| # taz.de -- Streit um Mahnmal gegen Kriegsgewalt: „Das muss die Welt wissen“ | |
| > Am 5. November wird in Berlin über die „Trostfrau“ debattiert. | |
| > Initiatorin Nataly Jung-Hwa Han erklärt, warum das Mahnmal bleiben soll. | |
| Bild: Nataly Jung-Hwa Han vom Korea-Verband an der Statue der „Trostfrau“ | |
| taz: Frau Han, Ihr Verein hat in Moabit die Statue einer koreanischen | |
| „Trostfrau“ aufgestellt. Sie erinnert an die sexuelle Gewalt, die Frauen | |
| während des Zweiten Weltkriegs durch die japanische Armee erlebt haben. Wie | |
| reagieren die Menschen im Moabiter Kiez auf die Statue? | |
| Nataly Jung-Hwa Han: Es gibt dort eine besondere Verbundenheit mit der | |
| Statue, denn sie fordert zur Kommunikation auf. Menschen fangen an, von | |
| sich zu erzählen – bis hin zu sexuellen Missbrauchserfahrungen. Nachbarn | |
| bringen Blumen und passen auf. Als kürzlich ein Lkw kam, rief uns eine | |
| Nachbarin an, die fürchtete, die Statue werde abgebaut. | |
| Wie sind Sie auf die Idee gekommen, in Berlin ein Mahnmal gegen | |
| sexualisierte Kriegsgewalt aufzustellen? | |
| Weil ich die Statue als Kunstwerk toll finde, wollte ich sie den | |
| Berliner*innen vorstellen. Ich habe die Statue schätzen gelernt, weil sie | |
| jedem sofort Zugang zu diesem schwierigen Thema ermöglicht. Sie erzählt die | |
| Geschichte der „Trostfrauen“ – auch, dass sie nach dem Krieg in ihren | |
| eigenen Gesellschaften nicht anerkannt waren. Mich überzeugt, dass die | |
| Statue keinen Täter, sondern ein Opfer zeigt, auch die Form der sitzenden | |
| Frau und der leere Stuhl daneben. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, | |
| dass sie keinen großen Helden auf einem hohen Sockel darstellt. Keine | |
| andere Figur spricht Frauen wie Männer, jung wie alt, emotional so an. | |
| Kinder sehen die geballten Fäuste und erkennen die Anspannung, sehen aber | |
| auch den Vogel auf der Schulter, der Trost spendet. Menschen sehen in ihr | |
| Schmerz und Hoffnung zugleich. | |
| Warum ist das Thema „Trostfrauen“ noch wichtig? | |
| Es ist weiter aktuell und weder aufgearbeitet noch vergangen. Einige Opfer | |
| leben noch, und das Problem sexualisierter Kriegsgewalt setzt sich fort. | |
| „Trostfrauen“ waren mehr als Kollateralschäden. Dahinter stand ein System | |
| einer extremen Form des Menschenhandels und der Entführung von Frauen. | |
| Japans Regierung will, dass wir schweigen, weil die sexuelle Versklavung | |
| von Frauen ein Kriegsverbrechen ist. Das System der „Trostfrauen“ wurde | |
| geschaffen, damit Soldaten keine Vergewaltigungen begehen. Stattdessen | |
| entstand ein vom Militär kontrolliertes System von Massenvergewaltigungen. | |
| Frauenkörper so instrumentalisieren – das kann man nur mit einem | |
| entsprechenden Frauenbild. | |
| Japans Regierung argumentiert, sie habe sich 2015 mit der südkoreanischen | |
| geeinigt und Schweigen vereinbart. | |
| Die betroffenen Frauen und ihre Unterstützerinnen wurden nie gefragt. | |
| Schlimm, dass Südkoreas Regierung zustimmte, das Thema nie wieder | |
| anzusprechen und auch die Friedensstatue in Seoul zu entfernen. Letzteres | |
| haben Studierende blockiert. Inzwischen hat in Seoul eine liberalere | |
| Regierung Japans Entschädigungszahlungen zurückgewiesen, nicht aber das | |
| Abkommen wie versprochen neu verhandelt. Es gilt also weiter. | |
| Ihr Verein informiert in Moabit mit einem kleinen Museum über die | |
| „Trostfrauen“. | |
| Wir berichten nicht nur über die „Trostfrauen“, sondern versuchen, die | |
| Dichotomie zu durchbrechen, dass es Täter- und Opfernationen gibt. Unser | |
| Schwerpunkt ist Südkorea. Durch das US-Militär gibt es dort noch heute | |
| Prostitution bei dessen Kasernen. Südkoreas „Trostfrauen“-Bewegung“ | |
