behandelt; dafür
bedarf es Spender*innen, die schon eine Infektion mit deutlichen Symptomen
durchgemacht haben.
Dass es jedoch Blutspenden gibt, ist nicht selbstverständlich: Schon in
einem Nicht-Corona-Jahr gibt es Zeiten, wie im Sommer, Winter und in den
Ferien, in denen weniger Leute als sonst spenden, erklärt Patric Nohe,
Sprecher der Blutspendedienste des DRK. Das sei ein Stück weit
kalkulierbar.
Erst Grippe, dann Corona
Doch dieses Jahr ist die Situation bei den Blutspendediensten angespannt:
„Aus der Grippezeit ging es direkt in die Coronazeit“, sagt Nohe mit Blick
auf das vergangene Frühjahr, „der erste Lockdown hat uns kalt erwischt.“ Er
habe dazu geführt, dass „von heute auf morgen die komplette Terminstruktur
auseinandergefallen“ sei. Spendenaktionen in Turnhallen, Gemeindesälen und
Schulen fielen weg. Die mobilen Blutspendetrucks können bis heute nicht
fahren.
Auch Termine in Firmen fallen seither flach, aufgrund von Kurzarbeit,
Homeoffice oder Hygienemaßnahmen. 12,5 Prozent aller Spendetermine sollen
dieses Jahr ausgefallen sein.
Zu Beginn der Pandemie gab es eine „unglaublich hohe Solidarität“, sagt
Nohe. Viele Erstspender*innen waren zu verzeichnen. Doch mit der Zeit ging
die Bereitschaft zurück und mit den Lockerungen und Ferien im Sommer wurde
es nicht besser. [1][Nun gibt es wieder Einschränkungen], es wird kalt, die
Grippezeit beginnt.
Mit der Pandemie nahm auch die Debatte über das seit den 1980er Jahren
geltende [2][Blutspendeverbot sexuell aktiver homo- und bisexueller Männer
sowie trans* Personen] Fahrt auf. Eine Arbeitsgruppe soll diese
Beschränkung nun überprüfen.
Blut kann kaum gelagert werden
Dass die Lage überhaupt problematisch ist, liegt daran, dass sich
Blutpräparate nur sehr kurz lagern lassen: 42 Tage lang. Bei
Blutblättchen-Konzentraten sind es sogar nur einige Tage. Puffer aufbauen
und Präparate massenhaft einfrieren, geht also gar nicht. Man sei auf
kontinuierliches Engagement angewiesen, sagt Nohe.
Ein Großteil der Präparate wird für chronisch Kranke genutzt,
beispielsweise Krebspatient*innen wie Frank, aber auch für Magen- und
Herzoperationen, Transplantationen oder Unfall-OPs. Die meisten davon seien
nicht verschiebbar, macht Nohe deutlich. Für die Spendeneinbrüche im Sommer
hat Nohe zwar Verständnis, aber die Leute in den Kliniken seien nun mal auf
die überlebenswichtigen Präparate angewiesen. Das DRK sei kontinuierlich am
unteren Rand der Bestände. Nohe möchte keine Panik schüren, noch lässt sich
die Versorgung gewährleisten: „Aber wenn wir zwei bis drei schlechte Tage
haben und die Leute wegbleiben, haben wir ein ernstes Problem.“ Eigentlich
sollen die Konserven vom DRK vier bis fünf Tage Puffer bieten. Momentan
sind es in Teilen des Landes aber nur ein bis zwei Tage.
Besonders prekär ist die Lage laut Nohe beim Blutspendedienst Nord-Ost,
also in Berlin, Brandenburg, Sachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg. „Sehr
angespannt“ nennt Susanne von Rabenau, Sprecherin des Dienstes, die
Versorgungslage. Bei einzelnen Blutgruppen gebe es seit mehreren Wochen
Probleme, den Bedarf von Kliniken zu decken, ergänzt Professor Jürgen
Ringwald, der ärztliche Leiter der Institute für Transfusionsmedizin in
Lütjensee und Schleswig. „Ein extremer Engpass liegt derzeit insbesondere
für alle Rhesus negativen Präparate und generell bei der Blutgruppe 0 vor.“
Die DRK-Blutspendedienste sind laut Nohe für 75 Prozent der Versorgung mit
Blutpräparaten verantwortlich. Rund 15.000 Blutkonserven würden täglich in
Deutschland gebraucht. Eine Einheit Erythrozyten-Konzentrat (Blutkonserve)
bringt zwischen 95 und 130 Euro ein. Die DRK-Dienste finanzieren sich
ausschließlich selbst, sagt Nohe. Das Blut selbst kostet sie nichts –
Spender*innen bekommen beim DRK kein Geld für ihr Blut –, aber die
Organisation, wie Labortests, schon.
