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# taz.de -- Theologe kritisiert Volkstrauertag: Heldengedenken gehört abgescha…
> Am Sonntag ist Volkstrauertag. Der Hamburger Ex-Pastor Ulrich Hentschel
> vermisst das Bekenntnis der Politik zur Verantwortung für zwei
> Weltkriege.
Bild: Festakt, aber nicht am Kriegsdenkmal: Soldat am Volkstrauertag in der KZ-…
Ob und wie viele Gedenkfeiern zum Volkstrauertag im Coronajahr 2020
stattfinden, wissen wir nicht. Doch die Zäsur kann Anlass sein, einmal
genauer und damit auch kritischer über Rituale und Themen nachzudenken.
Denn obwohl sich das Volk kaum noch dafür interessiert, finden zu
„normalen“ Zeiten in Stadt und Land stets die traditionellen Rituale zum
Volkstrauertag statt: Auf einen Gottesdienst folgt die Kundgebung am
[1][Kriegerdenkmal,] die Aufstellung der Feuerwehr, oft samt einer
Abordnung der Bundeswehr, Musik, eine Rede, die Ablage von Gedenkkränzen.
Die Tradition und der Ort der Kundgebung geben vor, dass der „Gefallenen“
der beiden Weltkriege gedacht wird. Nach dem Ritual kündet das
Kriegerdenkmal dann wieder 365 Tage lang unwidersprochen vom [2][Opfer der
Helden,] Brüder und Söhne für Volk und Nation, Gott und Vaterland.
Es ist kein Zufall, dass die meisten Kriegerdenkmäler errichtet wurden, als
der Volkstrauertag1919 auf Initiative des „Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge“ als „Gedenktag für die gefallenen deutschen Soldat…
des Ersten Weltkriegs eingeführt wurde. Erstmals begangen wurde er 1925.
Der Erste Weltkrieg mit Millionen getöteter Soldaten war wenige Jahre zuvor
mit der deutschen Niederlage zu Ende gekommen, und es gab erstmals in
Deutschland eine demokratische Staatsform. Da diente der Volkstrauertag der
Propaganda gegen die Weimarer Republik und der Stärkung deutschnationaler
und revanchistischer Bestrebungen.
## Man trauerte, aber nicht um die Opfer
Die Kirchen waren fast überall mit im Boot. Man trauerte, aber nicht um die
Opfer des Ersten Weltkrieges, sondern über die Niederlage des Deutschen
Reiches. „Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen“ ist ein Zitat
des Dichters Heinrich Lersch, das sich auf Kriegsdenkmälern wie dem
umstrittenen [3][„Kriegsklotz“] am Hamburger Dammtor-Bahnhof findet.
Doch es gab auch Widerspruch. Die Hamburger kommunistische Zeitung Der
Abend betitelte einen Kommentar: „Volkstrauertag – Kriegshetzertag“. Und
selbst die Vereinigung ehemaliger Kriegsgefangener widersprach dem
Missbrauch des Gedenkens für neue militaristische Ambitionen.
Diese Anti-Kriegs-Stimmen aus SPD, KPD und kleinen pazifistischen Gruppen
konnten sich bekanntlich nicht durchsetzen. Selbst da, wo sie neue
Kriegerdenkmäler als Kultorte für den Volkstrauertag zunächst blockieren
konnten, wie in Hamburg und Pinneberg, rüsteten die Nazis nach ihrem
Machtantritt 1933 schnell nach. Und dem Volkstrauertag gaben sie die schon
lange zutreffende Bezeichnung „Heldengedenktag“.
Mit dem [4][Heldengedenken] war es 1945 zunächst vorbei. Aber schon 1950
zelebrierte man im Deutschen Bundestag die erste zentrale Feierstunde des
„Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge“. Damals gab es noch zahlreiche
Männer im Bundestag und beim Volksbund, die der NS-Politik gedient oder von
ihr profitiert hatten. Erst knapp fünf Jahrzehnte später, 1997, formulierte
der Bundestag bei einer Debatte über die Rehabilitierung der
[5][Wehrmachtsdeserteure] und der Opfer von NS-Militärjustiz: „Der Zweite
Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom
nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen.“
## Redner priesen die Tapferkeit der Soldaten
Doch bis dahin waren Reden und Rituale am Volkstrauertag geprägt vom
Lobpreis der Tapferkeit deutscher Soldaten, von ihrem Vorbildcharakter für
die Bundeswehr. Und auch wenn die Rhetorik nun weitgehend auf
Revanche-Parolen verzichtete, dominierte die Faszination des „guten
Soldaten“ die Reden.