| veranlasste auch, den südkoreanischen Militäreinsatz im Vietnamkrieg | |
| aufzuarbeiten. Deutschland gilt als Weltmeister der Geschichtsaufarbeitung, | |
| aber Wehrmachtsbordelle, Sexzwangsarbeit in den KZs oder Vergewaltigungen | |
| durch Alliierte am Kriegsende, also nicht nur der Roten Armee, sollten | |
| stärker thematisiert werden. Im Museum widmen wir uns auch unseren | |
| Partnerorganisationen wie dem Êzidischen Frauenrat oder Medica Mondiale. | |
| Wir wollen auch Hoffnung geben, dass man etwas tun kann. | |
| Wie gehen Sie persönlich mit dem Thema sexualisierte Kriegsgewalt um? | |
| Ich wollte vor dem Thema mehrmals weglaufen, da es mir oft unerträglich | |
| wurde, dass es für Frauen in Südkorea so wenig Ausweg gab. Ich habe für | |
| meine Masterarbeit in Südkorea drei Monate in einer Selbsthilfeorganisation | |
| für und mit Frauen in den Camptowns der US-Armee gearbeitet, die als | |
| „Westprinzessinnen“ bezeichnet wurden. Da ich selbst keine Betroffene war, | |
| ließ ich mich von der Berliner Prostituiertenselbsthilfegruppe Hydra | |
| beraten. Die Begegnung mit den früheren „Trostfrauen“ gab mir dann großen | |
| Auftrieb, da sie im Laufe der Jahre zu positiven Veränderungen geführt | |
| haben. | |
| Wie arbeiten Sie in Berlin? | |
| Kürzlich haben wir ein Projekt mit Jugendlichen der 10. Klasse der | |
| Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule durchgeführt. In unserem Museum haben wir | |
| acht Wochen lang zwei Stunden pro Woche Geschichte aufgearbeitet, | |
| kalligrafiert und gemalt. Die 15-jährigen Schülerinnen mit | |
| Migrationshintergrund haben tolle Handyfilme mit Miniaturen der | |
| „Trostfrauen“-Figuren gedreht, in denen sie diese in ihrem Alltag gezeigt | |
| haben: beim Beten, Backen, Busfahren. Das Thema aus Asien vor mehr als 70 | |
| Jahren scheint weit weg. Deshalb konnten sich die Schülerinnen leichter | |
| öffnen und viel von sich erzählen. Dann wollten die Mädchen, dass sich die | |
| Jungs aus ihrer Klasse auch dem Thema sexualisierte Kriegsgewalt stellen. | |
| Die Mädchen haben ihnen dann selbstbewusst unser Museum gezeigt. Später | |
| haben einige Mädchen dazu ihre Prüfung zum Mittleren Schulabschluss | |
| gemacht. Sie haben gelernt, dass sie sich gegen Unrecht wehren müssen. Das | |
| Thema „Trostfrauen“ ist dafür gut geeignet. | |
| Wie ging es weiter? | |
| Zum Weltfrauentag haben wir die Arbeiten der Schülerinnen in der Vitrine | |
| des Rathauses Tiergarten ausgestellt. Bezirksbürgermeister Stephan von | |
| Dassel (Bündnis 90/Die Grünen) wollte eine Rede halten, doch dann kam | |
| Corona. Auch ein Mitarbeiter von Außenminister Heiko Maas (SPD) hat sich | |
| bei uns gemeldet, nachdem wir von einer früheren philippinischen | |
| „Trostfrau“ eine Stickerei ausgestellt hatten. Die sieht zunächst nach | |
| einer Kinderzeichnung aus, entpuppt sich aber als beeindruckendes Zeugnis | |
| damaliger Ereignisse. Außenminister Maas schrieb uns, er bedauere, dass er | |
| nicht dabei sein konnte. Wir wollten den Bürgermeister auch zur Einweihung | |
| der Statue einladen. Er verwies uns dann aber an die zuständige | |
| Bildungsstadträtin, die leider an dem Tag krank war. | |
| Das Bezirksamt hat die Genehmigung der Statue auf Druck Japans | |
| zurückgezogen. Berlin würde sonst in einem Konflikt zwischen Korea und | |
| Japan einseitig Partei ergreifen, so die Begründung. | |
| Der Vorwurf, wir würden Deutschland instrumentalisieren, macht mich wütend. | |
| Warum kann das Bezirksamt Zivilgesellschaft und Regierung nicht trennen? | |
| Wir sind doch keine Handlanger der südkoreanischen Regierung! Die | |
| „Trostfrauen“-Frage war nie ein offizieller Konflikt zwischen Südkorea und | |
| Japan. Der südkoreanischen Regierung war das Thema selbst unangenehm. Der | |