Zu wenig Spender*innen
Bei der Berliner Charité hat das DRK bereits Lieferprobleme gemeldet, sagt
eine Sprecherin der Klinik. Die Sorge vor einem Engpass sei auch hier
spürbar. Dabei sammelt das Berliner Krankenhaus selbst Blutspenden; für
eine Vollblutspende erhalten Spender*innen 20 Euro Aufwandsentschädigung.
Um Pfingsten spürte man ebenfalls die Solidaritätswelle – aktuell kommen
jedoch auch hier zu wenig Menschen. Seit 2011 hat sich die Bereitschaft zur
Vollblutspende in der Charité sogar um die Hälfte reduziert. Mit den
eigenen Spenden deckt die Klinik rund 20 Prozent der benötigten
Erythrozyten-Konzentrate und fast alle Thrombozyten-Konzentrate ab. Der
Rest wird vom DRK bezogen.
Auch beim größten deutschen privaten Blutspendedienst, Haema, bekommen
Spender*innen Geld – die Probleme sind die gleichen. Zwar waren und sind
alle der 41 Blut- und Plasmaspendezentren durchgehend geöffnet, aber die
Einschränkungen sorgen dafür, dass die Anzahl der Spenden zurückgeht, sagt
Britta Diebel, Sprecherin von Haema. Aber da in Deutschland nur 2 bis 3
Prozent der Bevölkerung regelmäßig spenden würden, sei man über jede
Spendenbereitschaft erfreut.
Das DRK versucht zurzeit, möglichst alle Spendentermine auch während des
Teillockdowns aufrechtzuerhalten. Doch das Problem ist auch, dass die
Termine, die es gibt, in Teilen gar nicht ausgelastet sind, so Nohe. Die
eigentliche Herausforderung ist also: „das Thema in die Gesellschaft tragen
und Bewusstsein schaffen, dass es keine künstliche Alternative zu
gespendetem Blut gibt“. Jede*r Dritte sei einmal im Leben auf Blut
angewiesen, so sagt es laut Nohe die Statistik. Das Ziel müsse sein, mehr
Menschen zu einer regelmäßigen Spende zu bewegen, vor allem junge
Erstspender*innen – denn mittelfristig habe man mit dem demografischen
Wandel ein weiteres Problem. Dafür habe man schon verschiedene Kampagnen
gestartet, auch in sozialen Medien.
Verschiebbare Operationen verlegen
Wenn nicht mehr Blutspenden hinzukommen, würde man sich zunächst auf
Bundesebene gegenseitig aushelfen – normalerweise werden die Blutkonserven
nur innerhalb der regionalen Blutspendedienste genutzt, sagt Nohe. Im
nächsten Schritt würden verschiebbare Operationen verlegt werden. Die
Situation treibe einen schon um, gesteht er.
Das sieht Frank genauso. Nach 14 Tagen mit dem Erythrozyten-Konzentrat
verbesserten sich seine Blutwerte langsam wieder, die Konserven wurden nach
und nach abgesetzt. Heute geht es ihm „nicht so wie früher, aber gut“,
seine Krankheit ist nicht wieder aufgetreten. Blut kann er aber noch nicht
spenden. Und vor seiner Krankheit? Hat er auch nicht gespendet. „Mir war
damals gar nicht bewusst, dass das so notwendig und bedeutend ist.“
Bis es ihn selbst traf. „Insofern ist es wichtig, darüber aufzuklären.“ U…
Bekannte, Familie darauf anzusprechen – „aber mit Bedacht“. Niemand solle
sich schlecht fühlen, es handele sich schließlich um eine persönliche
Entscheidung. Seiner Meinung nach braucht es neue, kreativere Ideen, auf
potenzielle Spender*innen zuzugehen, ohne sie moralisch unter Druck zu
setzen.
Nohe wirbt damit, dass man mit dem Spenden sein Blut umsonst auf einzelne
Krankheiten testen lassen kann. „In erster Linie gibt es das gute Gefühl,
bis zu drei Leuten das Leben zu retten.“ Seine Hoffnung ist, dass es „nicht
immer einen monetären Anreiz für Solidarität“ geben muss. Nun müsste die
Gesellschaft einmal mehr dafür sorgen, die Menschen in den Krankenhäusern
in den kommenden Monaten mit Blutpräparaten versorgt werden können.
27 Nov 2020
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## AUTOREN
Alina Götz
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