Das begann sich erst mit der Friedensbewegung zu ändern, die auch
Parlamente, Parteien und Kirchen erreichte. Man erinnerte nun auch an die
zivilen Opfer der Kriege, an die ermordeten Juden, Roma und Sinti,
Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter. Später auch an die bei
Militäreinsätzen im Ausland getöteten deutschen Soldaten.
So wurde der Volkstrauertag zu einem Selbstreinigungsritual, in dem man
sich versicherte, durch das Gedenken an sämtliche Tote des Zweiten
Weltkriegs eine versöhnte und „normale“ Nation zu sein. Insofern spiegelte
sich im Volkstrauertag das vorherrschende (erinnerungs-)politische
Selbstverständnis in diesem Land.
Dabei darf man nicht übersehen, dass sich zunehmend wieder Burschen- und
Landsmannschaften sowie kleine Nazi-Gruppen an Kriegerdenkmälern
versammeln. Sie sehen sich ermutigt durch den Nazi-Förderer und
AfD-Spitzenmann Alexander Gauland, der 2017 sagte: „Wir haben das Recht,
stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.
## Deutsche Kriegszüge werden bis heute relativiert
Die offiziellen Gedenkfeiern am Volkstrauertag halten sich von dieser
[6][Huldigung der Wehrmacht] zwar fern, aber sie relativieren die deutschen
Kriegszüge in den Weltkriegen. Das spiegelt sich auch in dem Totengedenken,
das seit 1952 der jeweilige Bundespräsident vorträgt. In der aktuellen
Fassung heißt es unter anderem: „Wir denken heute an die Opfer von Gewalt
und Krieg..., gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden... Wir
gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen
Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie
an ihrer Überzeugung festhielten.“
Schon die Sprache ist euphemistisch: Aus Ermordeten werden Menschen, „die
den Tod fanden“. Aus Nazi-Deutschland wird eine „Gewaltherrschaft“. Es wi…
nicht zwischen Angreifern und Angegriffenen unterschieden. Alle sind Opfer.
Und nicht ein einziges Mal wird Deutschland als Verursacher all des Leidens
genannt. Hier findet keine Auseinandersetzung mit der Schuld statt: der
Schuld der getöteten Soldaten ebenso wie der der Kirchen, die den Kriegen
ihre Zustimmung gaben.
Denn viele der „Soldaten, die in den Weltkriegen starben“, wozu auch die
Männer der [7][Waffen-SS] gehörten, waren beteiligt an der Ermordung von
Juden, Roma und Sinti. Viele dieser Soldaten waren beteiligt an der
Zerstörung ganzer Dörfer und dem Mord an ihren EinwohnerInnen sowie an der
[8][Blockade Leningrads,] deren einziges Ziel der Hungertod der Einwohner
war. Dieser Soldaten in einem Atemzug mit ihren Opfern zu gedenken: Diese
Praxis offenbart den anhaltenden Versuch, deutsche Schuld zu relativieren
und sich der Schuldgeschichte nicht zu stellen.
Darüber hinaus wird oft behauptet, dass das Ritual des Volkstrauertages und
sein Ort, das Kriegerdenkmal, Raum für Trauer böten. Das stimmt nicht.
Trauer um Vater, Sohn und Ehemann, der im Krieg getötet wurde, gilt einem
Individuum, nicht dem uniformierten Soldaten – und kann nur persönlich
gelebt werden. Sie hat einen äußeren Ort am Grab auf dem Friedhof. Wo eine
solche Bestattung während des Krieges nicht möglich war, gibt es
unpersönliche Soldatenfriedhöfe. Es ist fraglich, ob sie Raum für das
Nachdenken über den [9][Grund für Kriegstod] schaffen.
## Oft militärische Symbole an Kriegerdenkmälern
Auch die Rituale des Volkstrauertages an „Kriegerdenkmälern“ sind darauf
angelegt, die Trauer um die getöteten Soldaten zu kollektivieren.
Kriegerdenkmäler und die zugehörigen Gedenkfeiern propagieren einen höheren
Sinn für den Tod der Soldaten: Deutschland, Volk, Heimat, Kaiser und
Nation. Die Ausgestaltung der Kriegerdenkmäler mit militärischen Symbolen
stärkt zudem oft eine kriegsförderliche Mentalität.
All das muss sich ändern. Der Volkstrauertag sollte zu einem Tag der
Erinnerung an Deutschlands Verantwortung für zwei Weltkriege werden. Bis es
soweit ist, bleibt die kritische Befragung und Veränderung der bestehenden
Rituale und Inhalte dringend notwendig.
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## AUTOREN
Ulrich Hentschel
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