| eigentliche Konflikt zwischen Japan und Korea ist der territoriale Streit | |
| um die Inselgruppe Dokdo oder Takeshima. Mit der Regierungsvereinbarung zu | |
| den „Trostfrauen“ sind die Betroffenen und ihre Unterstützerorganisation | |
| nicht einverstanden. | |
| Was geht uns in Berlin die „Trostfrauen“-Frage an? | |
| In vielen Ländern stehen heute Teile der Berliner Mauer. Sie symbolisieren | |
| das Ende der deutschen Teilung wie die friedliche Revolution in der DDR. | |
| Eine doppelte Bedeutung hat auch die Friedensstatue: Sie steht für das | |
| historische Leid wie für einen drei Jahrzehnte dauernden Kampf der | |
| Zivilgesellschaft gegen fortgesetzte sexualisierte Kriegsgewalt. Die | |
| positive Botschaft überwiegt für mich wie bei den Mauerresten die | |
| schreckliche Geschichte. Die Direktorin des Deutschen Instituts für | |
| Menschenrechte in Berlin schrieb uns, dem Mut ehemaliger | |
| Zwangsprostituierter sei es zu verdanken, dass sexualisierte Gewalt | |
| inzwischen als Kriegsverbrechen anerkannt sei und geahndet werden könne. | |
| Warum sollen wir diese positive Botschaft nicht verbreiten dürfen? Ich war | |
| in den letzten Jahren in mehr als 40 deutschen Städten eingeladen, um über | |
| „Trostfrauen“ zu sprechen. Junge Frauen haben sich bei mir dafür bedankt, | |
| weil es ihnen guttut, von mutigen Frauen zu hören, die nicht voll Hass | |
| sind. | |
| Sollte in Berlin nicht eher ein Mahnmal für Frauen aus den Truppenbordellen | |
| der Wehrmacht oder für Vergewaltigungsopfer im Zweiten Weltkrieg | |
| aufgestellt werden? | |
| Das eine schließt das andere nicht aus. Gern ein weiteres Denkmal, sofern | |
| Betroffene einbezogen werden und es nicht eine Debatte beenden soll. | |
| Was hat zu Ihrem persönlichen Engagement für die „Trostfrauen“ geführt? | |
| Ich war noch im Vorschulalter und lauschte einmal meiner Großmutter, wie | |
| sie zu Nachbarn mit gesenkter Stimme sprach, dass Japaner kamen und Mädchen | |
| mitnahmen. Dabei spürte ich ihre Angst, dass man darüber lieber nicht | |
| sprechen sollte. Als ich als Jugendliche frisch aus Korea nach Deutschland | |
| gekommen war, sah ich eine Fernsehsendung zur Aufklärung über sexuelle | |
| Gewalt und wie man sich dagegen wehren kann. Und deutsche Prostituierte | |
| kämpften gegen ein Gerichtsurteil, laut dem die Vergewaltigung einer | |
| Prostituierten keine Vergewaltigung sei. Der Fernsehauftritt einer | |
| Prostituierten von Hydra hat mich beeindruckt, der wäre in Südkorea damals | |
| undenkbar gewesen. Doch als ich 1991 dort die Situation Prostituierter bei | |
| den US-Militärcamps untersuchte, gingen gerade erste „Trostfrauen“ an die | |
| Öffentlichkeit. Ihre unvorstellbar grausamen Erfahrungen ließen mich die | |
| ganze Nacht weinen. Kamen Zeitzeuginnen dann nach Deutschland, habe ich für | |
| sie gedolmetscht. 2010 hat mich eine von ihnen, eine Frau über 80, die nie | |
| eine Schule besuchte, sehr beeindruckt. Sie hatte gelernt, ihr Trauma zu | |
| überwinden. Da war mir klar, das muss die Welt wissen. | |
| Wie hat das Ihr Leben verändert? | |
| Zuvor wälzte ich Bücher in Bibliotheken für meine Dissertation zu Gender | |
| Studies. Ich habe dann alles verworfen und arbeite seitdem leidenschaftlich | |
| im Korea Verband, wo ich sehr vielseitig sein kann. Ich konzipiere | |
| Konferenzen, organisiere Demos, publiziere und arbeite mit Aktivist*innen | |
| wie mit Jugendlichen zusammen. Ich habe starke Frauen kennengelernt, die | |
| sich für Gerechtigkeit engagieren. Das ist eine große Bereicherung. | |
| Das Bewusstsein für sexualisierte Kriegsgewalt ist durch die Konflikte in | |
| Bosnien, Ruanda, Kongo, Irak und Syrien gewachsen. Hat sich in Deutschland | |
| der Umgang mit dem Thema verändert? | |
| Ja, stark. Wir sammeln seit knapp 30 Jahren Unterschriften für die | |
| „Trostfrauen“. Darauf angesprochen, haben sich früher viele Leute peinlich | |
| berührt abgewandt, das Thema sexualisierte Kriegsgewalt war tabuisiert. | |
| Seit aber sexueller Missbrauch in Familien und Kirchen zum Thema wurde, | |
| wenden sich Menschen nicht mehr ab, sondern nehmen auch das Thema sexuelle | |
| Gewalt wichtig. | |
| Wie haben die „Trostfrauen“ Ihre zivilgesellschaftliche Informationsarbeit | |
| zu Korea in Deutschland verändert? | |
| Weil die „Trostfrauen“-Frage viele Länder in Asien und letztlich weltweit | |
| betrifft, ist sie zu einem Motor unserer internationalen Vernetzung | |
| geworden. So macht zum Beispiel in unserer AG „Trostfrauen“ auch die | |
| japanische Fraueninitiative aus Berlin mit. Wir arbeiten mit einer | |
| philippinischen Frauenorganisation, einer Initiative aus Sudan oder mit | |
| Menschen aus der zweiten Generation anderer asiatischer Länder zusammen, | |
| auch mit dem Ezidischen oder Kurdischen Frauenrat. Wir werden immer | |
| transnationaler. Als Verein wollen wir Südkoreas starke Zivilgesellschaft | |
| hier bekannt machen, weil sie sehr dynamisch und spannend ist. Dabei ist | |
| die „Trostfrauen“-Bewegung“ wirklich einmalig. Jeden Mittwoch wird seit | |
| 1992 friedlich vor der japanischen Botschaft in Seoul demonstriert. Diese | |
| Proteste haben Südkoreas Gesellschaft verändert. | |
| Welche Erfahrungen machen Menschen mit koreanischen Wurzeln in Deutschland? | |
| Sie können sich nicht wirklich mit Deutschland identifizieren, weil sie | |
| nicht angenommen werden als Teil dieser Gemeinschaft. Wie es dem Korea | |
| Verband gerade passiert, dessen Mitglieder zu 85 Prozent deutsche | |
| Staatsbürger sind, wird uns unterstellt, dass wir Korea vertreten, nur weil | |
| ich Vorstandsvorsitzende bin. Uns wird unterstellt, wir würden Deutschland | |
| durch ein Kunstwerk in eine schwierige Lage bringen. Steckt da nicht | |
| Misstrauen gegen eine Migrant*innenselbstorganisation dahinter? Wenn | |
| das Auswärtige Amt erklärt, Deutschland wolle mehr gegen sexualisierte | |
| Kriegsgewalt tun und betroffene Frauen stärken, so sind das lediglich | |
| Lippenbekenntnisse. Denn es wird sofort Japans Regierung geglaubt und mit | |
| uns, obwohl wir uns seit Jahren für Frauenrechte einsetzen, nicht einmal | |
| gesprochen. | |
| Das Bezirksamt hat der Statue die Genehmigung auch mit dem Argument | |
| entzogen, sie könne das friedliche Zusammenleben der Menschen hier | |
| gefährden. | |
| Zu unserer Demonstration für die Statue sind auch kritische | |
| japanischstämmige Menschen gekommen, und wir haben in unserem Verein | |
| Mitglieder, die aus Japan stammen. Sie schämen sich für die Regierung in | |
| Tokio. Politiker müssen lernen, dass Menschen mit einem Ursprung in anderen | |
| Ländern nicht mit den dortigen Regierungen gleichzusetzen sind. | |
| Der Bürgermeister von Berlin-Mitte, Stephan von Dassel, sagt, er wünsche | |
| sich, dass das Mahnmal so gestaltet werden könne, dass der Korea Verband | |
| wie die japanische Seite damit leben können. Was halten Sie davon? | |
| Der Bürgermeister hat mich schwer enttäuscht. Statt mit uns jetzt über | |
| einzelne Formulierungen auf der Begleittafel der Statue zu diskutieren, | |
| sollte er lieber dem japanischen Botschafter sagen: „Sorry, aber sie haben | |
| kein Recht, in unserem Land in die Meinungs- und Kunstfreiheit | |
| einzugreifen. Und wenn man sich aufrichtig entschuldigen will, kehrt man | |
| das Problem nicht unter den Teppich, sondern diskutiert es offen mit der | |
| nächsten Generation.“ Warum müssen die „Trostfrauen“ wieder zum Schweig… | |
| gebracht werden? | |
| 2 Nov 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Hansen | |
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